Um die Pfote gewickelt. Katharina Messner

Um die Pfote gewickelt - Katharina Messner


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im Heu lag, beschloss man, einen Kater fürs Grobe, soll heißen für die lästigen Mäuse, die ums Haus schon fröhliche Urständ feierten, zu nehmen. Alice war rot. In der Regel sind nur Kater rot. Rote Katzenweibchen sind die Ausnahme, von der die Menschen aber nichts wussten. Und sie schauten nicht so genau. „Mit Katern hat man keine Nachwuchsprobleme“, sagte der Herr des Hauses. „Wir werden ihn Aladin nennen.“

      Aus Aladin wurde im Heranwachsen Alice. Es war nicht zu übersehen und nicht zu leugnen. Aber nun hatte Alice ihre Zweibeiner bereits mit so viel Sanftmut und Geschnurre bezaubert, dass sie bleiben durfte. Auch stellte sich schon bald heraus, dass sie eine begnadete Mäusefängerin war. Eine Meisterin auf dem Gebiet „Hört ihr Mäuslein, lasst euch sagen, euer letztes Stündlein hat geschlagen“.

      Ja, man ließ sie sogar ihren ersten Wurf bekommen. Jenen Schicksalswurf, der mich, den einmaligen Tizian, hervorbringen würde. Allerdings machte man sich wohl Gedanken um den Nachwuchs. Meiner Meinung nach, keine guten. Aber was soll’s, ich hätte es ohnehin nicht ändern können. Und was mich persönlich betrifft – mich hat die blaue Glücksfee der Katzen (angeblich trägt diese das rauchblaue Plüschfell der wunderschönsten Kartäuserkatze) mit ihrem Zauberstab berührt. Ich durfte leben. Ich darf mit meinem Schicksal zufrieden sein.

      „Die Jungen, für die wir Plätze haben, werden behalten. Die anderen schaff ich fort“, sagte der Herr des Hause, als sich der Bauch meiner Mutter Alice zunehmend rundete. Bedenken Sie: fortschaffen! Wie das klingt! Dabei war der Mann keineswegs herzlos. Er dachte nur praktisch nach Menschenart. Gut, dass meine Mutter Alice ihn nicht verstehen konnte. Sie trug immerhin sechs klitzekleine Katzenbabys unter dem Herzen und war eine prächtige, sanfte, stolze werdende Mama.

       Tizian auf Herbergssuche

      Der Sohn des Hauses fragte bei Freunden nach: „Du, unsere Alice bekommt Junge. Wir brauchen gute Plätze!“

      „Wollen tät ich schon. Aber dürfen tu ich nicht. Meine Eltern erlauben kein Haustier.“

      „Wir haben doch den Hund, der hasst Katzen.“

      „Danke, kein Katzenbedarf.“

      Die Herbergssuche für die noch Ungeborenen verlief nicht eben erfolgreich. Der Sohn des Hauses war unglücklich. Er liebte Alice. Er liebte ihre Kinder schon jetzt. Er wollte nicht, dass sie „fortgeschafft“ würden.

      Er traf den ältesten Sohn jener Frau, deren wichtigste Lebensaufgabe mittlerweile darin besteht, meine Katzenfutterdosen heimzuschleppen. Das wusste sie damals natürlich ebenso wenig wie ich, der noch in jenem Teich herumschwamm, wo die ungeborenen Katzenkinder auf großen Seerosenblättern gewiegt werden, ohne dass ihnen auch nur eines ihrer Fellhaare benetzt wird.

      „Du Philipp, wollt’s ihr nicht eine Katze? Wenn ich keine Plätze für die Jungen von der Alice finde, schafft der Papa sie fort.“

      Die Schicksalsfäden begannen sich zu vernetzen, begannen mein Leben zu knüpfen.

      Da saß er, der junge Mann, der so lange zu unserem Haushalt gehört hatte, bis er fortzog, um sich sein eigenes Leben einzurichten. Er überlegte nicht lange. Kein Herumfackeln in Zeiten höchster Katzennot. „Wir nehmen einen Kater!“ Die Freunde waren sich einig. Auch wenn Philipps Mutter erst unlängst kategorisch erklärt hatte: „Nie wieder ein Hausier!“ Wer wollte diese Äußerung schon ernst nehmen, im Hinblick darauf, dass es galt, mich, den einzigartigen Tizian, zu retten.

      Man stellte die Frau vor vollendete Tatsachen. „Mama, du wirst doch nicht wollen, dass der kleine Kater stirbt!“ Was kann eine Katzenfreundin auf so eine Frage schon antworten.

      So kam es, dass ich das Licht der Welt nicht nur erblicken, sondern es auch weiterhin genießen durfte. Ich und meine kleine Schwester, die Glückskatze mit dem dreifarbigen Fell. Für die hatte sich im letzten Moment noch eine gute Seele, eine entfernte Tante gefunden.

      Alice brachte uns im warmen Heizungskeller zur Welt. Sie war eine so wundervolle Mutter. Sie liebkoste ihr kleines Sextett, biss uns die Nabelschnur durch, fraß unsere Nachgeburt und leckte uns die noch geschlossenen Augen.

