Viribus Unitis. Martina Winkelhofer

Viribus Unitis - Martina Winkelhofer


Скачать книгу
in den Prunksälen der Hofburg vornahm, der Hof war auch sein unmittelbarer Lebensraum, sein Zuhause. Ob der Kaiser in der Hofburg, Schloss Schönbrunn oder Budapest weilte – wo er war, war auch sein Hof. Der Mikrokosmos Hof war ohne Franz Joseph nicht vorstellbar, doch der Kaiser konnte keinen Hof halten, ohne die Menschen, die diese Hofhaltung garantierten. Franz Joseph und seine Hofbeamten und Diener waren eine Schicksalsgemeinschaft. Sie lebten mit- und durcheinander, und obwohl sie soziale Welten trennten, waren sie doch eng verbunden. Die Eigenständigkeit des Hofes zeigte sich auch im Loyalitätsverständnis seiner Mitglieder. Die Hofbediensteten waren Diener des Kaisers, und nicht des Staates (obwohl de jure der Kaiser lediglich als Staatsoberhaupt Anspruch auf eine Hofhaltung hatte). Alles Recht, aber auch jede Garantie auf ein sicheres Leben ging für die Hofstaatsdiener von Franz Joseph aus. Er allein garantierte die Einhaltung der jahrhundertealten Rechte der Hofbediensteten. So lange der Kaiser an seinem Platz war, waren auch Arbeit und Absicherung jener Menschen garantiert, die bei Hof lebten.

      Nach dem Frühstück klingelte Kaiser Franz Joseph nach seinem diensthabenden Flügeladjutanten Graf Heinrich Hoyos, der in seinem Dienstzimmer vor den kaiserlichen Appartements seit drei Uhr morgens in voller Montur an seinem Schreibtisch saß und mit dem Kopf in den Händen versuchte, noch ein bisschen Schlaf zu bekommen. Beim Ertönen der kaiserlichen Glocke sprang er blitzartig von seiner halben Schlafstellung auf, richtete seine Frisur, nahm die Aktentasche und stürzte zum Kaiser. Wenn die Adjutanten ihren Dienst begannen, schlief selbst der Kaiser noch. So ehrenhaft die Aufgabe war, so schwer war es doch für die meisten, diese frühen Dienste anzutreten. Im Dunkeln schlichen sie zu ihrem Adjutantenzimmer, begegneten höchstens verschlafenen oder übernächtigen Saaltürhütern und warteten, bis ihr Herr nach ihnen klingelte. Das erste halbe Jahr war immer besonders hart. Graf Hoyos, der beim alten Kaiser seinen Dienst versah, schrieb in den ersten Monaten seines Dienstes täglich Briefe an seine Frau, in denen er von der großen Müdigkeit berichtete, von den Qualen um halb drei Uhr morgens aufzustehen und im eiskalten Vorraum zu sitzen, wenn noch nicht einmal die Zimmerheizer aufgestanden waren.2

      Traditionell absolvierten die Adjutanten, deren Zahl jeweils zwischen drei und sechs schwankte, ihren Dienst beim Monarchen als Turnusdienst. Aus den verschiedenen Waffengattungen des kaiserlichen Heeres wurden in Frage kommende fleißige Militärs ausgewählt und dem Kaiser zur Wahl gegeben. Nachdem sich Franz Joseph für vier entschieden hatte, traten sie ihren zwei- bis dreijährigen Dienst an und waren nun für die Dauer ihres Dienstes stets um den Kaiser. Die Adjutanten bildeten nicht nur die ständige Begleitung des Kaisers, sie waren auch für den persönlichen Aktenlauf zwischen Kriegsministerium und Kaiser verantwortlich. Wenn der Kaiser klingelte, brachte der Flügeladjutant die Aktenmappe mit den neuen Papieren, die am Vorabend noch vom Ministerium geschickt worden waren, zum Monarchen und bekam die von Franz Joseph bereits erledigten Akten, die nun wieder ins Ministerium retourniert wurden.

      Danach setzte sich der Flügeladjutant wieder an seinen Schreibtisch, sah die Audienzliste durch und wartete auf den ersten Vorsprechenden. Der Erste war meist der kaiserliche Leibarzt, der zum täglichen Plausch kam. Da der Kaiser eine eiserne Gesundheit besaß, gab es statt einer Untersuchung meist ein kurzes Gespräch.

      Nach dem Leibarzt kam der Erste Generaladjutant an die Reihe: Graf Eduard Paar, der dem Kaiser schon seit Jahrzehnten diente. Er war der Vorgesetzte seiner Flügeladjutanten, hatte aber eher die Rolle eines persönlichen Vertrauten des Kaisers. Er unterstand als aktiver General zwar dem Kriegsministerium, war also de jure kein Mitglied des Hofstaates, gehörte aber zum Alltagsbild des Hofes. Obwohl Graf Paar keine wesentlichen Aufgaben hatte, außer für einen reibungslosen Ablauf des Adjutantendienstes zu sorgen, wollte der Kaiser keinesfalls auf seine ständige Gegenwart verzichten.

