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auch hochgestellte Persönlichkeiten aus Adel und Bürokratie versuchten, sich mit dem Gewicht ihres Namens Versorgungsstellen mittels Protektion zu schaffen beziehungsweise ihre Schützlinge versorgen wollten, sollte es freilich bis zum Ende der Monarchie geben, doch zumindest eine Stellenbesetzung, die ausschließlich auf Beziehungen zurückzuführen war, hörte mit Franz Josephs Herrschaftsantritt auf.

      Mit einer Forderung stieß Graf Grünne beim Kaiser allerdings auf taube Ohren. Franz Joseph weigerte sich Entlassungen vorzunehmen. Er konnte sich gerade noch dazu durchringen, alte Kanzleivorstände, die den nun einsetzenden Reformen nicht mehr gewachsen waren, in frühzeitigen Ruhestand zu schicken – natürlich in allen Ehren und mit Verleihung eines Adelsprädikates, man wollte den treuen Beamten ja schließlich eine schlechte Nachrede ersparen. Diese soziale und moralische Verpflichtung Kaiser Franz Josephs gegenüber seinen Hofbediensteten, seiner Hausgemeinschaft wog stärker als alles andere. Wenn gespart werden musste, so sollte man damit eher heute als morgen beginnen, doch ein christlicher Herrscher verstieß in Kaiser Franz Josephs Ehrenkodex niemals Mitglieder seines Hofes. Den Spruch Kaiser Josephs II. über seine Hofdiener: »Ich brauche sie nicht, aber sie brauchen mich«, hatte auch der junge Franz Joseph verinnerlicht.

      Um die Finanzen des Hofes stand es auch nach der großen Hofreform schlecht. Die Hofstaatsdotation reichte in den ersten zehn Jahren der Regierung Kaiser Franz Josephs nicht aus. Regelmäßig musste der Finanzminister Zwischenzahlungen anweisen, oftmals schon drei Monate, nachdem das Jahresbudget überwiesen worden war. Exkaiser Ferdinand erhielt den Großteil jenes Hofbudgetpostens, der für die Apanagen der kaiserlichen Familie festgesetzt worden war. Als gekröntem Herrscher standen ihm 500.000 Gulden jährlich zu – auch nach seinem Rückzug nach Prag dachte Ferdinand nicht daran, zugunsten seines Neffen auf seine Apanage zu verzichten.

      Stärker noch als die Apanage wog die Tatsache, dass Kaiser Ferdinand den größten Teil des Privatvermögens Kaiser Franz I. weiterhin in seiner Obhut hatte. Als Exkaiser musste er seinem Nachfolger zwar die Kontrolle über das Hofvermögen und den Familienversorgungsfonds überlassen, da nur der regierende Herrscher darüber die alleinige Verfügungsgewalt hatte, das riesige Privatvermögen Kaiser Franz I. (II.), das auch sonst immer der nächste Herrscher erhielt (nur eben nach dem Tod des Vorgängers, was bei Ferdinand und Franz Joseph wegen des Thronverzichts nicht gegeben war – bei einer Abdankung musste der ehemalige Kaiser aber keinesfalls sein Privatvermögen abgeben), behielt Ferdinand jedoch.

      Der reichste Mann der Familie war in diesem Fall nicht wie sonst der Kaiser, sondern sein Onkel, der Exkaiser. Es gab immer Vermutungen, dass es zwischen Franz Joseph und Ferdinand einen regeren Kontakt gab, als nach außen signalisiert wurde – angebliche geheime Blitzreisen des Kaisers zu seinem Onkel nach Prag in den ersten Regierungsjahren wurden zwar häufig angedeutet, belegbare Quellen ließen sich jedoch nie finden. Diese vor allem von tschechischen Forschern stets vermuteten Reisen24 können keinem anderen Zweck gedient haben, als dem reichen Ferdinand finanzielle Unterstützungen abzuschmeicheln. Die Protokolle des Hofes haben jeden noch so kleinen Schritt des Kaisers in den 68 Jahren seiner Herrschaft dokumentiert, nur für die angeblichen Reisen Franz Josephs nach Prag lassen sich keine Aufzeichnungen finden. In der Handschriftensammlung der Wiener Stadtbibliothek findet sich jedoch ein verräterischer Brief Graf Grünnes an Feldzeugmeister Graf Khevenhüller: »Sr. Majestät kommen morgen den 7.ten um 12:0 Mittags nach Prag und befehlen 4 vierspännige Postzüge am Bahnhof bereit zu halten um ohne Aufenthalt den Weg nach Töplitz fortsetzen zu können. Ebenso sind sogleich nach Erhalt dieses Briefes durch einen eigenen Courier die Postpferde auf der Route bis Töplitz zu stellen und im Gasthof zur Stadt London daselbst Quartier zu bestellen. Alles in strengstem incognito – jedweger Empfang ist daher verboten!«25 In Auftrag gegeben wurden die Anweisungen erst am Vortag, Grünne hatte extra dazugeschrieben »in chiffre«, er ließ den Brief also verschlüsseln, damit niemand, dem er in die Hände fiel, Information erhalten konnte.