      Vier von uns verschwanden noch in derselben Nacht. Ich kann mich nicht daran erinnern, ob meine Mutter ihnen nachgeweint hat. Ob sie ihr sehr abgegangen sind. Ich hoffe nicht.

      Ich war schließlich genug mit mir selbst beschäftigt, mit meinem Lebenwollen. Ich und meine Glückskatzenschwester hingen stundenlang an den Zitzen unserer Mutter oder wir vergruben unsere winzigen Nasen in ihrem schimmernden roten Fell. Wir liebten ihren Duft, ihre raue Zunge, mit der sie uns die Ohren putzte, ihren sanften Nackenbiss, mit dem sie uns, eins nach dem anderen, an sonnigen Mittagen vom Wohnzimmer – dahin waren wir mittlerweile übersiedelt – auf die Terrasse trug.

      Ich hatte eine wundervolle Katzenkinderstube. Ich kam nie auf die Idee, dass ich da einmal weg müsste. Naives Katzenbabydenken.

       Ein rotes Minimonster

      Heute bis ich bereits viele Jahre weg vom Ort meiner Kindheit. Und Alice, meine Mutter, starb sehr jung. Sie ist schon lang im Katzenhimmel. Dort, wo für brave Katzenmütter der Mäusetisch stets reichlich gedeckt ist und wo es alle Tage lang so warm und gemütlich ist, wie auf der Ofenbank. Dort, wohin auch ich einmal auf leisen Katersohlen schleichen werde. Am Ende meiner neun Leben. In der Zwischenzeit habe ich noch genug zu tun.

      Wir Stubentiger tragen ja in unserer Seele noch die Ahnung von einem freien, wilden Leben. Wir lauern im Garten auf Mäusebeute, nicht anders, als die Steppenkatze Asiens im Dickicht Eidechsen jagt. Wir marschieren auf leisen Pfoten ums Haus, nicht anders, als seinerzeit die nubische Falbkatze um die Kornkammern von Jericho schlich. Wir plündern die Amselnester in der Zaunhecke, nicht anders, als die mitteleuropäische Wildkatze sich an den Vogelgelegen im Wald gütlich tut.

      Unser Herz aber haben wir, im Gegensatz zu den wilden Artgenossen, dem Menschen geschenkt. Und in unserem Gemüt bleiben wir ein Katzenleben lang kindlich: schmusesüchtig und zärtlichkeitsvernarrt. Wenn man uns streichelt, treteln wir mit den Vorderpfoten wie Katzenbabys an der Mutterzitze und schnurren wie ein Spinnrad in der warmen Stube.

      Es ist schon so: Wer uns Katzen liebt, der streichelt uns, hingebungsvoll, aufmerksam, und nie gegen den Strich.

      Apropos Streicheln: Die Frau, die meine Katzenfutterdosen heimschleppt, weiß, was sie mir schuldig ist: streicheln und lieb haben bis zum Abwinken. Dafür danke ich ihr mit meinem tiefsten und brummigsten Schnurren! Schade, dass Sie das nicht hören können!

      Genau acht Wochen war ich alt, als man mich beim Schopf nahm und wegtrug aus dem Haus meiner frühen Kindheit. Der Sohn des Hauses und sein Freund Philipp packten mich in einen Schulrucksack und verfrachteten mich ins Auto. Meine Güte, hatte ich da Herzklopfen! Bis zum Hals pochte es. Ich miaute mir meine kleine Katzenseele aus dem Leib. Ich rief nach meiner Mutter Alice, ja sogar nach meiner Glückskatzenschwester, obwohl mir ansonsten gar nicht so viel an ihr gelegen war. Aber in der Not erinnert sich ein verschrecktes Katzenkind sogar an die geschwisterliche Konkurrenz.

      Alles Miauen war vergebens. Das Auto fuhr weiter und weiter. Als es hielt, trug man mich ein paar Treppen hoch und präsentierte mich der versammelten Familie wie eine Spielzeugneuerwerbung. „Das ist jetzt unser Kater!“

      Sechs Zweibeiner – zwei der erwachsenen Art und vier Zweibeinerkinder von der Volksschülerin bis zum Maturanten – bestaunten mich.

      „Gott, wie süß!“ „Nein, wie niedlich!“ „Und wie rot!“ Ich, das verschreckte Fellbündel, hatte sie alle augenblicklich um meine rote Pfote gewickelt. Dabei war ich damals kaum größer als Philipps Handteller, auf dem ich lag.

      Man trug mich herum und zeigte mir die Futterschüsseln und das Katzenklo. Ich habe mir alles sofort gemerkt. Das mit dem Fressen sowieso, und auch das mit dem Katzenstreu. Ich komme schließlich aus einer guten Katzenkinderstube. Meine Mutter Alice hatte mir schon bald beigebracht, stubenrein zu sein. Diesbezüglich habe ich meiner Familie noch nie Schwierigkeiten gemacht. Keine Pfütze auf dem


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