Diese Deutschen. Dietmar Krug

Diese Deutschen - Dietmar  Krug


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ist: Sie fallen nicht einmal unangenehm auf. Oder? Jedenfalls berichtet man mir (im Tonfall der Überraschung), wie freundlich das deutsche Personal in den Supermärkten wirke. Abgesehen von der Dankbarkeit des Gastarbeiters, einen Job gefunden zu haben, hat das Phänomen wohl noch eine andere Ursache. Diese Spielart deutscher Freundlichkeit unterscheidet sich von ihrem österreichischen Pendant. Aufregende Ingredienzien wie Charme oder Flirt gehören nicht dazu, dafür ist sie stabiler, berechenbarer. Denn sie wahrt Distanz und ist damit halbwegs losgelöst von den Launen des Praktizierenden (auch von den grantigen).

      Hinzu kommt, dass der Gedanke der Dienstleistung in Deutschland einen anderen Stellenwert besitzt als in Österreich: Solange der Dienstnehmer zahlt und nicht unhöflich ist, hat er seinen Anteil erbracht. Der Service ist dann keine Gnade, sondern ein nüchterner Deal, bereinigt von jenen Ritualen der feudalen Tradition, die dazu dienen, erst einmal die Hierarchien zu klären: Du bist die Person, die etwas benötigt, ich bin die Instanz, die es gewährt (oder auch nicht).

      Unlängst habe ich eine Szene in einem Wiener Supermarkt beobachtet. Eine Dame fragt eine deutsche Verkäuferin an der Fleischtheke nach einem besonderen Filetstück für ein Rezept. Das Mädchen erweist sich als nicht zuständig, will aber hilfsbereit sein und zugleich nichts Falsches sagen. Wie löst es das Dilemma? »Ich hole Ihnen den Fachverkäufer.« Die Dame winkt ab: »Gehen S’, ich find’s schon.« Aber die Verkäuferin lässt nicht locker, der Fachverkäufer sei gleich da. Minuten später stehe ich an der Kasse, eine Durchsage erklingt, der frische Wind heimischen Klangs weht durch die Halle: »Herr Jurkovich bitte in die Fleischabteilung.« Zwei Kassiererinnen werfen sich Blicke zu, rollen die Augen. Sie hören das wohl nicht zum ersten Mal. Also für eines kann ich garantieren: Mit dem falschen Stück Fleisch geht die Dame bestimmt nicht nach Hause, keine Chance!

       Privilegierte Piefke?

      Michael Frank, Österreich-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung, meinte in einem ORF-Beitrag über Deutsche in Österreich: »Wenn ein Wiener Wirtschaftsunternehmen einen Ingenieur sucht und es bewerben sich drei Österreicher, ein Anatolier, ein Serbe und ein Deutscher, dann können Sie darauf wetten, dass der Deutsche diesen Job kriegt. Man mag die Deutschen zwar nicht, aber sie sind fähig, gut ausgebildet, korrekt.«

      Also was meinen eigenen Werdegang betrifft, bin ich nicht allzu oft Opfer dieses »positiven Rassismus« geworden, wie Frank das nennt. Aber das mag daran liegen, dass ich zwar Deutscher bin, aber leider kein Ingenieur.

      Meinen ersten Auftritt als Journalist etwa hatte ich bei einer Wiener Fachzeitschrift für Transport und Logistik. Beim Vorstellungsgespräch stellte mir der Chefredakteur keine einzige Frage nach Branchenkenntnis oder journalistischer Erfahrung. (Was ziemlich nett von ihm war, denn ich hatte weder das eine noch das andere.) Aber eines interessierte ihn doch: »Nun ja, Sie sind Deutscher.« Kleine Pause – kurzes Nicken. »In der Transportbranche geht’s nämlich recht bodenständig zu. Glauben Sie, dass Sie da ernst genommen werden?«

      Ich bekam den Job und ich verdanke ihm einiges, zum Beispiel meine erste Begegnung mit der Hingabe der Wiener Seele an alles, was mit dem Tod zu tun hat. Da die Zeitschrift sich ausschließlich aus Inseraten finanzierte, begleitete mich bei meinem ersten Interview sinnigerweise eine Anzeigenverkäuferin. Während der Autofahrt dorthin hatte sie nicht viel mit mir geredet, bis zu dem Zeitpunkt, als wir am Wiener Zentralfriedhof vorbeifuhren: »Da ist mein Mann begraben.« Aus Verlegenheit fiel mir nichts Intelligenteres ein als: »Oh, ist er schon gestorben?« Ein kurzer Seitenblick – und dann: »Na, der is net g’sturbn, der is elendig krepiert.«

      Das nächste Interview führte ich telefonisch. Mein Gesprächspartner, der Inhaber einer Spedition, erwies sich, gelinde gesagt, als nicht sehr auskunftsfreudig. Nach ein paar einsilbigen und unfreundlichen Antworten war das Interview beendet. Ich informierte den Chefredakteur, und er meinte: Dann eben nicht. Kurz darauf hatte er den Spediteur an der Leitung: Da habe gerade so ein Redakteur angerufen, für ein Interview. Also er sage es frei raus: Wenn er einen deutschen Akzent höre, dann kriege er einen Hals. »Schicken S’ mir wen andern!«

      Auch wenn diese Ausprägung eines nicht ganz so positiven Rassismus keineswegs typisch für die gesamte Zunft war: Ich wüsste doch gern, wie sich so mancher bodenständige Spediteur entscheiden würde, wenn er die Wahl hätte zwischen drei Österreichern, einem Anatolier, einem Serben und einem Deutschen.

