Viribus Unitis. Martina Winkelhofer

Viribus Unitis - Martina Winkelhofer


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Ankäufe neuer Kunstwerke; lediglich bei Beträgen, die das übliche Ankaufsetat sprengten, musste er die Erlaubnis des Kaisers einholen, was allerdings nicht allzu oft vorkam, denn Franz Joseph war auf Mehrausgaben seiner Hofstäbe immer schlecht zu sprechen.

      Entgegen der landläufigen Meinung, dass sich Kaiser Franz Josephs Interesse ausschließlich auf das Militär beschränkte, hatte der Kaiser eine große Neigung zur Kunst, vor allem angewandter Kunst stand er sehr offen gegenüber. Ausstellungseröffnungen und die großen Wiener Gewerbeausstellungen waren nicht nur Pflichtprogramme für den Kaiser. So oft es ging, ließ er Besuchsprogramme in seinen Kalender eintragen, meist mussten wegen Zeitdruck sämtliche Ausstellungen, die keinem größeren Auftritt dienten, zugunsten anderer Termine aber wieder herausgestrichen werden. Damit der Kaiser trotz seines Arbeitspensums überhaupt manche Ausstellungen sehen konnte, versuchte Obersthofmeister Hohenlohe in späteren Jahren die Heimfahrtsroute des Kaisers von auswärtigen Terminen jeweils so zu legen, dass Franz Joseph wenigstens für zehn Minuten durch eine Ausstellung wandern konnte. Die Museums- oder Galeriedirektoren wurden oft nur kurzfristig informiert, um die Hauptstücke der Ausstellungen zusammenzutragen, damit der Kaiser innerhalb einer Viertelstunde die Highlights begutachten konnte.

       Den Großteil seines Lebens verbrachte der Kaiser hinter seinem Schreibtisch

      Wenn der Obersthofmarschall, der den dritthöchsten Rang bei Hof bekleidete, öfter als alle zwei Monate erschien, wussten die Hofbediensteten, dass es wieder Schwierigkeiten innerhalb der kaiserlichen Familie gab und der Kaiser mit Graf Bela Cziraky wieder einmal um eine Lösung für einen weiteren Familienskandal rang. Als Obersthofmarschall war der Ungar Graf Cziraky der Rechtsbeistand der kaiserlichen Familie, sein Obersthofmarschallamt war die exklusive Gerichtsbehörde der Habsburger. Üblicherweise war der Obersthofmarschall nur selten bei Hof anzutreffen, er war lediglich für Verlassenschaften, Heiratsverträge, Renunziationen, Beglaubigungen oder für Disziplinarangelegenheiten zuständig. Um die Jahrhundertwende waren aber plötzlich mehr juristisches Wissen und eine häufigere Anwesenheit von Graf Cziraky gefragt, als die Zahl der unebenbürtigen und morganatischen Eheschließungen der jungen Erzherzöge zunahm, einzelne Mitglieder aus dem Erzhaus austraten und einige junge Habsburger europaweit bekannte Skandale auslösten.

      Der vierte und letzte der vier höchsten Hofwürdenträger war Oberststallmeister Prinz Ferdinand Kinsky, der extrem gut aussehende Dandy des Hofes. Ferdinand Kinsky, der Neffe des verstorbenen Obersthofmeisters Liechtenstein, war durch reine Protektion an den Hof gekommen – was eifrig beklatscht wurde –, aber nichtsdestotrotz ein versierter Kenner auf seinem Gebiet. Als Oberststallmeister unterstanden ihm der kaiserliche Marstall, der mehrere hundert Pferde zählte, die Wagenburg, das Fouragemagazin, die Fuhrwerke, die Hofreitschule und die Gestüte Lipizza und Kladrub. Der Oberststallmeisterstab war extrem kostspielig und deshalb eng mit der Zentralstelle des Hofes, dem Obersthofmeisteramt, verbunden. Prinz Kinsky musste sich täglich bei Hof einfinden. Die Verwaltung des kaiserlichen Marstalles erforderte eine vollzeitliche Tätigkeit bei Hof.

      Täglich zwischen halb zwölf und zwölf brachten die Diener das Mittagessen des Kaisers. Franz Joseph aß stets alleine und nahm das Essen an seinem Schreibtisch ein. Das Essen wurde aus der Hofküche geholt, im Vorraum der kaiserlichen Appartements mittels eines Rechauds noch einmal aufgewärmt und dann neben den Akten serviert. Es gab täglich dasselbe: Suppe, ein Stück Fleisch mit Beilagen, Bier oder Wein und als Nachtisch eine klassische Wiener Mehlspeise.

      Während der Kaiser aß, lief der Betrieb in der Hofküche auf Hochtouren. Hunderte Personen mussten innerhalb von zwei Stunden verköstigt werden. Es gab bei Hof weder eine Kantine noch einen großen Speisesaal, deshalb wurde das Essen am Arbeitsplatz oder in den unzähligen Winkeln des Hofes eingenommen. Den Beamten wurde das Mittagessen wie dem Kaiser an ihren Schreibtischen serviert, geschützt von metallenen Hauben, die über die Teller gestülpt wurden, die Hausoffiziere und Diener mussten sich ihre Tabletts selbst aus der Küche holen und suchten sich einen ruhigen Treppenaufgang oder ein stilles Eck, wo sie in Ruhe ihre Hauptmahlzeit einnehmen konnten.

