Viribus Unitis. Martina Winkelhofer

Viribus Unitis - Martina Winkelhofer


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Ungarns, dem Verlust der Führungsrolle Österreichs im Deutschen Bund, der Mitbestimmung eines Parlaments und nicht zuletzt auch großen persönlichen Veränderungen innerhalb der Dynastie zurechtzukommen.

      Jahrzehnte und viele persönliche und politische Niederlagen später war Franz Joseph ein Herrscher, der sich ganz den Anforderungen der modernen Zeit gebeugt hatte. Wie kaum ein anderer Herrscher verfügte Kaiser Franz Joseph über eine geradezu erstaunliche Anpassungsfähigkeit. Was unausweichlich sein musste, wurde akzeptiert, mochte es auch noch so sehr gegen die persönliche Einstellung sein – ein wehmütiger Blick zurück passte nicht zu Franz Joseph. Prinzessin Marie Hohenlohe, die Witwe seines bedeutendsten Obersthofmeisters, die den Kaiser über mehr als 50 Jahre aus nächster Nähe beobachten konnte, schrieb 1913 über ihn: »Er hat zu viele Katastrophen erlebt, die ihn zum modernen Menschen umgestempelt haben. Seine Kindheit und Jugenderinnerungen müssen tief eingesargt in seinem Gedächtnis ruhen, als wäre es ein anderer gewesen, der zum kindlichen Handkuss bei Kaiser Franz sich einfand, und unter Radetzky die Feuertaufe empfing.«12

      Dass Kaiser Franz Joseph seine Hofgebäude zur Gänze übernehmen konnte, grenzt an ein Wunder, denn zwei Monate vor seiner Thronübernahme war ein Brand in der Hofburg ausgebrochen, der nur durch den mutigen Einsatz kaisertreuer Wiener gelöscht werden konnte. Im Lauf des 31. Oktober 1848, dem Tag der Einnahme Wiens durch Feldmarschall Alfred Windisch-Graetz, brach in der Hofbibliothek ein Feuer aus. Ob es sich um einen Sabotageakt oder Unachtsamkeit gehandelt hatte, konnte nicht geklärt werden. Anton Thiel, anwesender Rechnungsrat der Hofbuchhaltung, schrieb für den Kaiser nachträglich einen Bericht über die Löschmaßnahmen, der zeigt, dass der Hof weder irgendwelche Notfallpläne für derartige Katastrophen bereit hatte, noch dass das Hofpersonal im Stande war, in Extremsituationen gemeinsam an einem Strang zu ziehen. Die Höflinge sahen völlig hilflos dem Brand zu und scheiterten – ohne Führung durch einen kompetenten Vorgesetzten – an der Koordination der Löscharbeiten. Die zahlreichen neugierigen Wiener, die zur Brandstelle liefen, sahen kopflose überforderte Höflinge, die bis auf einen nicht auf die Idee kamen, die herumliegenden Wasserspritzer zu benutzen. Erst das beherzte Eingreifen eines Passanten, der dem Treiben nicht mehr zusehen konnte, änderte die Situation. Ein dem Bericht nach einfacher Mann rief plötzlich in die Menge: »Wer es gut mit dem Hause Österreich meint, kommt mit mir, wir können die Burg retten.«13 Die helfenden Bürger rissen die Leitung der Löscharbeiten an sich, wiesen die Höflinge an, Eimer herbeizuschaffen, formierten herbeigerufene Passanten zu Löschtrupps und rannten mit ihren Helfern zwischen Hof und zweitem Stock, wo sich der Feuerherd befand, mit abwechselnd vollen und leeren Eimern rauf und runter, weil immer noch zu wenig Menschen anwesend waren, um eine Schlange zu bilden. Wo sich zu diesem Zeitpunkt die sonst unzähligen Diener und Beamten befanden, die in der Burg wohnten, konnte auch im Nachhinein nicht geklärt werden. Erschwert wurde die Arbeit der kompetenten Freiwilligen dadurch, dass sich unter den höfischen Hilfskräften auch »Individuen aus Ständen darunter befanden, welche derlei Arbeiten ungewohnt sind14 Gegen zehn Uhr abends war das Feuer gelöscht – was ausschließlich den herbeigeeilten und beherzten Wienern zu verdanken war.

      Der Hofburgbrand zeigte deutlich, dass der Hof, den der junge Kaiser übernahm, Extremsituationen nicht gewachsen war. Fehlende Notfallpläne, mangelnde Eigeninitiative, vor allem aber eine lähmende Laschheit bestätigten die Vorurteile des Volkes gegen den Hof. Für die meisten Wiener waren Hofstellen reine Versorgungsposten. Leistung zählte weniger als Treue zum Kaiserhaus, und die Umständlichkeit der Hofbehörden war in Wien berüchtigt.

