Sind Frauen die besseren Mörder?. Sigrun Roßmanith

Sind Frauen die besseren Mörder? - Sigrun Roßmanith


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eine andere war als in der Untersuchungssituation.

      Als Gutachterin therapiere ich nicht, das mache ich nur in meiner Praxis, mit meinen Patienten und mit ihren Problemen, die nichts mit den Themen zu tun haben, mit denen ich als Sachverständige konfrontiert bin. Nach den Gesprächen mit den Täterinnen vermittle ich meine Erkenntnisse dem Gericht, die ich in der Verhandlung möglichst verständlich – auch für die Laienrichter – mündlich vortrage. Das bedeutet, dass das schriftliche Gutachten erörtert wird und noch Zusatzfragen gestellt werden können.

      Wenn es etwas gibt, das man in meinem Beruf nicht haben darf, dann sind es Vorurteile. Als Gerichtspsychiaterin bin ich aufgerufen, die Täterin in der Untersuchungssituation im Gefängnis möglichst objektiv wahrzunehmen. Einer glücklichen Entscheidung der Natur habe ich es zu danken, dass sie mir das dazu nötige wertfreie Herangehen als Talent zugewiesen hat. Der Rest ist das Handwerk des Psychiaters. Mich in die Beschuldigten einzufühlen, ist ein mehrstufiges Vorgehen, das der Religionsphilosoph Martin Buber vorgegeben hat. Beobachten, betrachten, innewerden. Auch das Zuhören mit dem sogenannten dritten Ohr gehört dazu. Das bedeutet, einfühlsam zu sein und darauf zu achten, wie das Gegenüber sich erlebt, wie es seine Situation beurteilt, wie es seine Gefühle verpackt und sich präsentiert.

       Das Gespräch

      Die wesentlichste Untersuchungsmethode dazu ist das ausführliche, mehrmalige Gespräch mit der Täterin. Dabei stelle ich möglichst offene Fragen, die nicht vor Suggestivkraft strotzen und nur Ja-Nein-Antworten erlauben. Man fragt nicht: »Haben Sie Ihren Mann umgebracht? Und wenn ja, wie haben Sie es getan?« Man stellt möglichst offene Fragen, die ein Gespräch zur Folge haben. Je allgemeiner sie sind, desto mehr Möglichkeiten hat die Beschuldigte, sich mitzuteilen. Und umso mehr Informationen bekommt man als Gerichtsgutachter auf verschiedenen Sinneskanälen.

      Ich schwinge mich auf die Wellenlänge meines Gegenübers ein. Ich nehme auf, wie und was mir berichtet wird. In allen Facetten. So überwältigend, bestialisch, grässlich oder berührend es auch sein mag. Dabei geht es auch um die Täter-Opfer-Beziehung, um die Beziehungen, die die Person von der Vergangenheit bis zur Gegenwart geprägt haben. Ich dringe in die Vergangenheit der Frau vor. Suche die Meilensteine in der Biografie, an denen etwas Entscheidendes passiert ist. In denen Affektknoten verborgen liegen. Ich fühle mich dabei wie ein psychiatrisch-psychodynamischer Seismograph. Das Berichtete, das ausdrücklich Gesagte, das zwischen den Zeilen Mitgeteilte und sogar das Verschwiegene lösen in mir Gefühle, Stimmungen und Bilder aus, die ich mit der Täterin bespreche. So erfahre ich, in welchem Bezug etwas zu ihr, zu ihrem Leben und zu ihrer Tat steht.

      Aus einer fremden Frau, von der ich, wenn überhaupt, nur die Strafakte kannte, nur die Einvernahmen der Polizei und gerichtlichen Vernehmungen, wird eine Frau, die mir plötzlich vertraut ist. Eine Frau, von der ich viel weiß und die ich immer besser einschätzen kann. Auch die Stimmung ändert sich. Anfangs spürt man noch Distanz, Misstrauen, Vorsicht. Die Beschuldigten können auch die psychiatrische Untersuchung ablehnen.

      Aus meiner aufmerksam wachsamen und vielleicht anfangs etwas unpersönlichen Art entsteht ein lebendiges Miteinander, das aber, streng genommen, nichts mit einer Therapie zu tun hat. Ich bin, wie gesagt, nicht die Therapeutin der Täterin. Das betone ich schon zu Beginn der Untersuchung. Trotzdem gibt es da eine Nähe. Und ich habe als Gutachterin entscheidenden Zugang zu wesentlichen Gefühlen. Die außergewöhnliche Situation, dass sich zwei fremde Menschen begegnen und über Handlungen sprechen, die über die Grenzen des Lebens hinausgehen, schweißt Gutachterin und Täterin zusammen. So kann Vertrauen entstehen. Und doch ist es unabdingbar, als Gutachterin und nicht als Therapeutin zu agieren.

      Die Täterinnen wollen bisher Verschwiegenes nicht ausplaudern und sich damit vielleicht selbst belasten, schließlich muss ich alles, was sie mir erzählen, dem Gericht unverfälscht weitergeben. Das wird oft als Verrat ausgelegt, ist aber unumgänglich. Trotzdem kommt es vor, dass jemand, der ein Verbrechen immer bestritten hat, in der Vertrauenssituation der psychiatrischen Untersuchung davon berichtet. Der Grund könnte sein, dass sich die Täterin verstanden fühlt, ohne dass man sie verurteilt. Aber Beschuldigte sollten nicht dem psychiatrischen Sachverständigen ihre Schuld eingestehen, sondern dem Gericht.

