Diese Deutschen. Dietmar Krug

Diese Deutschen - Dietmar  Krug


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den Hämorriden gefriert, wird’s dem andern siedend heiß am Südpol.

      3. Immer das Genaue!

       Im Sprühnebel der Gründlichkeit

      Eine Kindheitserinnerung: Unser Nachbar legt den Zeigefinger an die Lippen, um mich zu absoluter Stille zu mahnen. Er steht da wie ein Indianer auf der Jagd, nur hält er keinen Speer in der Hand, sondern einen Spaten. Mit dem zielt er auf einen kleinen Erdhaufen, der sich ganz leicht hebt und senkt. Ein heimtückischer Eindringling ist gerade im Begriff, sein unterirdisches Zerstörungswerk im Zierrasen zu verrichten. Und zack! Erwischt hat der Nachbar das Mistvieh nicht, darum wird er ihm das nächste Mal mit einer wirksameren Methode auf den Pelz rücken: mit Maulwurfgas …

      Eine weitere Erinnerung: Mein Vater sieht aus wie ein Raumfahrer, er hat eine Atemschutzmaske vor dem Gesicht und eine große gelbe Plastikflasche auf dem Rücken. Er geht langsam am Rand unseres Grundstücks entlang und sprüht aus einem Schlauch eine Flüssigkeit in die Tannen. Kein Bäumchen lässt er aus, schließlich sollen sie alle von diesen hässlichen Flecken befreit werden, die unsichtbare Schädlinge angerichtet haben. Danach darf ich tagelang nicht in die Nähe der Tannen, aber in die Gefahr komme ich ohnehin nicht, denn für den gesamten Rasen rund ums Haus gilt: Betreten verboten! Damit ich nur ja nicht mit den blauen und roten Körnchen in Berührung komme, mit denen das Gras gedüngt ist. Man weiß ja nie.

      Ja, so ein Einfamilienhaus war ständig von Getier bedroht, und das nicht nur im Garten. Im Inneren sorgte Muttern mit preußischer Hemdsärmligkeit und Chemie für frische Verhältnisse. Auf dem Klo roch es nach Fichtennadeln, im Wohnzimmer nach Raumspray und in der Küche ging es den Fliegen mit Gezisch an den Kragen. Einmal am Tag wurde Pucki, unser Wellensittich, samt Käfig in den Flur getragen und die Fliegen lagen bald darauf mit zappelnden Beinen auf dem Küchenboden. Dann noch kurz gelüftet und mit »Zewa wisch und weg« über Tisch und Arbeitsfläche. Man weiß ja nie.

      Doch groß war die Empörung, wenn Muschi, unsere Katze (die hieß so!), hysterisch niesend und mit verklebten Augen von der Mäusejagd heimkehrte. »Diese Bauern!«, schimpfte dann die Mutter, und in der Tat konnte man vom Küchenfenster aus den Landmann auf dem Traktor beobachten, wie er mit angehängtem Fass das Kornfeld neben unserem Haus in Sprühnebel hüllte. Denn wer mag schon Klatschmohn im Brot?

      Und dann gab es da noch diese Ameisen, die in der Einfahrt die Fugen zwischen den Waschbetonplatten zersetzten. Doch diese Tierchen bekamen es nicht mit der Chemie zu tun, für sie gab’s nur ein Bad im siedenden Wasser. Damit hatte Mutter den Beweis erbracht, dass in den Abgründen der deutschen Gründlichkeit so ziemlich alles gedeiht, sogar das zarte Pflänzchen der ökologischen Schädlingsbekämpfung.

       »80 Millionen Vollspießer!«

      Fällt es eigentlich auch unter Rassismus, wenn man sich in einer Schimpforgie über eine Bevölkerungsgruppe ergeht – und ihr selbst angehört? Ich meine so einen richtig unfairen, schamlosen Anfall, einen, den ich nie dulden würde, wenn ihn ein Österreicher hätte.

      Wir Deutschen sind ja ein reiselustiges Völkchen, auch ich bin gerne gerade im Süden unterwegs. Und da wir außerdem noch ziemlich zahlreich sind, ist, egal wo, die Wahrscheinlichkeit hoch, einen von uns als Sitz- oder Zimmernachbarn zu erwischen. Manchmal vernarren wir uns regelrecht in einen Ort, etwa in die Kanareninsel La Gomera. Schon in den Siebzigern tauchten dort die ersten deutschen Hippies auf, heute sind Teile der Insel fest in den Händen ihrer Erben, der Bobos, Esoteriker und Berufsjugendlichen jeder Spielart. An erlesenen Plätzen wird das ganze Jahr hindurch getrommelt, meditiert und Sinn gesucht, was das Zeug hält. Einheimische bekommt man dort indes kaum zu sehen.

      Sogar eine deutschsprachige Zeitung gibt es auf der Insel, den Valle-Boten. Gedüngt mit einer Mischung aus Blumenkind und Ballermann treibt das Blättchen Blüten wie: »Der letzte Guru von Gomera«, »Kiffen statt Champagnersaufen« oder »Wir saufen uns die Merkel schön«.

