Viribus Unitis. Martina Winkelhofer

Viribus Unitis - Martina Winkelhofer


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staunte regelmäßig über seine immer mit großer Geduld ertragenen anstrengenden zeremoniellen Verpflichtungen, zum Beispiel anlässlich des Kaiserjubiläums-Huldigungsfestzuges 1908: »Ich bin totmüde, meine Augen fallen mir zu. S. M. aber ist früher aufgestanden als ich, hat alle feierlichen Reden über sich ergehen lassen, mußte allen durch Tat und Rede tätig sein. Und ich war nur Zuseher. Welche Geduld und Liebe hat er fort entwickelt? Er, der fast 80jährige und von seinen Völkern so oft enttäuschte, ich hätte diese Geduld nicht …«9 Ein andermal, als die Hofwürdenträger anlässlich eines Galaempfangs bei enormer Hitze in voller Montur stundenlang stehen mussten: »Seine Majestät zum Küssen und Niederknien. Bei der Hitze in Pelzattila fort (3 Stunden) stehend und conversierend. Erzherzog Franz sagte jemandem neben mir: ›Ich war zweimal am Äquator, aber so heiß habe ich es noch nie gehabt.‹ «10

      Wenn der Kaiser von seinem Spaziergang zurückkam, wurden die letzten Akten dem Adjutanten übergeben und die Vorbereitungen für die letzte und anstrengendste Verpflichtung des Tages getroffen. Die Abende gehörten nur in Ausnahmefällen dem Kaiser, dreimal pro Woche gab es offizielle Diners, die so genannten »Seriendiners«, zu denen jeweils knapp 30 Personen geladen waren. Es gab militärische Diners mit vorwiegend hohen Militärs und ausländischen Attachés, diplomatische Diners, die der Vertiefung der auswärtigen Beziehungen dienten, und Diners, bei denen Minister, Landeshauptmänner, Statthalter und verdiente Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens zu Gast waren. Zu jedem der abgehaltenen Diners wurde auch regelmäßig der hoffähige Adel eingeladen – abwechselnd, damit niemand benachteiligt wurde. Damen waren zu den Seriendiners nur selten geladen, die Einladungen ergingen in erster Linie an Männer aus Adel, Militär und Wirtschaft und dienten nicht der Unterhaltung, sondern staatspolitischen Aufgaben.

      Die Einladungslisten wurden vom Obersthofmeisteramt vorgeschrieben und dem Kaiser vorgelegt, der dann regelmäßig mit Rotstift Namen austauschte und die Sitzordnung eigenhändig ausbesserte. Der Kaiser war über jeden höheren ausländischen Besucher informiert und gestaltete dementsprechend seine Einladungen. Mitglieder ausländischer Herrschaftsfamilien, die in Wien weilten, wurden als Ehrengäste geladen, bürgerliche Abgeordnete, die ausgezeichnet wurden, waren ebenso Gäste wie verdiente Wissenschaftler. Für die rangmäßige Sitzordnung und die schriftlichen Einladungen war das Zeremonielldepartement zuständig, das dem Obersthofmeister unterstand. Die Diners fanden stets in den Alexanderappartements in der Hofburg statt, stieg die Zahl der Einladungen auf über 30, musste in die Geheime Ratsstube ausgewichen werden.

      Der Menüvorschlag des Oberstküchenmeisters wurde Kaiser Franz Joseph zur Begutachtung vorgelegt. Der Kaiser studierte das vorgeschlagene Menü genau, was ihm nicht gefiel, wurde mit rotem Buntstift durchgestrichen und durch ein anderes Gericht ersetzt. Wenn der Kaiser seine letzte Einwilligung gegeben hatte, wurden die Einladungen im Obersthofmeisteramt auf hofamtlichen Papier geschrieben und den Geladenen überbracht. Höchste Persönlichkeiten und ausländische Herrscherhausmitglieder erhielten eine »mündliche Ansage«, das heißt ein Hoffourier fuhr vor und überbrachte dem Hofmeister eines hohen Gastes mündlich die allerhöchste Einladung. Die offiziellen Diners begannen um sechs Uhr abends. Wenn der Kaiser seine letzte große Aufgabe des Tages vor sich hatte, war der Großteil seiner Hofbeamten und Diener längst in ihren Hofwohnungen innerhalb der Hofburg. Sie erhielten ihr Abendessen wieder aus der Hofküche, es gab abends meist nur kaltes Fleisch mit Brot, Butter und Gemüse sowie Wein oder Bier.

       Ein vom Kaiser eigenhändig ausgebesserter Menüvorschlag. Links oben hat Kaiser Franz Joseph das von ihm gewünschte Gericht dazugeschrieben

      Für den Kaiser war der Arbeitstag noch lange nicht vorbei. Nachdem sich die Gäste eingefunden hatten, erhielt der Kaiser die Meldung, dass alle versammelt waren. Pünktlichst gab der Zeremonienmeister durch dreimaliges Aufschlagen mit dem Stock das Zeichen, dass der Kaiser erscheint. Alle Geladenen standen dem Rang nach. Der Kaiser trat ein, begrüßte die Gäste und schritt in den Saal, wo er in der Mitte der Tafel Platz nahm.