      Graf Paar war ein ruhiger, ausgeglichener Mann. Er begleitete den Kaiser auf seinen Reisen, bei den täglichen Ausfahrten und zu allen Festlichkeiten. Franz Joseph hatte die Achse seines Lebens gebildet, er alterte mit seinem Herrn und war väterlicher Vertrauter der jungen Militärs bei Hof. Graf Paar war einer der wenigen bei Hof, über den seine Zeitgenossen kein einziges schlechtes Wort verloren. Er war ruhig und nachsichtig im Urteil, verbreitete eine stoische Ruhe um sich und war auch dem Kaiser gegenüber völlig unbefangen. Stets pfiff Paar vor sich hin, was an sich strengstens verpönt war in der Nähe des Kaisers, doch Franz Joseph war so sehr an ihn gewöhnt, dass ihm das Pfeifen nicht einmal mehr auffiel. Der Generaladjutant rauchte auch ungewöhnlich viel in der Nähe des Kaisers. Bei Bahnfahrten nebelte er den Kaiser im gemeinsamen Abteil regelrecht ein und nicht wenige Höflinge erzählten, dass man im rauchverhangenen Abteil oft gar nicht wusste, wo der Kaiser saß und wo Paar. Dem Kaiser machte das wenig aus. Solange er nicht auf die Anwesenheit seines alten Paar verzichten musste, störten ihn weder Gepfeife noch Rauch. Die tägliche Aufwartung Paars in der Früh dauerte nur kurz. Gleich danach kam der Erste Obersthofmeister zu Franz Joseph. Fürst Alfred Montenuovo betrat in seiner reich bestickten Uniform eines obersten Hofwürdenträgers die Appartements des Kaisers.

      Der Obersthofmeister war die Eminenz, der Verwalter des Hofes. Er war Herr über das Zeremoniell, den glanzvollen Außenauftritt des Kaiserhofs sowie oberster Manager. Er überwachte mit Argusaugen die Kosten des Hofes, hatte das Personal unter sich, war für die Sicherheit bei Hof zuständig und durfte als Einziger den Kaiser offiziell vertreten. Nur Abkömmlinge aus Fürstenhäusern konnten diese Stelle einnehmen, denn der Obersthofmeister führte den ersten Rang bei Hof, jeder Aristokrat musste nach ihm im Gefolge des Kaisers auftreten, ein weniger hoher Adelige hätte das komplizierte Rangsystem durcheinandergebracht und Kaiser Franz Joseph liebte nichts weniger als Komplikationen in bewährten Systemen.

      Fürst Montenuovo blieb nur kurz bei Franz Joseph, denn er musste nicht sämtliche Tagespunkte in seiner kurzen Morgenaudienz abklären. Er hatte das Recht auf unangemeldeten Zutritt beim Kaiser, ein Recht, das nur dem Obersthofmeister zustand. Wenn er mit dem Kaiser Rücksprache halten wollte, musste er sich nur bei den Kammertürhütern melden, was außer ihm nur die engsten Familienmitglieder Franz Josephs durften, und selbst diese trauten sich nur in dringenden Fällen ohne Aufforderung zu kommen, meistens ließen sie selbst bei Fürst Montenuovo anfragen, ob sie vorbeikommen dürften.

      Obersthofmeister Montenuovo war bereits der vierte Obersthofmeister unter Franz Joseph, ein Umstand der auf die lange Lebens- und Regierungszeit des Kaisers zurückzuführen ist, denn die Stelle des Obersthofmeisters war auf Lebenszeit. Drei seiner Obersthofmeister hatte der Kaiser schon überlebt, obwohl zwei von ihnen sogar jünger waren als er selbst. Bei einer reinen Regierungszeit von 68 Jahren überlebte Franz Joseph den Großteil seiner Hofwürdenträger. Der Kaiser gewöhnte sich zwar schnell an Veränderungen, mancher Verlust an Vertrauten traf ihn aber schwer. Seinen ersten Obersthofmeister Fürst Franz Liechtenstein musste er schon vor mehr als 50 Jahren in den Ruhestand verabschieden. Liechtenstein war sein väterlichster Obersthofmeister. Er hatte in seiner Amtszeit zwar keine Glanzleistungen vollbracht, aber zumindest als wichtige Integrationsfigur gegolten, der zwischen den Bedürfnissen der einfachen Hofdiener und strikten Sparprogrammen stets ein Mittelmaß durchsetzte.

      Sein Nachfolger Prinz Konstantin zu Hohenlohe-Schillingsfürst war der Bedeutendste unter allen Obersthofmeistern. Niemand wusste, wieso die Wahl des Kaisers auf diesen kleinen Adjutanten gefallen war, der keine Erfahrung bei Hof hatte und außerdem kein österreichischer, sondern ein deutscher Aristokrat war, und gerade nach der Niederlage gegen Preußen zum ersten Mann bei Hof ernannt wurde. Wollte der Kaiser damals ein politisches Zeichen setzen? Österreich wurde nach Königgrätz auf Drängen Preußens aus dem Deutschen Bund ausgeschlossen, einer der eifrigsten Befürworter war Hohenlohes Bruder, damals bayrischer Ministerpräsident, der heftig gegen Österreich votierte. Ob der Kaiser nun mit der Ernennung eines deutschen Fürsten demonstrieren wollte, dass er sich immer noch in der Tradition des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation sah oder ob er einfach instinktiv die Fähigkeiten Hohenlohes erkannte – der neue Obersthofmeister war jedenfalls der größte Gewinn für den Hof in der gesamten Ära Franz Joseph.

      Hohenlohe führte den Hof in eine neue Zeit. Er modernisierte, stellte den Hof auf eine gesunde finanzielle Grundlage und brach mit überkommenen Traditionen. Wer unter ihm bei Hof Karriere machen wollte, musste gute Arbeit leisten. Alte, hochdekorierte Beamte, die wenig Engagement zeigten, schickte er in Pension oder überging sie ungerührt bei Beförderungen, dafür holte er einfache, aber gut ausgebildete und


Скачать книгу