      Der Kaiser ist also im Kurort Teplitz, wo sich Ferdinand oft aufhielt, mit seinem Onkel und Vorgänger heimlich zusammengetroffen und stieg auch noch in einem einfachen Landgasthof ab – ob Ferdinand eine offene Börse für seinen Neffen hatte, darüber kann nur spekuliert werden, noch 17 Jahre später, anlässlich des großen Sparpakets des Kaisers, zierte sich Ferdinand, auf seine Apanage kurzfristig zu verzichten. Von selbstloser Hilfe für den Neffen, der auf Ferdinands Thron saß, kann also nicht ausgegangen werden.

      Im Frühjahr 1849 ernannte Kaiser Franz Joseph seinen ersten Obersthofmeister, bisher hatte sein Generaladjutant Graf Karl Grünne diese Stelle interimistisch geführt. Grünne wollte sich, nachdem er die Weichen für eine große Reform gestellte hatte, wieder auf sein eigens für ihn geschaffenes Amt als Vorstand der Militärzentralkanzlei zurückziehen – eine Stelle, die mehr seinem übergroßen Ehrgeiz entsprach. Selbst wenn er es sich gewünscht hätte, Grünne hätte schon rein aus formalen Gründen nicht Obersthofmeister werden können, musste dieser doch immer von fürstlichem Geblüt sein. Der Obersthofmeister hatte den ersten Rang bei Hofe inne, er durfte als Einziger den Kaiser offiziell vertreten. Nur ein Mann, dessen Abstammung so hoch war, dass er über der gesamten österreichischen Aristokratie stand, konnte die ranghöchste Stelle bei Hof einnehmen – ein Mann niedrigeren Adels hätte das komplizierte Rangsystem des Hofes durcheinandergebracht.

      Die große Ehre, Obersthofmeister und damit mächtigster Mann bei Hof zu werden, wurde Fürst Franz Liechtenstein aus der nichtregierenden Nebenlinie des Hauses zuteil. Liechtenstein war wie Grünne stolzer Militär, hatte sein Netzwerk ebenfalls in den Militärs in und um die kaiserliche Familie, unterschied sich in seiner Persönlichkeit jedoch grundlegend vom ehrgeizigen, kalten und zynischen Grünne. Liechtenstein war ein ruhiger, sanfter Charakter, Vater zweier Söhne, die etwas jünger waren als der Kaiser, und einer der beliebtesten Männer der damaligen Gesellschaft. Der jeweilige Obersthofmeister des kaiserlichen Hofes war nicht nur eine feste Größe in der aristokratischen Gesellschaft, sein Bekanntheitsgrad in Wien war vergleichbar mit jenem eines Bürgermeisters. Jeder Wiener kannte die Namen der Obersthofmeister und wusste von ihnen zu erzählen.

      Im Laufe seiner Jahre als Obersthofmeister avancierte Liechtenstein zur populärsten Persönlichkeit des Wiener Lebens, zum »höflichsten Grandseigneurs in ganz Österreich«. So berichtete der russische Gesandte bei Hof: »Es gab weder bei Hofe, noch in der Gesellschaft einen liebenswürdigeren und aufmerksameren Menschen als den Fürsten Karl Liechtenstein … Der Fürst Liechtenstein genoss bei allen Schichten der Wiener Bevölkerung eine seltene Popularität: Es gab, wie ich glaube, weder eine Verkäuferin noch einen Verkäufer in Wien, die ihn nicht kannten und nicht den Hut vor ihm zogen.«26

      Fürst Liechtenstein war zum Zeitpunkt seines Amtsantritts 59 Jahre alt, durch sein großes Vermögen finanziell versorgt und lebte außer für seine höfischen Pflichten nur für zwei Dinge: für seine Kinder, die er über alles liebte, und den Reitsport nach englischem Vorbild, dessen Förderung in der Monarchie ihm am Herzen lag. Seine vier Töchter und zwei Söhne waren sein Ein und Alles. Selbst schon als Fünfjähriger zum Waisen gemacht, kompensierte er die in seiner Kindheit erfahrene mangelnde Fürsorge damit, dass er seine sechs Kinder mit Liebe überschüttete. Er förderte sie über das damals übliche Maß hinaus und ließ sie, und zwar Mädchen und Jungen, von den besten Lehrern in allen Sparten ausbilden – von Naturwissenschaft bis Kunst. Für seine Töchter kamen nur die höchsten Aristokraten als Heiratsbewerber in Frage. Jede seiner Töchter wurde mit dem Majoratserben eines fürstlichen Hauses verheiratet, für die Söhne wurden hohe Stellen bei Armee und Hof anvisiert. Die Folge dieser Mischung aus väterlicher Protektion, guter Heiratspolitik und eigener Spitzenherkunft und Spitzenstellung war ein einflussreicher und exzellent vernetzter Familienzirkel, um den 40 Jahre später niemand herumkam, der bei Hof Karriere machen wollte – und der später für viel Klatsch und Tratsch sorgen sollte.27

      Bei Liechtensteins Amtsantritt waren die Weichen für die Umsetzung der großen Hofreform bereits gestellt, er selbst sorgte nur mehr für deren Umsetzung. Ein noch zu lösendes Problem erbte er aber von Graf Grünne: die übergroße Anzahl der Hofdiener, die reduziert werden musste, aber – als strikte Vorgabe des Kaisers – ohne Entlassungen. Um die immensen Kosten, die die riesige Menge an Livreedienern verursachte, in den Griff zu bekommen, griff Liechtenstein zum einzigen Mittel, das ihm zur Verfügung stand.


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