       Der österreichische Albtraum: die deutsche Tagung

      Als regelrechtes Labor für den österreichischen Unterlegenheitswahn gegenüber den Deutschen habe ich die Akademie der Wissenschaften erlebt. Dass meine Herkunft der Grund dafür war, warum ich für eine Stelle in Österreichs heiligen Hallen ausgewählt wurde, werde ich an späterer Stelle erzählen. Dieser Startvorteil sollte sich jedoch schon bald als heikle Hypothek erweisen.

      Meine Aufgabe in der Akademie bestand darin, die Fackel von Karl Kraus zu lesen und alle gefundenen Redensarten in eine Datenbank einzugeben. Kein schlechter Job, wo wird man schon dafür bezahlt, dass man acht Stunden am Tag einen so faszinierenden Text wie die Fackel liest? Und ohne das bienenfleißige Sammeln von Material funktioniert Wissenschaft nun einmal nicht. Aber nach gefühlten zehntausend Seiten Fackel keimte doch allmählich die Lust auf eine neue Herausforderung. Ich machte der Projektleiterin den Vorschlag, meine inzwischen gewonnene Routine zu nutzen und ein paar meiner schlummernden Ganglien beim Fackel-Lesen nebenbei in den Dienst eines neuen Projekts zu stellen, das gerade in Planung war. Man werde sehen, meinte sie.

      Die Antwort bekam ich vom Chef persönlich. Er war damals ein bedeutender Mann, schon in jungen Jahren Universitätsprofessor geworden, inzwischen Leiter eines großen Forschungsprojekts und überdies gewählter Präsident der Akademie. Und er war ein guter Germanist. Dummerweise halfen ihm alle Titel und Ehren nichts, sobald er auf einer Tagung in Deutschland weilte. Dann schmolz sein Gefühl für die eigene Bedeutung wie Butter in der Sonne, wie er einmal in einem ehrlichen Moment gestand. Selbst ein einzelner Frischling wie ich konnte ihm an schlechten Tagen eine deutsche Tagung bescheren. Da kam es vor, dass er eine Diskussion über eine strittige Fackel-Stelle beendete, noch bevor sie wirklich begonnen hatte: »Als Deutscher können Sie halt einen so österreichischen Autor wie Karl Kraus nicht verstehen.«

      Für meinen Wunsch nach einem erweiterten Aufgabenfeld ließ der Chef sich eigens für mich eine überraschende Inszenierung einfallen: Ihm sei zu Ohren gekommen, meinte er bei Gelegenheit, dass ich mich bei meiner Arbeit unausgelastet fühle, womöglich gar lang-weile. Dann trommelte er das gesamte zehnköpfige Team zusammen und ließ mich vor versammelter Mannschaft das tun, was ich seit Monaten tat: eine Fackel-Stelle lesen und auswerten. Ich gab mein Bestes – und fühlte mich in einem Anflug von Nostalgie in die gute alte Schulzeit versetzt. Leider habe ich nie das Ergebnis der Prüfung vor der ganzen Klasse erfahren. Dafür habe ich eine Ahnung davon bekommen, wie sich der Herr Präsident auf seinen deutschen Tagungen gefühlt haben muss.

       »Herr Kollege, Priorität!«

      Während meiner Studienzeit in Aachen hatte ich eine Zeit lang einen Job am Institut für Philosophie. Meine Aufgabe bestand darin, Recherche- und Schreibarbeiten für einen Professor zu erledigen, der gerade an einem Buch arbeitete. Einmal habe ich während der Dienstzeit die Kündigung meines Mietvertrags getippt, die längst überfällig war. Und just in diesem Moment kam der Professor ins Büro, zusammen mit einer anderen studentischen Hilfskraft, die rasch einen Brief für ihn aufsetzen sollte. Da im Büro nur ein Computer zur Verfügung stand, kam es zu einer Interessenkollision, die sich folgendermaßen auflöste. Der Professor sah, dass ich an etwas Privatem schrieb, und meinte: »Herr Krug, Priorität!« Er sagte das in einem zwar bestimmten, aber keineswegs unfreundlichen oder übermäßig autoritären Tonfall. Es klang wie die völlig selbstverständliche Klärung eines Sachverhalts.

      Jetzt arbeite ich schon seit zwanzig Jahren in Österreich, und es verwundert mich immer noch, wie selten in der hiesigen Arbeitswelt


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