Diese Deutschen. Dietmar Krug

Diese Deutschen - Dietmar  Krug


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Ähnliches passiert hierzulande mit dem Wort »Entschuldigung«, das häufig gerade dann zum Einsatz kommt, wenn es besonders unversöhnlich zugeht. Die Deutschen kennen zwar auch die Redensart »Na, entschuldigen Sie mal!«. Und was immer dann folgt, es ist sicher keine Bitte um Verzeihung. In Österreich jedoch begegnet einem diese Zweckentfremdung auf Schritt und Tritt, hier ist sie mit gezogenem Klagelaut fixer Bestandteil jeder Rhetorik: »Entschuuuldigung« oder in der Steigerungsform »Entschuuuldige, bitte«. Immerfort wird unversöhnlich für etwas um Verzeihung gebeten, das noch gar nicht gesagt ist und das, Entschuldigung!, jetzt unbedingt einmal gesagt gehört.

      Hinzu kommt ein Phänomen, das für deutsche Ohren höchst kurios ist; wird einmal eine echte Entschuldigung ausgesprochen, etwa für ein Versehen, dann wird man erstaunlich oft von wildfremden Menschen geduzt: »Entschuldige!« Ich frage mich, ob das wirklich ein Duzen ist oder am Ende nicht etwas ganz anderes. Womöglich eine verkürzte Form von »Bitte zu entschuldigen«? Ich muss, pardon, gestehen: Ich weiß es nicht.

       Eine ordentliche Portion »eh«

      Wenn ich hierzulande jemandes Bekanntschaft mache, kommt es in neun von zehn Fällen zu folgendem Dialog: »Wie lange leben Sie schon hier?« – »Über zwanzig Jahre.« – »Das hört man Ihnen überhaupt nicht an.« Hat der oder die Betreffende eine Weile in Deutschland verbracht, folgt meist der Nachsatz: »Also ich hab dort schnell angefangen, wie ein Deutscher zu reden.« Sind wir Deutschen wirklich resistente Granitblöcke, die sich sprachlich nicht und nicht assimilieren wollen? Im Vergleich zu Österreichern, die in Deutschland leben, gewiss. Die verlangen erstaunlich rasch beim Einkauf ’ne Tüte für die Tomaten. Das hat, abgesehen von heiklen Fragen des Selbstbewusstseins, einen einfachen Grund. In Deutschland verbindet man mit dem österreichischen Akzent Dinge wie Ski, Charme und Sommerfrische. In einem Klima der Akzeptanz gehen einem ein paar flotte Zugeständnisse leicht über die Lippen.

      Unser Akzent hingegen weckt hierorts Assoziationen wie Härte, Hochmut und Humorlosigkeit, was den Trotz der bestätigten Erwartung zur Folge hat: Wenn ihr mich schon für einen Piefke haltet, dann bin ich halt einer; den Gefallen, mich anzubiedern, tu ich euch nicht. Zumindest an der Oberfläche, denn zugleich beginnt man unwillkürlich, sich und seinesgleichen mit den Ohren der anderen wahrzunehmen. Manches kommt einem plötzlich selbst komisch vor.

      Nach einiger Zeit macht man einen Bogen um jene Eigenheiten, die besonders piefkinesisch klingen. So guck ich mir etwa seit Jahren keine Filme mehr an, ich schau sie mir an. Ich verneine längst mit »na« statt mit »ne«, und meine rheinische Variante »nä« erinnert mich inzwischen an ein Geräusch aus dem Ziegenstall. Ein Weichzeichner hat sich über meine Konsonanten gelegt, ich spreche heute irgendwie »buttriger« als früher. Meinen deutschen Freunden ist das keineswegs entgangen, zumal sich auch mein Wortschatz erweitert hat.

      Mein erster Sprachimport war das Wunderwörtchen »eh«. Zum einen, weil es im Sprachfluss unschlagbar ist im Vergleich zu seinen schwerfälligen Verwandten »ohnehin« und »sowieso«. Zum anderen, weil es wohl kaum zwei Buchstaben gibt, die einen so direkten Zugang zur österreichischen Seele haben. Kommentiert man etwas Gesagtes mit »eh«, dann geht eine kleine Welt auf, bestehend aus resignativer Zustimmung, Wurstigkeit und »Spar dir den Atem, weiß ich doch längst«. Will man noch eins draufsetzen, sagt man »eh kloa«. Ist man ein Wiener, der etwas auf sich hält, ist einem ständig alles »eh wurscht«. Und wenn’s am Ende »eh kan Sinn« hat, dann ist man in der Regel der, der es »eh immer schon gewusst« hat. Ohne eine ordentliche Portion »eh« kann ein Deutscher hier gar nicht existieren, wenn er nicht den Verstand verlieren will.

