Sind Frauen die besseren Mörder?. Sigrun Roßmanith

Sind Frauen die besseren Mörder? - Sigrun Roßmanith


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sie das Blut des gerade erschossenen Liebhabers aufwischte, dann duschte, sich schminkte, ins Bett zu ihrem neuen Liebhaber kroch und ungemein guten Sex mit ihm hatte. Dabei führte sie sich noch einmal ihre Tat vor Augen. Im Höhepunkt stellte sich vor, wie die Kugel in seinen Körper eindrang und ihn innerlich zerriss, dann schrie sie vor Lust. Das Opfer hatte ihr einmal zu oft wehgetan. Sie einmal zu oft belogen und betrogen. Dafür schwor sie Rache. Ihren Plan setzte sie gezielt um. Punktgenau. Zur richtigen Zeit. Davor hatte sie auch mit dem Opfer noch Sex gehabt. Das Gefühl, dass er von seinem baldigen Tod nichts wusste, war Balsam auf ihre Wunden. Es war ein Gefühl der Macht. Sie bestimmte, wann sein Leben zu Ende ging. Dabei berührte sie etwas Allmächtiges, sie spielte Schicksalsgöttin.

      Wie kurz der Weg von der Liebe zum Hass ist, zeigt auch die Geschichte einer jungen Köchin, die nach vielen Demütigungen, Kränkungen, Beschimpfungen und Schlägen beschloss, ihren Freund mit der Hundeleine zu erdrosseln. Einerseits waren da die Mordgedanken, andererseits war da auch eine Zuwendung. Besonders, wenn es nach den Schlägen zu leidenschaftlichem Sex kam. Auch ihr Plan war bis ins kleinste Detail ausgeklügelt. Sie wollte die Leine wie ein Lasso über seinen Kopf werfen, sie zusammenziehen und ihn so zu Boden ringen. Die Leine hatte er ohnehin immer um den Hals gelegt, wenn er mit dem Hund spazieren ging, und ihre Fingerabdrücke waren auch schon drauf, DNA-Spuren also nicht ungewöhnlich. Die Köchin wartete ab, bis er wieder einmal betrunken und wackelig auf den Beinen war. Sie brachte ihn zu Fall, erschrak aber dann vor sich selbst und tarnte den Angriff als Sado-Maso-Liebesspiel. Er kam nur knapp mit dem Leben davon und konnte sich an nichts erinnern. Weil er stark alkoholisiert war, wegen des Blutstaus im Kopf, oder weil er es einfach verdrängte.

      Jahre später begegnete ich der Köchin als Gerichtsgutachterin, weil man sie wegen Diebstahls festgenommen hatte. Als sich der Warenhausdetektiv ihr in den Weg stellte und sie festhielt, wandte sie Gewalt an. Ich stellte ihr einige Fragen. Und sie erzählte mir von ihrer trostlosen Kindheit und Jugend. Prügelstrafen waren an der Tagesordnung. Ihr Vater hatte sie mit der Peitsche geschlagen. Manchmal bis zur Bewusstlosigkeit. Danach hatte er sie ins Bett getragen. Eine drastische Kombination aus Hass und Liebe. Aus Gewalt und Zuneigung. Sie prägte sich ein. Und bei ihrem Freund war es dann nicht anders. Ganz nebenbei erzählte sie mir dann die Geschichte mit der Hundeleine. Ohne einen Bezug zur eigenen Geschichte herzustellen. Das taten wir dann gemeinsam.

       Die Mörderinnen und ich

      Denn die einen sind im Dunkeln. Und die anderen sind im Licht. Und man siehet die im Lichte. Die im Dunkeln sieht man nicht.

      »Dreigroschenoper«, Bertolt Brecht

       Meine Aufgaben

      Der Lärm der Gefangenen am Hof mischt sich mit den Ermahnungen der Beamten. Rufe zwischen den Zellenfenstern, aus denen hin und wieder Rauch kommt. Lautstarke Beschwerden der Häftlinge. Gurrende Tauben. Es riecht schon vormittags nach Essen. Nach Kantine. Bei Schlechtwetter kommt noch der Gestank aus dem Kanal dazu. In dem karg eingerichteten Raum gibt es nur drei Farben. Die Wände sind weiß. Der Boden, der Schreibtisch, die Sessel und die EDV-Ausstattung sind grau. Die Tür ist grün. Wie die Hoffnung. Ist wohl kein Zufall. Die Häftlinge warten in einem anderen Raum, den man im Häfenjargon auch Waggon nennt, weil man dort wie in einem Zug aufgereiht sitzt. Dann werden sie aufgerufen. Und kommen zu jenen, die von Amts wegen oder aus Verteidigungsgründen mit ihnen sprechen müssen. Sie kommen auch zu mir.

      Meine Aufgabe ist es, die Täter und Täterinnen zu untersuchen. Zu erfahren, was sie dazu gebracht hat, das zu tun, was sie getan haben. Ich muss die medizinischen Voraussetzungen der Schuldfähigkeit prüfen. Ob sie im Zeitpunkt der Tat unter dem Einfluss einer Geisteskrankheit, einer geistigen Behinderung, einer Bewusstseinsstörung oder einer anderen gleichwertig schweren seelischen Störung gestanden sind, die ihre Einsichtsfähigkeit und ihr Handeln prägte. Und ich muss prüfen, wie groß die Gefahr ist, dass sie wieder eine Handlung mit schweren Folgen begehen.

