Viribus Unitis. Martina Winkelhofer

Viribus Unitis - Martina Winkelhofer


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debil war, verzichtete nur unwillig auf seinen Thron, sein berühmter Sager »Hab’ ich gern g’macht« darf der späteren Mythenbildung zugerechnet werden. Gegen die Überzeugungskraft seiner engsten Familie und seiner Umgebung kam der nachgiebige Kaiser nicht an, er überließ seinem Neffen den Habsburgerthron.

      Als neuer Kaiser war Franz Joseph nun auch Herr über den Wiener Hof. Doch nicht nur der Staat, auch der Hof steckte in einer tiefen Krise. Die erste Schreckensmeldung für den Kaiser kam von seinem Finanzminister Baron Kraus. Der Staatshaushalt war derart miserabel, dass dringend Neueinnahmen nötig waren. Das Militärbudget verschlang den Großteil der Steuern, ein Staatsbankrott hing der Luft. Auch Graf Grünne, der interimistisch den Hof leitete, bis Franz Joseph einen ersten Obersthofmeister zu ernennen gedachte, erhielt ein Schreiben vom Finanzminister. Der Inhalt war kurz und bündig: Wenn der Hof nicht sofort auf ein zeitgemäßes Maß zurückgestutzt würde, könne eine Aufrechterhaltung des Betriebes nicht gewährleistet werden, denn der marode Staatshaushalt verbiete jegliche Extrazuschüsse an den Hof.

      Graf Grünne handelte sofort. Der energische Brief des Finanzministers gab ihm den Anlass, beim Kaiser eine Untersuchungskommission durchzusetzen. Grünne hatte schon lange ein kritisches Auge auf die Höflinge. Das Selbstverständnis manch alter Hofwürdenträger, die umständliche Erledigung der Administration und die althergebrachten Rechte und Genüsse der Hofbeamten waren dem spartanischen und direkten Militär ein Dorn im Auge.

      Der Kaiser beauftragte Graf Grünne, den Hof einer intensiven Prüfung zu unterziehen. Nicht nur die Ausgaben sollten gründlichst überprüft werden, auch über die Arbeitsweise innerhalb der Hofadministration wünschte der Kaiser auf das Genaueste unterrichtet zu werden.

      Vier Wochen vertieften sich Grünne und die von ihm ausgewählten Hofbeamten der Kommission in den Ablauf der Hofadministration. Sie verfolgten Aktenläufe, lasen sich in die Korrespondenzen sämtlicher Hofstäbe ein, prüften die Verwaltungsabläufe, von den Erlässen der Direktoren bis zu den Ergebnissen erlassener Vorschriften auf den untersten Ebenen, auf ihre Effizienz. Grünne selbst beobachtete aufmerksam die Leiter der obersten Hofbehörden und versuchte sich ein Bild ihrer Eignung für die von ihnen besetzten Positionen zu machen. Kein Wort drang während dieser Zeit aus dem Kreis der Prüfer, nicht einmal der Kaiser erhielt einen Zwischenbericht.

      Im April 1849 präsentierte Graf Grünne dem Kaiser ein ehrliches, scharf geschriebenes Memorandum über den Zustand seines Hofes, das den Kaiser erschaudern ließ und die tiefgreifendste Reform der letzten 200 Jahre des Wiener Hofes nach sich zog.17 Durch die Ergebnisse der Untersuchungskommission wurden Abgründe in der Hofverwaltung sichtbar, die zeigten, dass nicht nur Einsparungen nötig waren, sondern auch die gesamte Form des damaligen Administrationsablaufes in Frage zu stellen war.

      Die Hofverwaltung hatte keinerlei einheitliche Struktur, die einzelnen Stäbe arbeiteten nicht nur gegeneinander, sondern waren so verfeindet, dass just jene Entscheidungen getroffen wurden, die anderen Abteilungen Probleme verursachten. Die Vorstände vieler Abteilungen bekämpften sich bis aufs Blut und scheuten auch vor drastischen Mitteln nicht zurück. Schon unter Kaiser Ferdinand hatten sich die Abteilungsleiter mit Anzeigen überschüttet – denen die Wiener Polizei hilflos gegenüberstand, da ihre Befugnis beim Kaiserhof endete und die Hofführung keine Skandale wünschte. Grünne warf den verantwortlichen Beamten vor, durch leichtsinnige und vor allem sehr kurzsichtige Führung das ohnehin knappe Budget weiter geschmälert zu haben. Er konnte systematische Bereicherungen einzelner Stäbe nachweisen und schimpfte über die Dummheit mancher Beamter – ihre wenig durchdachten Anordnungen wären die Ursache für Verschwendung. Doppelt- und Dreifachkorrespondenz der Stäbe untereinander, so schrieb er, verhinderten eine effiziente Arbeitserledigung.