       Kaiser Franz Joseph begrüßt seine Gäste. Links neben ihm Obersthofmeister Rudolf Liechtenstein

      War kein Ehrengast anwesend, saß dem Kaiser vis-a-vis der Obersthofmeister. Auch Generaladjutant Paar war bei den Diners oft anwesend, wie auch einige der höchsten Würdenträger. Das Service lief flott und geräuschlos ab. In der Regel wurden sieben Gänge serviert. Jedes Diner bei Hof begann mit klarer Suppe, danach wurden Austern serviert, es folgten Salat, Fisch, Fleischspeise und zuletzt Dessert und Käse. Zu trinken gab es Champagner und exquisite Weine. Für je zwei Personen war ein Lakai bestimmt, für den Kaiser wurde allein serviert. Dem Kaiser wurde immer als Erstem serviert, kurz danach erhielten alle Gäste gleichzeitig ihre Speisen. Die Unterhaltung beschränkte sich ausschließlich auf den Nachbar. Die Speisezeit betrug 40–45 Minuten. Die Anekdoten, dass die meisten Gäste hungrig die Hoftafel verließen, weil die Tafel sofort aufgehoben wurde, nachdem der schnell essende Kaiser fertig war, entbehren jeder Grundlage. Der ritterliche Kaiser hätte nie zugelassen, dass die Tafel aufgehoben wurde, bevor allen Gästen serviert worden war. Kein einziger Zeitzeuge, der jemals zu Hof geladen wurde, berichtet über eine derartige Sitte. Nach dem Diner gab es im Nebenraum stehend einen kurzen Cercle, das heißt der Kaiser zeichnete die einzelnen Geladenen durch eine kurze persönliche Ansprache aus, kurz darauf zog sich Franz Joseph zurück. Die Gäste durften als Abschiedsgeschenk die wertvolle Schmuckbonboniere mit den berühmten Hofzuckerln, die neben jedem Gedeck lag, mitnehmen.11

      Für den alten Kaiser waren die Seriendiners extrem anstrengend, erschwert noch durch die Tatsache, dass er täglich um vier Uhr früh aufstand. Doch die Diners boten für den Monarchen auch stets eine Möglichkeit für den Austausch mit Personen, mit denen er sonst nicht in Berührung kam, denn er hatte durch diese gemischten Diners auch stets Kontakt mit der Außenwelt.

      Wenn Kaiser Franz Joseph zwischen acht und halb neun Uhr abends in seine Appartements zurückkam, überflog er noch die wichtigsten Akten, die der letzte Bote des Tages gebracht hatte, schrieb noch einige Privatbriefe und ließ sich dann von seinem Leibkammerdiener für die Nacht zurechtmachen. Täglich gegen neun Uhr abends, wenn sich der alte Kaiser auf sein spartanisches Feldbett zur Ruhe begab, begannen die Nachtarbeiter wieder bei Hof ihren Dienst. Das Wachpersonal rückte aus. Ein Teil der Nachtwärter postierte sich an den Hoftoren, der andere drehte seine Runden über die Höfe. Die Saaltürhüter rüsteten sich für eine lange Nacht. Laternenanzünder wie in der Jugend des Kaisers gab es nur mehr wenige, die Gasbeleuchtung hatte auch in der Hofburg Einzug gehalten. Wenn Kaiser Franz Joseph schlief, versank auch der Hof in eine tiefe Stille, bis zum nächsten Tag, wenn nach sieben Stunden Ruhe der Kaiser und sein Hof gegen vier Uhr früh wieder erwachten.

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       Die kaiserliche Hoftafel

       II

       Ein junger Kaiser übernimmt einen alten Hof

       Kaiser Franz Joseph übernimmt den Hof – Ein Hofburgbrand führt beinahe zur Katastrophe – Graf Karl Grünne – Der Finanzminister warnt vor einem Bankrott des Hofes – Eine Untersuchungskommission schockiert den Kaiser – Die große Hofstaatsreform – Der Kaiser duldet keine Entlassungen – Heimliche Reisen nach Prag zum Exkaiser – Fürst Franz Liechtenstein wird Obersthofmeister – 17 Jahre Heiratsverbot für die Diener – Unzählige uneheliche Kinder am Hof des christlichen Kaisers – Die Hofburg soll abgesperrt werden

      Der wohlgeordnete, gut funktionierende Hof des alten Kaisers glich in nichts dem Hof, den der junge Franz Joseph am 2. Dezember 1848 übernahm, als er die politische Bühne betrat. Als er den Hof übernahm, herrschte noch der Geist des Ancien Régime. Auch der Kaiser selbst wurde noch in einem völlig anderen Verständnis auf seine Aufgaben als Herrscher vorbereitet. Und doch sollte er es sein, der


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