Viribus Unitis. Martina Winkelhofer

Viribus Unitis - Martina Winkelhofer


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dem durch den Übergang Österreichs vom absoluten Staat zum Verfassungsstaat bedeutende Instrumente seiner Macht aus den Händen gerissen wurden, zeigt aber auch die Schwierigkeiten, die entstanden, wenn sich ein Herrscher, der Traditionalität und Kontinuität verkörperte, plötzlich den politischen, gesellschaftlichen, aber auch privaten Herausforderungen einer neuen Zeit stellen musste.

      Eine Geschichte über den Hof unter Kaiser Franz Joseph bietet knapp 100 Jahre nach dem Ende der Monarchie nicht zuletzt den Beginn einer wissenschaftlichen Neubewertung von Österreichs längstgedientem Herrscher.

       Wien, im Oktober 2008

       I

       Ein Tag am Hof des alten Kaisers

       Der kaiserliche Badewaschl – Der Hof erwacht zum Leben – Die Adjutanten – Die Morgenvisiten – Das Vormittagsprogramm des Kaisers – Die allgemeinen Audienzen – Gespräch mit dem persönlichen Vermögensverwalter – Die Hofwürdenträger erscheinen – Einsame Mittagessen am Schreibtisch – Die Wachablöse – Arbeitsame Nachmittage – Kaiser Franz Joseph in den Augen seiner engsten Umgebung – Die abendlichen Pflichten – Die anstrengenden wöchentlichen Seriendiners – Die kaiserliche Tafel – Letzte Aktendurchsicht – Am Ende eines kaiserlichen Tages

      Täglich um halb vier Uhr morgens wurde Kaiser Franz Joseph von seinem Ersten Leibkammerdiener geweckt. Nachdem er sein Morgengebet verrichtet hatte, wurde die Gummibadewanne herein geschoben, und »Seiner Majestät Erster Bademeister«, von den Höflingen nur respektlos »Badewaschl« genannt, trat seinen Dienst an. Seine wenig anspruchsvolle Tätigkeit bestand darin, den Kaiser einzuseifen und abzuspülen. Erschwert wurde diese Arbeit durch die Tatsache, dass der Badewaschl stets betrunken zum Dienst kam. Mehrfach wurde er von seinen Vorgesetzten schon verwarnt, immer wieder beteuerte der Badewaschl, dass er ein Opfer seiner Dienstzeiten sei. Er müsse so früh zum Dienst antreten, dass er nie aufkäme. Um dem vorzusorgen, bliebe er gleich immer im Wirtshaus sitzen, um die Nacht durchzumachen, und um bis halb vier Uhr früh munter zu bleiben, müsse er halt ein paar Glaserl Wein trinken. Nur deshalb würde er torkelnd und nach Alkohol riechend seine Arbeit beim Monarchen verrichten.

      Der Kaiser war mit seinem Badewaschl stets nachsichtig. Hin und wieder bemerkte Franz Joseph, dass der Bademeister heute aber wieder sehr nach Alkohol gestunken habe – einer Entlassung widersetzte er sich aber stets. Erst als der Badewaschl einmal so betrunken war, dass er nicht mehr gerade stehen konnte, sondern sich mit aller Kraft beim – bereits eingeseiften – Kaiser festhielt, um nicht umzufallen, und ihn somit fast mit samt seiner Badewanne umwarf, reichte es Franz Joseph: Der Bademeister musste von seinem schwierigen Amt erlöst werden. Er wurde aber nicht entlassen, sondern lediglich versetzt, an eine andere Stelle bei Hof, wo er nicht so früh aufstehen musste.1

      Die Geschichte von Kaiser Franz Joseph und seinem Bademeister steht symptomatisch für die Beziehung zwischen dem Kaiser und seinen Hofbediensteten. Franz Joseph war nachsichtig, scheute scharfe Bestrafungen, vor allem aber weigerte er sich – zur Verzweiflung seiner leitenden Beamten – Entlassungen vorzunehmen. Er lebte noch immer ganz im Sinne einer patriarchalischen Versorgungstradition und betrachtete sich als Vater seiner Hofbediensteten. Sie waren seine Kinder, um die er sich kümmerte, und die man auch nicht entließ, wenn sie ihre Arbeit schlecht verrichteten.

      Nach dem Bad half der Leibkammerdiener Eugen Ketterl seinem Kaiser in die Uniform. Danach wurde ihm das Frühstück auf seinem Schreibtisch serviert, das sich in nichts von dem seiner Hofbeamten und Diener unterschied. Neben Kaffee und Milch gab es Semmeln, Butter und Schinken. Mittlerweile erwachte auch der Hof zum Leben. Spätestens um fünf Uhr früh herrschte geschäftiges Treiben in den Höfen der Wiener Hofburg. Die ersten Kutschen lieferten Holz, Lebensmittel und Kanzleibedarf. Die Holzträger ächzten unter der Last ihrer Butten und begannen sämtliche Stiegen der Burg abzugehen, damit jede Wohn- und Arbeitseinheit das nötige Brennmaterial für den beginnenden langen Tag erhielt. Das Putzpersonal rannte mit vollen Eimern über den Inneren Burghof, um die tägliche Putzarbeit zu beginnen, in der Hofküche bereitete man sich auf die Ausgabe von mehr als 500 Frühstücksportionen vor, denn bis jetzt hatten lediglich jene Diener ihre Frühstückstabletts erhalten, deren Schicht schon um halb fünf Uhr morgens begonnen hatte. Die riesigen Öfen der Hofküche wurden angeheizt und das Küchenpersonal begann, die Zutaten für die Menüs des heutigen Tages zu waschen, putzen und schneiden. Wie jeden Tag mussten auch heute wieder Hunderte Frühstücke, Mittag- und Abendessen fertiggestellt werden. Heerscharen an Livreedienern, Saaltürhütern und Kammerpersonal wanderten über die Höfe, um an ihre Arbeitsstätte zu gelangen, während Nachtwächter und Aufsichtspersonal nach einem langen Dienst zu ihren Zimmern trotteten und sich endlich niederlegen konnten.