       Von Aspiration und Transpiration

      Wir Deutschen haben beim Aussprechen von Wörtern ein metaphysisches Talent: Wir aspirieren. Wir sehen und sprechen ein H, wo gar keines steht. Zum Beispiel beim Wort »Tante«. Wir hauchen den beiden Ts ein wenig hinterher, geben dem folgenden Vokal eine kleine Brise mit auf den Weg. Damit schließen wir eine Verwechslung der guten Frau mit dem Autor der Göttlichen Komödie aus und ersparen uns zugleich eine Frage, die nur der Österreicher kennt: Mit hartem oder weichem T oder D oder was auch immer? Zugegeben, die Sache mit dem H ist nur eine Metaphysik mit Eselsbrücke, denn in Wörtern wie Theater oder Apotheke steht das H ja drin.

      Nun klingt das gehauchte T für österreichische Ohren wie der Inbegriff affektierter Sprechweise. Ein Österreicher, der etwas auf sich hält, würde sich eher die Zunge abbeißen als seine Tante mit »Thanthe« anzureden. Warum sollte er auch? Jeder Depp weiß, dass seine Tante nicht die Göttliche Komödie geschrieben hat.

      Weilt man jedoch in Deutschland, hat die Neigung zum scheinbar gerümpften Hoch- und Hauchlaut durchaus seine Vorteile. Vor einiger Zeit war ich mit meiner Frau zu Besuch in meiner Heimatstadt, in Aachen. In einem Café bestellte sie nicht etwa einen Kaffee – niemand, der jemals in einem Wiener Kaffeehaus eine Melange getrunken hat, bestellt in Deutschland einen Kaffee. »Ich hätte gern einen Tee«, sagte sie zur Kellnerin, und die fragte: »Bitte?« Der Wunsch wurde wiederholt, die Kellnerin verstand wieder nicht. Drei-, viermal ging das so hin und her, bis ich dolmetschend eingriff.

      Das war nötig, weil zwei Dinge unglücklich zusammenkamen: die erwähnte tief sitzende Abneigung der Österreicher gegen das unsichtbare H und zugleich der Umstand, dass meine Frau aus der Obersteiermark kommt, was von Bestellung zu Bestellung hörbarer wurde. Ich kann sie bis heute auf die Palme bringen, wenn ich behaupte: »Deine Bestellung hat geklungen wie: Ich hätte gern einen Day.«

      Ich kenne nur einen einzigen Österreicher, der in Fragen der Aspiration keinerlei Berührungsängste kennt. Der stammt zwar auch aus der steirischen Provinz, aber das hört man ihm nun wirklich nicht mehr an. Er ist Kunstkenner, trägt eckige Brillen aus Paris und aspiriert beim Sprechen derart inspiriert, dass ich anfangs geglaubt hatte, er wolle mich auf den Arm nehmen, indem er mich karikiert. Seinen in Österreich durchaus geläufigen Namen hat er behördlich ändern lassen. Er heißt jetzt Theo. Wegen der hiesigen Aversion gegen Aspiration klingt sein Name jetzt unweigerlich wie ein kosmetisches Mittel gegen Transpiration. Aber das ist dem Theo sicher egal, der lebt inzwischen längst in Deutschland.

       Die Fähigkeit, das Unaussprechliche auszusprechen

      Immerhin erlaubt uns die Fähigkeit zur Aspiration, beim Sprechen zwischen dir und Tier zu unterscheiden. Wir geben dem Viech einfach einen kleinen Hauch mit auf den Weg: »Thier«. Dieser Trick ist aber nichts im Vergleich zu der geradezu metaphysischen Kunst der Österreicher, solche Dinge auseinanderzuhalten.

      Wenn ein Österreicher nicht am Kontext der Rede erkennt, ob sich jemand wegen seiner Daten oder seiner Taten verantworten muss, dann fragt er: Mit hartem oder weichem – ja, was eigentlich? Mit hartem oder weichem was? Und jetzt wird’s philosophisch: Schriebe ich bei dieser Frage einen Buchstaben hin, etwa ein D, würde ich einen logischen Kategorienfehler begehen, abgesehen davon, dass die Frage dann sinnlos wäre, weil schon beantwortet. Ich muss bei der Erkundigung ein übergeordnetes Drittes benennen, das entweder ein D oder ein T sein kann. Da es aber für dieses Dritte gar keinen Buchstaben gibt, erfinde ich einfach einen, nennen wir ihn: d/t. Jetzt kann ich die Frage zumindest niederschreiben: Mit hartem oder weichem d/t?

      Aussprechen kann ich diesen Laut natürlich nicht, wie sollte er auch klingen? Das kann nur ein Österreicher, jedes Kind ist hier von klein auf daran gewöhnt, das schlechthin Unaussprechliche auszusprechen: einen Laut, den es streng genommen gar nicht gibt. Lauschen Sie doch mal, wie es klingt, wenn jemand fragt, mit weichem oder hartem …

      Zu einem metaphysischen Missverständnis kam es unlängst in meiner Band. Das Gespräch kreiste um das deutsch-österreichische Verhältnis – das passiert mir hin und wieder – und der Bassist teilte eine interessante Beobachtung mit: Die einzigen Ausländer, mit denen die Österreicher konsequent Hochdeutsch sprechen, seien die Deutschen. Sobald aber etwa ein des Deutschen mächtiger Amerikaner auftauche, redeten sie wieder, wie ihnen


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