      Der Hof von Kaiser Franz Josephs Vorgänger, Kaiser Ferdinand I., war ein Relikt aus dem 18. Jahrhundert. Reformen waren überfällig. Die Verwaltung war völlig überaltert, die Administration ineffizient. Einen Überblick über die wesentlichsten Abläufe hatte nicht einmal das Obersthofmeisteramt. Die lange Liste der Beschwerden und Verwarnungen zeigt, wie sehr eine straffe, vor allem aber achtsame Führung fehlte. Standen zwar schon unter Kaiser Franz I. (II.) (1792–1835) Nachlässigkeiten auf der Tagesordnung, kippten während der Herrschaft Kaiser Ferdinands (1835–1848) Arbeitsmoral und Personalaufsicht völlig. Hofbedienstete, die ihren Dienst überhaupt nicht mehr oder unter grober Missachtung jeglicher Vorschriften verrichteten, mussten entlassen werden – was nicht nur ein schlechtes Bild auf die Entlassenen warf, sondern auch auf deren Vorgesetzte. Ihnen entgingen Missstände, sie griffen erst bei massiven Problemen ein und konnten dann nur mehr Entlassungen vornehmen – an sich ein Tabu am Kaiserhof. Gerade Entlassungen, die in Zusammenhang mit mangelnder Kontrolle durch Vorgesetzte standen, konnten nicht alleine dem niederen Personal zugerechnet werden, hier vernachlässigten die höheren Beamten massiv ihre Aufsichtspflicht, denn das heute übliche Prinzip der Eigenverantwortlichkeit konnte gerade bei einem patriarchalischen Hof, der selbst in das Privatleben seiner Hausmitglieder durch Vorschriften eingriff, nicht vorausgesetzt werden. Dass am ferdinandeischen Hof die linke Hand nicht wusste, was die rechte tat, zeigt eine Instruktion aus dem Jahre 1842: »Wegen Verbrechen, Vergehen oder Vernachlässigung entlassene Individuen dürfen auch nicht als Diurnist (tageweise angestellte Person) verwendet werden.«15 Wer entlassen wurde, konnte ohne Wissen der Hauptstelle bei einer anderen Hofstelle als Hilfsarbeiter wieder aufgenommen werden. Fehlender Überblick machte Entlassungen und Strafen wirkungslos.

      Kaiser Franz Joseph übernahm von seinem Onkel Kaiser Ferdinand (»der Gütige«), dem in breiten Teilen der Bevölkerung beliebten, relativ aufgeschlossenen, aufgrund seiner schweren Epilepsie aber eingeschränkten Herrscher, zu einem Zeitpunkt den Thron, als neben der permanenten Gefahr einer weiteren Revolution das Reich auch immer knapp vor einem Staatsbankrott stand. Franz Joseph musste erleben, dass seine Familie vor den Wiener Aufständen nach Tirol floh, und sehen, wie das Volk das Gottesgnadentum der Habsburger in Frage stellte. Fernab der Residenzstadt in Olmütz wurde er zum neuen Kaiser proklamiert. Von Beratern hielt der junge Monarch wenig. Er hatte gesehen, wohin die politische Bevormundung seinen Vorgänger gebracht hatte, und verbat sich schon als Achtzehnjähriger jegliche ungefragte Meinung.

      Franz Joseph vertraute in seinen ersten zehn Jahren nur zwei Männern: Fürst Felix Schwarzenberg, seinem bereits 1852 verstorbenen Ministerpräsidenten, der seinem Reich einen straffen Zentralismus verordnete, und Graf Karl Grünne, seinem früheren Kammervorsteher, dem späteren allmächtigen Chef seiner Militärkanzlei, dem gefürchtetsten und meist gehassten Mann am Hof des jungen Kaisers.

      Graf Grünne war die widersprüchlichste Gestalt, die jemals in der Umgebung des Kaisers zu finden war. Er war ganz Militär, roh, rücksichtslos in seinem persönlichen Ehrgeiz, direkt bis zur Unhöflichkeit, intrigant und falsch, gleichzeitig aber schonungslos offen, wenig konfliktscheu, kein aalglatter Höfling, der sich mit dem Wind drehte. Seinem jungen Kaiser war er bedingungslos ergeben. Seine Freunde rühmten seine direkte Art und schonungslose Offenheit, der Rest des Hofes hielt ihn für machtbesessen, ungebildet und ungehobelt. Die Hofdame Therese Fürstenberg erinnert sich: »Er war in höchstem Grade ungebildet wie so viele Offiziere seiner Zeit, aber ein Pfiffikus ohnegleichen, ein wahrer Fuchs. Schlau im Verkehr am Hofe, grob und rücksichtslos dagegen Leuten gegenüber, die er nicht zu schonen brauchte. Seine Freunde nannten ihn deshalb einen ungeschliffenen Diamanten.«16

      Graf Grünne stieß während des Tiroler Exils zur Kaiserfamilie. Er war zu diesem Zeitpunkt 40 Jahre alt, bereits bei Hof tätig und bisher durch nichts außer durch einen eiskalten Loyalitätsbruch aufgefallen. Bevor Grünne zum jungen Franz Joseph stieß, war er Obersthofmeister des Palatins von Ungarn, Erzherzog Stephan, der bei Ausbruch der Revolution zwischen die Fronten geriet. Die Ungarn forderten Unabhängigkeit von Wien, der Wiener Hof aber eine strikte Beibehaltung des Status quo. Als Erzherzog Stephan den Aufständischen Zugeständnisse machte, quittierte Graf Grünne theatralisch seinen Dienst und begab sich zur kaiserlichen Familie ins Innere Exil – wohl wissend, dass hier künftig die Macht liegen würde, vorausgesetzt freilich die Revolution würde niedergeschlagen werden.

      Nicht nur die Mutter Franz Josephs, auch die konservativen Militärs im Umkreis der kaiserlichen Familie waren von Grünnes demonstrativer Ablehnung jeglicher Zugeständnisse an Revolutionäre begeistert und sollten von nun an seine größten Unterstützer bei Hof werden. Dass er seinen bisherigen Herrn eiskalt im Stich gelassen und bloßgestellt hatte, darüber wurde hinweggesehen. Graf Grünne, der flugs zum Kammervorsteher Franz Josephs ernannt wurde,


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