Viribus Unitis. Martina Winkelhofer

Viribus Unitis - Martina Winkelhofer


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bei seinen aristokratischen Freunden wie den Familien Schwarzenberg, Liechtenstein oder Wilczek junge Kanzleikräfte ab, denen die Herrschaft aufgrund ihrer Begabung Ausbildungen finanzierte und deren Eltern nicht selten noch auf den Feldern arbeiteten. Hohenlohe sorgte für frisches Blut bei Hof, erstmals galten persönlicher Einsatz und Leistung mehr als Protektion. Auch sonst war Hohenlohe kompromisslos, seine Sparpakete mussten ohne Wenn und Aber umgesetzt werden, die Beschwerden der anderen Hofwürdenträger, die daraufhin beim Kaiser über ihn einliefen, ließen ihn völlig kalt. Er wollte nicht beliebt sein, sondern den Hof zu einem gesunden Wirtschaftsapparat machen.

      Hohenlohe war mehr als 30 Jahre die Stütze des Kaisers. Franz Joseph vertraute ihm blind. Er übergab ihm die alleinige Verantwortung über die Ausschreibung der Prachtbauten der neuen Ringstraße und ließ ihm auch bei der Besetzung der wichtigsten Posten, vom Burgtheaterdirektor bis zum Vorsteher der kaiserlichen Privatkassa, völlig freie Hand. Die größte Leistung vollbrachte Hohenlohe aber nach der Tragödie von Mayerling – kein Wort über die Vorgänge bei Hof drang nach außen, keine Hofinterna wurden den Zeitungen zugespielt. Was über Mayerling schon zu Lebzeiten des Kaisers kolportiert wurde, kam nicht von Hofmitgliedern. Der Kaiser überschüttete Hohenlohe mit seiner Gunst, zeichnete ihn aus und war völlig erschüttert, als Hohenlohes schwere Herzkrankheit ihn zwang, die Hofleitung seinem Nachfolger zu übergeben.

      Obersthofmeister Hohenlohes schwere Krankheit und sein kurz darauf folgender Tod stürzten den Hof in eine Krise. Nun zeigte sich, wie straff er die Zügel in seinen Händen gehalten hatte. Korruptionsvorwürfe wurden laut, im Hofwirtschaftsamt, das auch die teuren Einkäufe leitete, wurden Verschwendung und Misswirtschaft festgestellt. Der Oberstküchenmeister Graf Wolkenstein wurde abgesetzt – die Schande schien ihm so groß, dass er sich erhängte. Der Skandal war perfekt. Dass ein Würdenträger in Zusammenhang mit Korruptionsvorwürfen Selbstmord beging, war noch nie vorgekommen. Doch auch bei der Generalintendanz der kaiserlichen Theater begann die Moral zu bröckeln, der Generalintendant wurde wegen Körperverletzung rechtskräftig verurteilt, die Gerüchte um eine reine Freunderlwirtschaft bei der Besetzung flammten plötzlich auf, und auch bei den übrigen Hofstäben begann es zu rumoren. Das Interregnum hatte zu lange gedauert, die starke Hand Hohenlohes fehlte.

      Sein Nachfolger Prinz Rudolf Liechtenstein konnte mit Hohenlohes Vertrauensbeamten zwar den Hof wieder auf gerade Bahnen bringen, doch die Hochblüte an Genauigkeit bei Hof war vorbei. Die Ernennung Liechtensteins war ein reiner Freundschaftsdienst. Der »schöne Rudi« war der Liebling der verstorbenen Kaiserin, er war dem Kaiserpaar tief ergeben, galt als großer Vertrauter des Kaiserpaares und war vor allem wegen seiner aufheiternden Art beliebt. Wirtschaftliche Fähigkeiten hatte er gar keine, selbst das Zeremoniell interessierte ihn kaum und die Aristokratie jammerte: »Nein, Fürst Rudolf ist aber gar kein guter Obersthofmeister!«3

       Obersthofmeister Prinz Rudolf Liechtensteins Morgenvisite beim Kaiser

      Doch auch seinen lieben Rudi, wie ihn das Kaiserpaar nannte, überlebte der alte Kaiser, nun war Alfred Montenuovo, sein Großneffe und Enkel von Marie Luise, ehemalige Kaiserin der Franzosen, sein Obersthofmeister. Montenuovo war nicht so brillant wie Hohenlohe, aber durchsetzungsstark und unbeeinflussbar. Er übte sein Amt gewissenhaft aus, war aber absolut unbeliebt bei Hof. Die Aristokraten, denen er aufgrund seiner eigenen hohen Abstammung aus dem Hause Habsburg skeptisch gegenüberstand, lehnten seinen scharfen Zynismus ab und Thronfolger Franz Ferdinand hasste den Obersthofmeister abgrundtief. Zu sehr ließ ihn Montenuovo spüren, dass seine Zeit der Herrschaft noch nicht gekommen war. Jeden Versuch Franz Ferdinands, bei Hof mitzusprechen, schmetterte Montenuovo kühl ab.

      Nachdem der Obersthofmeister gegangen war, bereitete sich Franz Joseph auf seine täglichen Audienzen vor. Mehrmals wöchentlich durften Staatsbürger bei ihm vorsprechen. Meist wollten sich Menschen für eine Ernennung oder Auszeichnung persönlich bedanken, Überraschungen gab es bei den Audienzen nie, denn schließlich wurde jede Angelegenheit, egal ob Ansuchen oder Hilfebitten, vorab in den Ministerien geregelt und dem Kaiser zur Begutachtung vorgelegt.