      Karl Graf Grünne war bekannt für seinen rohen Umgang. Er beließ es nicht bei der Administration. Er ging auch mit den obersten Hofchargen, Männer von höchstem Adel, hart ins Gericht, die »da sie in ihrer Sache nicht immer sehr gewändig bewandert, oft aber auch mit anderen Ämtern überhäuft sind – sich zuweilen verleiten lassen, Manches zu thun und mit dem Gewicht ihres Namens zu vertreten, was besser unterblieben wäre.«18

      Die Geldverschwendung war enorm, die kostspieligsten Abteilungen agierten am leichtsinnigsten, das Hofquartieramt, das die hofeigenen Wohnungen der Hofgesellschaft und der Bediensteten vergab, arbeitete mit großem Minus, da jedes Jahr ohne Grund aufs Neue Wohnungen getauscht wurden – die vor jeder Neuvergabe teuer renoviert wurden. Das Hofbauamt wiederum begann häufig ohne erkennbaren Grund an der Hofburg zu bauen und hielt sich unzähliges Baupersonal, nur um bei Bedarf genügend Männer bei der Hand zu haben. Kostbare Möbel verschwanden auf wundersame Weise, sobald sie in ein anderes Schloss gebracht werden sollten, weil die Kostbarkeiten ohne Quittungen ausgegeben wurden, wie Grünne erbost schrieb. Die unzähligen Hofparteien, die im Sommer zu Kurzwecken ein Quartier in den Hofgebäuden in Laxenburg und Baden erhielten, hinterließen nach Ende der Sommermonate stets devastierte Wohnungen, die das zuständige Hofamt jedes Jahr um viel Geld wieder renovieren musste, ohne dass sich jemals ein Verantwortlicher bereitfand, diese Zerstörungen zu ahnden – stattdessen ließen sie das Hofzahlamt die Rechnungen bezahlen.

      Im Zusammenhang mit der gründlichen Überprüfung des Hofquartieramtes erlebten Grünne und sein Untersuchungsteam eine Überraschung: In den entlegeneren Hofgebäuden wie Schönbrunn, Laxenburg und Augarten lebten zum Großteil Menschen, die niemals bei Hof beschäftigt waren oder in einem Verwandtschaftsverhältnis zu Hofbediensteten standen. Wie diese »Schwarzmieter« zu ihren Wohnungen kamen, war schnell geklärt: Die unzähligen Beamtenwitwen hatten sich in ihre großen Wohnungen oft Untermieter genommen, die nicht nur ihre karge Pension aufbesserten, sondern auch für Ansprache sorgten – gemeldet wurden diese Mieter in den seltensten Fällen, und wenn, dann als Neffen oder Nichten. Meist kontrollierten die zuständigen Beamten nicht einmal die Verwandtschaftsverhältnisse. Über die Jahre und Jahrzehnte fanden sich nun ganze Familien ein, die nicht zum Hof gehörten – die Wohnungen waren nach dem Tod der wirklichen Mieter einfach weiter bewohnt worden. Das zuständige Hofquartiersamt fühlte sich nie bemüßigt zu kontrollieren. Der Hof, der permanent mit Wohnraummangel kämpfte und manche seiner Hofbediensteten rund um die Burg einmieten musste, hatte hofferne Mieter, die aufgrund der fehlenden Kontrolle gratis wohnten.19

      Auch mit der Organisation des Sicherheitspersonals des Hofes und der Hofburgwache, war Grünne unzufrieden. Auf viele verschiedene Hofstellen verstreut unterstanden sie nicht einem einzigen Vorgesetzten, sondern gleich mehreren. Das machte eine einheitliche Disziplinierung unmöglich – was umso wichtiger gewesen wäre, als gerade nach der Revolution die Absicherung der Hofburg oberste Prämisse war. Das Wachpersonal hatte aber auch eine weitere wichtige Aufgabe. Es musste dafür sorgen, dass es nicht zu »Verschleppungen« von hofeigenen Dingen kam – denn die Verluste durch Diebstahl waren enorm. Vor allem teures Brennholz und tägliche Bedarfsmittel wurden in großen Mengen aus dem Hof geschafft und in der Stadt verkauft. Auch die Garden, die für die äußere Sicherheit zuständig waren, wurden effizienter gestaltet. Eine neue, vor allem aber wirksame Alarmvorschrift wurde unverzüglich ausgeordnet – das Letzte, was der Hof brauchen konnte, waren Gardisten, die bei einem weiteren Ernstfall den Hof nicht vernünftig schützen konnten.20

      Das größte Problem des Hofes aber war die Personalfrage – sowohl die Personalkosten als auch die Arbeitsmoral waren die wesentlichsten Schwachstellen der Verwaltung. Schon damals waren Gehälter und Pensionen der Hofbediensteten der größte Posten der Kosten des Hofbetriebes. Dabei waren nicht die Löhne das Problem, denn die waren sehr niedrig, wurden aber durch Zusatzleistungen des Hofes abgefedert. Das wahre Problem war die übergroße Zahl der Beschäftigten. Der Hof hatte zu viele Angestellte, vor allem aber schlecht qualifiziertes Personal – eine Folge des übermäßigen Nepotismus der letzten Jahrzehnte. Bei Neuanstellungen wurden Personen bevorzugt, die auf Empfehlung eines einflussreichen Gönners kamen, oder Verwandte von Hofbeamten und Dienern. Eventuelle Qualifikationen wurden nicht überprüft. So waren unzählige Personen in den Hofdienst aufgenommen worden, die weder die erforderlichen Kenntnisse für ihre Arbeit hatten, noch – sobald sie aufgenommen worden waren – ein angemessenes Verhalten im Dienst an den Tag legten. Am schlimmsten fand Grünne jedoch die Tatsache, dass es eine – wenn auch nie festgeschriebene – automatische Dienstvorrückung gab und damit auch ein Aufstieg der nicht fähigen


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