      Manche der Täterinnen haben selbst Verletzungen davongetragen und werden von mir an der Justizabteilung im Spital untersucht. Mit jeder von ihnen spreche ich mehrmals, sie werden auch neurologisch und mit Testinstrumenten untersucht. Dann erstelle ich eine Querschnittanalyse. Alle Details sind wichtig. Was die Täterin sagt, wie sie es sagt, was sie nicht sagt. Welche Umstände vor, während und nach der Tat herrschten. Alles, was man hört, beobachtet, wahrnimmt, fließt mit ein. Ich achte darauf, ob Gefühle und Sprache zusammenpassen. Ob sie sachlich und neutral von einem schrecklichen Sachverhalt berichtet und daher von Gefühlen, vom Affekt dissoziiert ist. Ob die Emotionen zur Geschichte passen. Wenn zum Beispiel geisteskranke Täterinnen lachend über die rituelle Hinrichtung eines Menschen erzählen, nennt man das in der Fachsprache parathym.

      Was man bewusst oder unbewusst will, muss in reale Handlungen umgesetzt werden. Und dafür müssen diese Bestrebungen einen Filter passieren, der die meisten Menschen davon abhält, sie auszuführen. Bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit kommt es darauf an, die Intaktheit dieses Filters zu überprüfen.

      Wobei die Frage, ob jemand eine seelische Krankheit nur simuliert oder tatsächlich hat, für mich gar nicht so wesentlich ist. Natürlich kommt das immer wieder vor. Und wenn sich dann ein Psychiater irrt, wird das medial ausgeschlachtet. Seit dem Film Einer flog über das Kuckucksnest glaubt man ohnehin, wenn man sich nur verrückt genug inszeniert, kommt man auf die Psychiatrie und wird mit Elektroschocks niedergestreckt. Erstens wird das gar nicht so gehandhabt. Und zweitens ist es nicht so einfach, geisteskrank zu wirken, wenn man es nicht ist. Heutzutage ist es zudem gar nicht leicht, in einer Psychiatrie ohne eigenes Verlangen aufgenommen zu werden. Die Kriterien dafür sind sehr streng.

      Die gerichtspsychiatrische Expertise muss feststellen, ob eine seelische Erkrankung maßgeblich und unmittelbar mit der angelasteten Handlung in Bezug steht oder nicht. Wenn eine schizophrene Frau ein Fahrrad stiehlt, ist das meist unerheblich. So eine Tat hat fast nie einen unmittelbaren Bezug zu einer Geisteskrankheit. Außer, sie hat es gestohlen, um dem Teufel davonzuradeln. Nur in den seltensten Fällen werden Tötungshandlungen von Stimmen befohlen, wie oft behauptet wird. Im Einzelfall lässt es sich letztlich zwar nicht ganz exakt prüfen, aber ein abwägendes Vorausdenken beruht auf klarer Vernunft und ist unter dem Diktat von Verworrenheit eher schwer möglich.

      Und wesentlich ist natürlich auch, ob bei der Tötung des Opfers mehr passiert ist, als zum Töten notwendig war. Kriminalpsychologisch spricht man von der Handschrift der Täterin. Das bedeutet, dass sie etwas getan hat, was für sie charakteristisch ist, aber nicht nötig gewesen wäre, um jemanden umzubringen. Der Leiche einen Blumenstrauß hinzulegen, sie zu verstümmeln, mit Flüssigkeiten zu überschütten, mit Exkrementen zu beschmieren, das Gesicht ab- oder sie ganz zuzudecken, um sich bereits am Tatort vom eigenen Handeln zu distanzieren. All das verrät etwas über die Beziehung der Täterin zum Opfer. Und auch über ihre psychopathologische Verfassung zum Tatzeitpunkt. Um so etwas herauszufinden, bedarf es einer engen Zusammenarbeit mit der Gerichtsmedizin, die einem sagen kann, welche Handlungen noch zu Lebzeiten und welche erst nach dem Tod begangen wurden. Oder welches Tatwerkzeug die Beschuldigte verwendet hat. Ihre Angaben stimmen mit den Erkenntnissen der Gerichtsmedizin oft nicht überein.

      Bei der Arbeit der Strafgerichtsgutachter kommt es meistens darauf an, festzustellen, ob die Einsichtsfähigkeit und die Handlungsmöglichkeiten der Täterin durch eine seelische Krankheit gestört waren. Es wird eine medizinisch psychiatrische Diagnose erstellt und in Bezug zur Tat gesetzt. Es geht dabei stets darum, das Verhältnis von physischen und psychischen Voraussetzungen und der Fähigkeit zu einem sozial angepassten Verhalten zu ergründen. Dazu gehören die Prüfung der alltagstauglichen Fähigkeiten, der Intelligenz und vor allem der sozialen Kompetenz. Auch ist die Gefährlichkeit für äquivalente Handlungen in der Zukunft zu prüfen und ob die Persönlichkeit höhergradig abnorme Züge trägt.

      Vor der Untersuchung bekomme ich die Akten. Die darin aufgeführten Sachverhalte, Angaben der Beschuldigten und der Zeugen sind wichtig, aber allein für die gerichtspsychiatrische Beurteilung viel zu wenig. Ich mache mir bei den Untersuchungen – manchmal noch, bevor ich die Akten studiert


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