      Gegen halb acht Uhr morgens war der Hof endgültig erwacht: Die Hofbeamten begannen ihren Dienst. Sie hatten ihre Ehefrauen verabschiedet und verließen ihre Hofwohnungen, fein gekleidet in ihre Beamtenuniformen, auf die sie so stolz waren und die sie von den einfachen Livreedienern deutlich unterschied, und begaben sich in die Kanzleien und Schreibstuben des Hofes. Ein Tag voll Aktenstudium und Korrespondenz begann aufs Neue.

      Waren die Beamten an ihren Schreibtischen, hatte der Kaiser bereits dreieinhalb Stunden Aktenstudium hinter sich. Franz Joseph begann sein Tagwerk mit den ersten Arbeitern bei Hof und beendete es erst, wenn auch die letzte Schicht der Hofbediensteten bereits wieder in ihren Wohnungen war. Dazwischen lief das Leben bei Hof nach einem präzisen Uhrwerk ab, tagein tagaus der gleiche Ablauf, ein Räderwerk, in dem mehr als 1.500 Menschen ihren fixen Platz hatten, deren Tätigkeiten vielfältig ineinander liefen. Nicht einmal zeremonielle Großereignisse wie Hofbälle oder Staatsbesuche konnten den perfekten Ablauf aus den Fugen bringen – der Mikrokosmos Hof basierte schließlich auf 600 Jahren Erfahrung.

      Geht man heute durch die Höfe der kaiserlichen Residenz, strahlt die Hofburg eine kühle Ruhe aus. Die Fenster sind geschlossen und man vermutet bis auf die Prunkräume wenig Aktivität hinter den alten Gemäuern. Die Mansardenzimmer scheinen seit mehr als 100 Jahren unbewohnt. Nichts an der ruhigen, getragenen Stille der Hofburg erinnert an die kleine quirlige Stadt innerhalb Wiens, die sie einmal war. Zu Kaiser Franz Josephs Zeiten war der Hof wie ein lebhafter Bienenstock. Die Hofburg war von oben bis unten gesteckt voll. Wer bei Hof arbeitete, lebte auch hier. In den verschiedenen Trakten waren alle Wohneinheiten, von den Kellerzimmern bis zu den Mansarden, belegt. Je nach sozialem Rang lebten Hofdamen, Beamte oder Diener in den unzähligen Wohnungen und verbrachten nicht nur ihre Arbeitszeit, sondern ihre Lebenszeit bei Hof. Menschen wurden hier geboren, arbeiteten, dienten ihrem Kaiser und starben bei Hof. Für ganze Generationen war der Hof nicht nur glanzvoller Mittelpunkt des Habsburgerreiches, sondern Lebensraum, Heimat und Herkunft. Ein Großteil der Beamten und Diener wohnte mit samt Familie in den unzähligen Bedienstetenwohnungen, Ehepartner und Kinder lebten oft nur durch einige 100 Meter getrennt unter demselben Dach mit der kaiserlichen Familie. Eine größere soziale Vermischung war wohl in der ganzen Monarchie nicht zu finden.

      Die Hofburg war ein lebhaftes Pflaster und schon zu Kaisers Zeiten von der Außenwelt nicht abgesperrt. Die Burgtore versperrten nicht, sondern markierten Durchzugswege für die Wiener. Jedes Kind wusste, hinter welchen Fenstern der Kaiser arbeitete und schlief. Wer untertags durch die Höfe ging, geriet in einen Strudel an Betriebsamkeit. Beamte liefen mit Akten unter dem Arm von einer Kanzlei zur nächsten, Livreediener eilten mit Eimern oder Tabletts beladen über die Höfe, Kutschen hielten und fuhren ab, Lieferwägen fuhren zu, versperrten Durchfahrten und führten bei Fußgängern und Leibkutschern zu wildem Geschimpfe. Bei Hof kam und ging der gesamte gesellschaftliche Querschnitt der Habsburgermonarchie. Der Ministerpräsident und seine Regierungsmitglieder fuhren wöchentlich vor, die k. u. k. Hoflieferanten waren täglich auf den Burghöfen zu finden. Aristokratische Gentlemen ritten auf ihrem täglichen Weg zu den Rennbahnen im Prater über den Burghof, die Kindermädchen der reichen Bürger schoben die Kinderwägen quer durch den Burggarten, die Mägde und Knechte der benachbarten Palais trugen ihre Einkäufe vom Naschmarkt oder Fischmarkt heim zu ihren Herrschaften.

      Inmitten all dieses geschäftigen Treibens saß das Herz des Reiches. Kaiser Franz Joseph hielt von hier aus die Fäden seines 50-Millionen


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