      Als Gerichtsgutachterin bewege ich mich immer auf dem schmalen Pfad zwischen dem Sammeln von Informationen und dem Erzeugen einer konstruktiven Gefühlsstimmung. Würde ich nur Fragen stellen wie ein Detektiv, käme ich nicht weit. Gerichtsgutachter sollten nicht den Job der Polizei oder des Gerichts erledigen, sondern bei ihrer Arbeit bleiben.

      Ich lasse die Täterinnen also erzählen. Ich höre ihnen aufmerksam zu. Ich lese zwischen den Zeilen. Ab und zu stelle ich Fragen. Ich fühle mich ein. Ich achte darauf, welche Emotionen in mir selbst aufkommen. Dann taste ich mich meist assoziativ fragend weiter. Ich versuche, die Beziehung zum Opfer zu verstehen. Ich betrachte die Welt mit den Augen der Täterin. Ich kann nachfühlen, was in ihr vorgeht. In eine andere Person zu schlüpfen ist genauso wichtig wie die Rückkehr in die eigene Psyche. So sind Eindrücke, Gefühle, Stimmungen und Wahrnehmung am besten verwertbar. Voraussetzung dafür ist eine stabile Persönlichkeit, die mir solche Seelenausflüge erlaubt. Denn so arbeite ich nicht nur mit Gewaltverbrecherinnen, sondern mit jedem Menschen, der zu mir in die Praxis kommt. Das schafft eine Nähe.

      Neben klärenden Fragen zum Tathergang, zur Verfassung und zu den Begleitumständen kommt es auch darauf an, die Stimmung während der Tat zu erfassen. Nicht jede Täterin kann sie beschreiben. Viele umschreiben sie. Auch, weil sie gar nicht anders können. Einige haben Erinnerungslücken. Sie wollen das Verbrechen aus ihrem Gedächtnis streichen, sich nicht mehr damit auseinandersetzen. Manchmal breitet sich der Schleier des Vergessens schon am Tatort aus. Aus kriminalpsychologischer Sicht ist das ein Versuch, sich sofort von der Tötungshandlung zu distanzieren und sie zu verdrängen. Nach dem Motto: Wenn ich mich nicht erinnern kann, kann ich es auch nicht gewesen sein. Die Staatsanwaltschaft gibt deshalb meist schon zu Beginn der Untersuchungshaft eine psychiatrische Begutachtung der Täterin in Auftrag, die dann auch möglichst schnell erfolgt. Je länger man wartet, je größer die Distanz ist, desto eher wird das Verbrechen verdrängt. Außerdem erzählen viele Beschuldigte bei mehreren Befragungen auch mehrere Versionen.

      Gelingt es mir, ein angenehmes Gesprächsklima zu schaffen, öffnet sich die Beschuldigte und erzählt aus ihrem Leben. Wie sie aufgewachsen ist, was sie durchgemacht hat, ob sie Missbrauchs- oder Trennungserfahrungen gemacht hat, ob sie Gewalt erlebt hat und wie das Verhältnis zu den Bezugspersonen war. Alles ist für die Einschätzung der Persönlichkeit entscheidend. Und es kommt auch darauf an, wer die Bezugspersonen waren. Die leiblichen Eltern, Adoptiveltern oder Betreuer in einem Heim. Wie standen die Eltern zueinander? Wie lief das Familienleben ab? Wie war der Umgang mit den Kindern? Welche Stellung hatte die Täterin unter den Geschwistern? Wer wurde benachteiligt, wer bevorzugt? Welche Erlebnisse haben sie geprägt? Wichtig sind die Erfahrungen in der Schule mit Disziplinierung, Autoritäten und anderen Schülern. Und dann auch die Erlebnisse im Beruf. Hat die Täterin oft die Arbeitsstelle gewechselt? Alle Auffälligkeiten haben eine Bedeutung. So erzählte mir einmal eine Frau, wie viel Spaß es ihr als Kind gemacht hat, mit dem Opa auf Vögel zu schießen oder die Tür zuzuschlagen, während eine Katze durchging, deren Schwanz dadurch eingezwickt und fast abgetrennt wurde. Frühe Tierquälereien sind Risikofaktoren künftiger Gewalttätigkeit. Und letztlich geht es auch um die Stellung der Frau im sogenannten Drama-Dreieck. War sie häufiger Opfer, Täterin, Retterin, oder wechselte sie die Rollen?

      Natürlich gehören auch alle Krankheiten, Unfälle und Verletzungen dazu, weil sie ein Bild der Leidensgeschichte zeichnen. Bei einem schweren Schädel-Hirn-Trauma kann etwa eine Störung in gewissen Hirnarealen hinzukommen, die für eine Erklärung sorgen kann. Die Beziehungs- und Sexualanamnese zeigt, wie die Täterin mit sich selbst, dem eigenen Körper und anderen umgeht. Und wie ihre Partnerschaften abliefen. Manche vermuten es vielleicht schon: Auch der Zyklus ist von Bedeutung. Denn vor der Menstruation sind Frauen oft grantiger, gereizter und weniger kontrolliert. Die Nerven gehen schneller durch. Das gilt auch für die Wechseljahre, wo das Sprunghafte an der Tagesordnung ist. Dazu kommen Schlafstörungen, die zermürbend auf die Gesamtbefindlichkeit wirken können.

      Ich


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