      Wer bei Hof erscheinen durfte, musste sich zu einer angegebenen Zeit in den Vorräumen der Repräsentationsräume einfinden. Die Kleidungsvorschriften waren strikt einzuhalten. Militärs kamen in ihren Uniformen, Zivile in Frack, Orden durften angelegt werden, es galt Handschuhpflicht. Die Damen mussten in geschlossenen Kleidern in gedeckten Farben erscheinen. Großes Dekolleté war nur bei Hofbällen erlaubt, Schmuck musste dezent sein, allfällige Hoftrauer musste eingehalten werden. Zu Zeiten »tiefer Trauer« (bis drei Monate nach dem Tod eines ranghohen Erzherzogs) musste schwarz getragen werden, bei »minderer Trauer« durften in den darauffolgenden Wochen gedeckte Farben getragen werden, allerdings mussten eventuelle Spitzen oder Federn an Kleid und Hut schwarz sein. Staatsbürger, die kein Geld hatten, um in Frack und Kostüm zu erscheinen, durften in ihrer Landestracht zur Audienz kommen – niemand sollte aus monetären Gründen um sein Recht auf eine Audienz kommen.

      Die Besucher wurden von einem Mitarbeiter des Obersthofmeisteramtes auf das Nötigste vorbereitet: niemals den Kaiser von sich aus anreden, noch ihm den Rücken zuwenden. Nach Aufrufen des Namens begab man sich zu einem Vorraum, wo der Adjutant bereits wartete und den Namen mit seiner Liste verglich. Der Name wurde von einem Kammeransager nochmals laut verlesen, so dass der Kaiser wusste, wer nun kommen würde. Jetzt erst durfte der Audienzbesucher eintreten. Nach Eintritt mussten die Damen sofort in den großen Hofknicks versinken, die Herren die tiefste Verbeugung machen. Erst auf Aufforderung des Kaisers durfte man sich erheben. Die Audienz selbst dauerte maximal drei Minuten. Der Kaiser stand vor seinem Pult, auf dem das Audienzbuch lag, und las dem Besucher den Grund seines Besuches vor. Daraufhin sagte ihm der Kaiser das (bereits bekannte) Ergebnis seiner Angelegenheit. Der Besucher bedankte sich aus tiefstem Herzen und näherte sich in Verbeugung rückwärts der Tür. Meist war die Audienz schneller vorbei, als den Besuchern überhaupt bewusst war – nur so kam der Kaiser im Laufe eines Monats auf mehrere hundert Audienzen. Längere Audienzen mit Ministern, Abgeordneten oder Statthaltern wurden nicht im Zuge der allgemeinen Audienzen abgehalten, sondern erfolgten durch persönliche Einladung des Kaisers und fanden meist unter vier Augen statt.

       Die Audienzbesucher warten, bis sie aufgerufen werden

      Der Kaiser bezog sein Wissen über die Abläufe im Staat aus den Akten und den persönlichen Gesprächen mit seinen Politikern. Die Berichte ehemaliger Ressortleiter decken sich in einem Punkt: Jeder Einzelne erinnerte sich, dass sich der Kaiser stets nur sehr kurz vortragen ließ und danach lange und gezielt Sachfragen stellte. Die Politiker hatten über jene Gebiete, die sie vorbringen mussten, extrem gut Bescheid zu wissen, Franz Joseph fragte von allen Seiten und verglich die verschiedenen Antworten seiner Politiker, um zu einem Gesamtbild zu kommen. Meist befragte er mehrere Regierungsmitglieder zum selben Thema, um eventuellen Widersprüchlichkeiten auf die Spur zu kommen.

      Wenn Franz Joseph keine Audienzen gab, diente der Vormittag dem Aktenstudium. Hin und wieder ließ der Kaiser Hofrat Franz von Hawerda-Wehrlandt, den Generaldirektor seiner persönlichen Vermögensverwaltung, die strikt von der Hofverwaltung getrennt war und deren Angestellte auch aus der Privatkassa Franz Josephs bezahlt wurden, zu sich kommen. Der Hofrat musste dann stets über den Vermögensstand des Kaisers berichten, über Aktientransaktionen, Ankäufe und Erträge aus Verpachtungen, aber auch über Auslagen und Zuschüsse für die Töchter und Enkelkinder des Kaisers. Solange die Kaiserin noch lebte, erhielt sie den Großteil aller finanziellen Privatzuwendungen Franz Josephs, vor allem Elisabeths Reise- und Bautätigkeit sprengten jeden Rahmen. Nach ihrem Tod bedachte der Kaiser vor allem die immer größer werdende Enkelschar mit Apanagen, Sparbriefen und wertvollen Geschenken.

      Zwei- bis dreimal wöchentlich empfing der Kaiser auch Oberstkämmerer Graf Leopold Gudenus – den bereits sechsten Inhaber dieses Postens; fünf Oberstkämmerer hatte Franz Joseph bereits überlebt. Der Oberstkämmerer war die zweithöchste Persönlichkeit bei Hof, er rangierte direkt nach dem Obersthofmeister. Graf Gudenus war für die kunsthistorischen Sammlungen (das heutige Kunsthistorische Museum), die Schatzkammer, die Waffensammlung,


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