      Einmal war ich auf La Gomera und dann nie wieder, was der wunderbaren Insel zweifellos Unrecht tut. Gern erinnere ich mich an eine Wanderung mit meiner Frau durch die herrlichen Berge, weniger gern an das Ende der Unternehmung. Wir hatten uns verlaufen, waren in einen Nebel geraten und darum viel zu spät und völlig erschöpft an unserem Ziel angelangt. Es dämmerte bereits, es war kalt, weder ein Quartier noch ein Transportmittel in Sicht, der Rückweg hätte die halbe Nacht gedauert. Doch am Wegrand stand plötzlich die Rettung mit laufendem Motor: ein Kleinbus voll gut gelaunter Landsleute, Wanderer wie wir. Wir fragten den Fahrer, einen jungen Mann mit Stirnband und allen Insignien des alternativen Ökoreisenden, ob wir mitfahren dürften. Und der sagte, ohne lange nachzudenken: »Nee.« »Warum?«, war das letzte zivilisierte Wort, das ich an jenem Abend hervorbrachte, und die Antwort lautete: »Weil ihr nicht zur Gruppe gehört und darum, im Falle eines Unfalls, nicht versichert wärt.«

      Dann erinnere ich mich noch an die Rücklichter des Kleinbusses und an einen Wutanfall, in dem ein Dutzend Mal die Wendung »80 Millionen rundum versicherte Vollspießer« vorkam … und noch ein paar andere Dinge, die ich hier lieber nicht erwähnen möchte. Der Anfall und das Augenrollen meiner Frau endeten erst, als ein betagtes niederländisches Ehepaar in einem gemieteten Kleinwagen anhielt und fragte: »Können wir Sie irgendwohin mitnehmen?«

       Warum uns die Palmeros »Quadratschädel« nennen

      Den Urlaub haben wir auf der Kanareninsel La Palma verbracht. Die Einheimischen dort haben einen Spitznamen für uns Deutsche, cabezas cuadradas, was wörtlich »Quadratschädel« und metaphorisch »Besserwisser« bedeutet. Solche Kosenamen entstehen nur durch direkten Kontakt und meist nicht zufällig. Kontakt zwischen Deutschen und Palmeros gibt es genug, meine Landsleute haben Teile der Insel regelrecht in Beschlag genommen. Ist ja auch ein feines Eiland, das ganze Jahr Frühlingstemperaturen, Pflanzenblüte und Landschaften, die man so schnell nicht vergisst.

      Zunächst nehmen wir Quartier an der Ostküste, in einem Appartement, das einem Spanier gehört. Die Wohnungsübergabe verläuft so: Ein freundlicher alter Herr überreicht uns einen Schlüssel, verliert ein paar Worte übers Wetter (mehr wäre bei unserem Spanisch auch nicht drin gewesen) und wünscht uns einen schönen Aufenthalt. Das war’s. Das Appartement ist geräumig, schmucklos und funktional, nichts ist überflüssig, im Wesentlichen alles da, was man so braucht.

      Dann übersiedeln wir auf den Westteil der Insel, wo meine sonnenhungrigen Landsleute regelrechte Kolonien gebildet haben, was man nicht zuletzt daran merkt, dass man vorzügliches Biobrot bekommt – in Bioläden, in denen sich viele Menschen beiderlei Geschlechts mit langen grauen Haaren tummeln.

      Diesmal beziehen wir ein Appartement, das einer Deutschen gehört, und die Wohnungsübergabe verläuft etwas anders als beim ersten Mal. Wir bekommen eine gründliche Einführung in die Bedienung von so komplizierten Geräten wie Kaffeemaschine, Gasherd oder Toaster. In den Fenstern hängt eine segensreiche Einrichtung, die es in südlichen Gefilden aus unerfindlichen Gründen so gut wie nie gibt: Moskitonetze. Das Haus ist hübsch und mit sehr viel Bedacht eingerichtet. Und je länger der Aufenthalt dauert, desto mehr entfalten gewisse Details ihre Wirkung: ein Stoffelch auf der Kommode, ein Teddybärchen hier, ein Engelchen dort, ein Plüschherz am einen Ende der Gardinenstange, ein beleuchtbarer Weihnachtsstern am anderen. Am Garderobenständer hängt eine Kollektion von sieben Sonnenhüten und über dem Bett ein Scherenschnitt: Ein Mädchen fängt mit der Schürze Sterne auf, die vom Himmel fallen.

      Auf dem einen Nachttisch liegt eine Zeitschrift mit dem Titel Happinez – das Mindstyle Magazin, auf dem anderen ein Geo-Heft, Themenschwerpunkt: »Einfach besser leben«.

      Keine Ahnung, warum die Palmeros uns »Quadratschädel« nennen. Eckig war in dem Appartement nun wirklich gar nichts. Wahrscheinlich ist es eh nur der Neid. Denn niemand kann so gründlich glücklich sein wie der Deutsche.

      


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