Sind Frauen die besseren Mörder?. Sigrun Roßmanith

Sind Frauen die besseren Mörder? - Sigrun Roßmanith


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verspürt hat. Und ich höre auf Besonderheiten aller Art. Zum Beispiel, wenn eine Täterin erzählt, dass sie sich nach dem Mord noch beim Opfer entschuldigt hat. Oder wenn Auffindungsort und Tatort nicht übereinstimmen. Und wenn nicht, warum die Frau die Leiche woanders hingeschafft und wie sie sie abgelegt hat. Was unternommen wurde, um die Tat ungeschehen zu machen. All das sind Puzzlestücke, aus denen sich ein Verbrechen zusammensetzt.

      In jeder zwischenmenschlichen Begegnung kommt es zu einer Verschränkung von Erfahrungen, Prägungen, Gefühlen, Stimmungen und Gedanken. Sigmund Freud sprach von der Übertragung zwischen Klient und Therapeut. Das passiert auch zwischen Gerichtsgutachter und Täterin. Schließlich ist die psychiatrische Untersuchung von Mörderinnen immer wieder eine Ausnahmesituation. Zwei fremde Menschen begegnen sich. Und einer erzählt von einem Mord. Alle Details herauszufinden ist nicht einfach, das Misstrauen oft groß. Wie im normalen Leben ist der Kontakt mit einer Psychiaterin auch für einige Beschuldigte wie ein Stigma. Viele Menschen fürchten, dass man sie für verrückt erklärt, und diese Angst äußern sie auch unverblümt. In der Praxis und im Gefängnis.

      Wenn mir die Täterin alle Lebensumstände und alle Details zur Tat geschildert hat, frage ich sie immer, ob ich ihr alles noch einmal erzählen darf. Sie soll mich gegebenenfalls korrigieren, so kommt es kaum zu Missverständnissen.

      Wie in jedem anderen Beruf bekommt man natürlich auch als Gerichtsgutachterin eine gewisse Routine. Wobei sich die psychiatrische Begutachtung von Schwerverbrecherinnen schon vom Alltag in der Praxis unterscheidet. Ich gebe zu, dass ich manchmal völlig mit einer Täterin, einer Tatsituation oder einem Opfer beschäftigt bin. Und wenn meine Kinder mich dann etwas fragen, nicke ich nur. Der Blick geht ins Leere. Und ich bin nicht bei der Sache. Nicht im Hier und Jetzt. Sondern mit meinen Gedanken bei der Beschuldigten. Anfangs habe ich mich noch schlecht gefühlt, weil ich dachte, dass ich meinen Kindern nicht alles geben kann, wenn ich mich auch zu Hause immer wieder mit der Arbeit beschäftige. Aber über die Jahre habe ich gelernt, das zu akzeptieren. Es ist unumgänglich für eine psychiatrische Begutachtung.

      Sachverständige sind Gehilfen des Gerichts. Sie vermitteln den Richtern, Staatsanwälten und Rechtsvertretern fachkundiges Wissen aus dem Sachgebiet, für das sie zuständig sind. Bei mir ist das eben Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin. Es obliegt aber allein dem Richter, dem Richtersenat und den Laienrichtern, das, was der Sachverständige vor Gericht vorbringt, im Urteil mildernd zu berücksichtigen. Den Beweis, den der Sachverständige über die Persönlichkeit der Täterin und ihren Bezug zur Tat erbracht hat, zu würdigen, wie das in der Rechtssprache heißt. Oder eben nicht.

      Gerichtspsychiater werden oft mit den Menschen, die sie begutachten, verbunden. Auch mich assoziiert man eher mit Mord und Totschlag als mit den alltäglichen Sorgen und Krisen von Personen, die mich in meiner psychotherapeutischpsychiatrischen Praxis aufsuchen. Und das, obwohl ich dort meinen Alltag mit ihnen verbringe. Gerichtspsychiater stehen eben ständig im Schaufenster der Öffentlichkeit und geben Interviews zu aktuellen Mordfällen. Informationen, auf die die Öffentlichkeit ja auch ein Recht hat.

      Mein persönliches Interesse, und das vieler meiner Kollegen, ist es, der Bevölkerung verständlich zu machen, dass Gewalttäter zwar in den Medien als bestialische Monster dargestellt werden, sich aber eigentlich gar nicht so sehr von anderen Menschen unterscheiden. Damit will ich Gewalttaten nicht bagatellisieren oder die Täter idealisieren. Ich will nur sagen, dass das Böse in jedem von uns haust und stets präsent ist.