       Das Mittagessen des Kaisers wird im Vorraum angerichtet

      Hofbedienstete konnten sich ein Abonnement auf die Hofküche nehmen, sie bekamen dann zum Selbstkostenpreis Frühstück, Mittagessen und Abendessen – einer der vielen finanziellen Vorteile einer Beschäftigung bei Hof. Zur Wahl standen drei Kategorien, wobei die teuerste dem täglichen Menü des Kaisers mit Suppe, Hauptspeise und Nachspeise entsprach, die beiden billigeren waren um nichts weniger gut, sondern unterschieden sich nur in der Aufbereitung von der teuersten Variante. Jeder Hofbedienstete konnte frei wählen, welche Variante er wünschte. Die Beamten entschieden sich meist für das »kaiserliche Menue«, während die Diener die billigeren Mittag- und Abendessen bestellten. Die Küche war einfach, aber gehaltvoll in der Zubereitung, die Speisen mehr als reichlich. Ein Besucherin bei Hof, die eines der einfachen Menüs serviert bekam, erinnert sich: »Das Menü war da ziemlich einfach, es gab zb. Schnitzel mit Beilagen und Schmarren mit Apfelbrei, aber in höchster Vollendung zubereitet.«4 Die Portionen waren so groß, dass bei den »Menüs I. Klasse« (also den teuren) meist eine zweite Person mitverköstigt wurde. So mancher hohe Hofbeamte schickte die Hälfte seines Menüs seinem Diener, und viele niedere Beamte teilten sich ein Mittagessen mit ihren Gattinnen, die ihre Hälften von einem Diener in ihren Hofwohnungen serviert bekamen.5

      Bei einer derart großzügigen Verköstigung gab es auch enormen Missbrauch. Viele einfache Hofdiener besserten sich ihr Gehalt durch den heimlichen Verkauf ihrer Hofabonnements auf. Fürstin Nora Fugger erinnert sich: »Halb Wien lebte eingestandenermaßen von der Hofküche und vom Hofkeller. Der Aufwand war ein enormer. Anfängliche Eigenmächtigkeiten, auch manche Betrügereien wurden mit der Zeit zu gewohnheitsmäßigen Ansprüchen, zu Deputaten … Manches hat sich im Laufe der Zeit geändert; doch der Unfug in der Hofwirtschaft hat sich bis zuletzt erhalten.«6

      Nach dem Mittagessen zeigte sich der Kaiser täglich am Fenster, um die Wachablöse auf dem Burghof zu beobachten. Außer der Burgwache gab es bei Hof noch die kaiserlichen Leibgarden, die seit jeher für die Bewachung und Begleitung der kaiserlichen Familie verantwortlich waren. Ihre Verwaltung unterstand zwar dem Obersthofmeister als Oberst aller Garden, bezahlt wurden sie allerdings nicht vom Hof, sondern vom Kriegsministerium, da sie aktive Militärpersonen des Heeres waren. Bei Hof dienten sechs verschiedene Garden, vier davon waren für den Wach-, Sicherheits- und Ordnungsdienst zuständig und aktive Militärs. Bei jenen zwei Garden, die als reine Ehren- und Sicherheitswachen fungierten, dienten Offiziere, die bereits in den Ruhestand getreten, für den Gardedienst aber noch geeignet waren. Die pensionierten Offiziere erhielten für ihre Dienste vom Hof eine Aufzahlung auf ihre Pension.7

      Die Nachmittage des Kaisers gehörten wieder dem Aktenstudium, unterbrochen von einzelnen individuellen Audienzen. Am späten Nachmittag gönnte sich der Kaiser einen Spaziergang in Schönbrunn oder – wenn der Terminplan nicht zu eng war – im Schlosspark von Laxenburg. Auf dem Weg zu seiner Kutsche begegnete der Kaiser auch jenen Hofbeamten und Dienern, die nicht seine unmittelbare Umgebung bildeten. Sobald der Kaiser die Appartements und den Hof durchquerte, versanken die Dienerinnen in einen Knicks und die Beamten und Livreediener, aber auch die Holzträger, die seinen Weg kreuzten, in ihren tiefsten Bückling. Der alte Kaiser wurde wegen seiner persönlichen Bescheidenheit und seinem Pflichtgefühl, das schon zu seinen Lebzeiten sprichwörtlich war, hoch verehrt. Jeder bei Hof wusste, dass sein Leben nach den unzähligen Schicksalsschlägen, die ihn getroffen hatten, nur mehr dem Erhalt der Dynastie gewidmet war.

      Franz Joseph war ein vollendeter Vorgesetzter, Untergebenen gegenüber gütig und höflich und frei von jedem Sarkasmus und verbaler Geringschätzung. Jede Kritik an der Institution Hof, an einzelnen Entscheidungsträgern oder an Maßnahmen machte stets vor der Person des Kaisers Halt. Alle, die in seiner unmittelbaren Umgebung arbeiteten, schwärmten von ihm. Sein berühmter Leibkammerdiener Eugen Ketterl berichtet von der bescheidenen, überhöflichen Art des Kaisers: »Der Kaiser war zu uns allen sehr gütig und von eigenartiger


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