      Strafgerichtspsychiater werden vom Staatsanwalt oder vom Richter bestellt. Die Gutachter sollten fähig sein, ihre Expertisen und ihr Fachwissen in eine allgemein verständliche Sprache zu übersetzen. Gerichtspsychiater sind so etwas wie die Brücke zwischen Juristen und Medizinern. Sie müssen beide Sprachen beherrschen. Die wesentlichen Fragen in meinem Job sind meist die gleichen. Es geht darum, ob jemand gewusst hat, was er tat und auch danach handeln konnte oder eben nicht, und inwiefern Handlungen mit schweren Folgen auch in der Zukunft möglich sind, beziehungsweise ob und wodurch sie verhindert werden können. Also zum Beispiel durch Therapie oder Suchtfreiheit. Wenn es um die Schuldfähigkeit geht, sind zwei Paragraphen entscheidend:

      § 287 StGB: Wer sich, wenn auch nur fahrlässig, durch den Genuss von Alkohol oder den Gebrauch eines anderen berauschenden Mittels in einen die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Rausch versetzt, ist, wenn er im Rausch eine Handlung begeht, die ihm außer diesem Zustand als Verbrechen oder Vergehen zugerechnet würde, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen. Die Strafe darf jedoch nach Art und Maß nicht strenger sein, als sie das Gesetz für die im Rausch begangene Tat androht.

      § 11 StGB: Wer zur Zeit der Tat wegen einer Geisteskrankheit, wegen einer geistigen Behinderung, wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung oder wegen einer anderen schweren, einem dieser Zustände gleichwertigen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht seiner Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, handelt nicht schuldhaft.

      Die Paragraphen zu kennen und eine sehr gute Sachkenntnis zu besitzen ist Voraussetzung. Wesentlich ist aber auch, dass man sich die Fähigkeit des Staunens behält. Eine Fähigkeit, die auch immer etwas mit Offenheit, Begeisterungsfähigkeit, Wertefreiheit und Neugier zu tun hat. Nur so ist es möglich, sich an die Täter heranzutasten, alles mit ihren Augen zu sehen und sich im Sinne des Probehandelns in sie einzufühlen. Damit wird das, was sie schildern, nachvollziehbar. Man darf dabei nicht im Gegenüber versinken und alle negativen Gefühle aufsaugen wie ein Löschblatt. Auch das andere Extrem hat nicht viel Sinn, es wäre bloß eine Art meisterdetektivisches Aufdecken aller Sachverhalte, ähnelte eher einer polizeilichen Befragung und hat mit einer psychiatrischen Begutachtung wenig zu tun.

       Die Gerichtsverhandlung

      Und dann kommt es zur Verhandlung, ich trage meine Erkenntnisse vor. Wie bei allen Beziehungen fließen auch bei der Begegnung von Angeklagten, Laien- und Berufsrichtern eigene Einstellungen, Gefühle und Überlegungen mit ein. Das ist letztlich nicht zu verhindern.

      »Ich würde lieber vor dem jüngsten Gericht stehen als jetzt hier vor dem Geschworenengericht.« Diesen Satz habe ich schon von vielen Beschuldigten gehört. Geschworenengerichte werden bei Verhandlungen von besonders schweren Straftaten eingesetzt. Sie bestehen aus drei Berufsrichtern und acht Geschworenen. Letztere sind unbescholtene Staatsbürger, die die Meinung des Volkes repräsentieren. Sie entscheiden, ob eine Täterin schuldig oder nicht schuldig ist. Ihr Urteil bezeichnet man als Wahrspruch.

      Wie bei Juristen, die fachlich dazu ausgebildet sind, ihre beruflichen Entscheidungen auf der Basis von Rechtsnormen zu treffen, ist es auch bei Gerichtspsychiatern so, dass Emotionen und Meinungen nicht vollkommen ausgeklammert werden können. In jedem Gerichtsprozess, vor allem in Schwurgerichtsprozessen, nimmt die Macht der Gefühle unglaublichen Raum ein und bleibt scheinbar unsichtbar.

      Ein Gerichtspsychiater soll einen fachkundigen Eindruck vom Angeklagten vermitteln und sich diffamierende Beschreibungen und Bewertungen sparen, weil sie viel mehr über ihn aussagen als über die Untersuchten. Auch soll nicht überinterpretiert werden. Bei der Justiz besteht ohnedies die Angst vor Verpsychologisierung. Man befürchtet, dass alles psychodynamisch interpretiert wird.

      Tötungshandlungen dürfen keinesfalls verzeihbar dargestellt werden. Gewisse Interpretationen eignen sich natürlich dazu. Zum Beispiel, wenn eine Frau, die als Kind vom Vater sexuell missbraucht wurde, ihren gewalttätigen Mann umbringt. Für das Tatmotiv ist das zwar wesentlich, es ändert aber nichts daran, dass es um eine Tötung geht. Die Frau ist deshalb nicht schuldunfähig.

      Der Gerichtsprozess selbst ist immer ein gruppendynamisches Geschehen, in dem jeder seine Rolle hat. Verbale Mitteilungen und nonverbale Signale aller Beteiligten verschränken sich und schaffen ein unverwechselbares Klima. So kann es passieren, dass auch Angeklagte durch eine hohe Manipulationsfähigkeit den Prozess maßgeblich mitsteuern. Elfriede Blauensteiner war ein Paradebeispiel dafür.

      Spannend und mitunter verwirrend sind die Befragungen der Zeugen, die meistens schon vorher mehrmals einvernommen wurden. Als Zuhörer bekommt man einen unvergessenen Eindruck darüber, wie subjektiv idente


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