Um die Pfote gewickelt. Katharina Messner

Um die Pfote gewickelt - Katharina Messner


Скачать книгу
„Mein lieber kleiner Tizian! Du bist ja anhänglich wie ein Hund!“ So spricht sie mit mir, einem Kater, und sie hält diesen hundehinkenden Vergleich auch noch für ein Kompliment.

      Und dann trat an diesem Tag, als abends der Fuchs kam, die Dämmerung ein. Die ganze Familie saß um den Tisch und spielte so ein albernes Spiel mit fünf Würfeln. Nur ich rüstete pflichtbewusst zur Nachtarbeit und trabte auf leisen Pfoten zur Hüttentür hinaus. Es war höchste Zeit, mal wieder ordentlich unter den frechen kleinen Spitzmäusen aufzuräumen.

      Plötzlich schlich ein roter Geselle mit buschigem Schwanz über die Lichtung. Rot wie ich – und in meinem Revier! Ein Fuchs. Er kam geradewegs auf unsere Hütte zu. Fuchsalarm! Bei einem Baumstumpf hielt er inne und witterte. In der Almstube war es auch fuchsmäuschenstill geworden. Meine Zweibeiner sahen gebannt zum Fenster hinaus. High-Noon-Stimmung in der Dämmerung. Der Fuchs und ich. Es möge nur keiner das Lied vom Tod spielen.

      In diesem Moment kam mein großer Auftritt. Volle Äktschn! Ich sprang hinter dem Holzschuppen hervor, Marke „Angriff ist die beste Verteidigung“. Ich machte dem Meister Reineke Beine. Und wie! Ich jagte ihn quer über den Almboden. Wir gaben bestimmt ein prächtiges Bild ab: Vorn der Fuchs, der nicht so recht wusste, wie ihm geschah, dahinter ich, und hinter mir die Großmutter meiner Zweibeinerfamilie. Die war aus der Hütte gestürzt, hatte irre Angst um mich und wollte mich irgendwie schützen.

      Angst hin, Angst her, Fuchs hin, Fuchs her, ich tat ja nur meine Katerpflicht. Ich verteidigte unser Almrevier, an diesem Tag, als abends der Fuchs kam.

       Ein nasses Fellbündel auf der Terrasse

      Wenn wir auf die Alm gehen, ist noch Hochsommer, wenn wir zurückkommen, klopft der Herbst schon an die Katzentür, die meine Zweibeiner für mich ins Kellerfenster geschnitten haben. Traurig genug. Aber dazu kam vor einigen Jahren noch jenes traumatische Herbsterlebnis, das mich, den Kater, der Tag und Nacht vom Fressen träumt, in Hungerstreik treten ließ. Können Sie ermessen, wie elend mir da zumute gewesen sein muss? Wie aussichtslos ich meine Lage einschätzte? Wie ich bangte, meine Poleposition bei den Zweibeinern gegen ein Dasein im Team mit einer zugelaufenen Katze eintauschen zu müssen?

      Dabei hätte ich so ein Verhalten von meiner Menschenfamilie nie erwartet. Mich zu haben, das sollte ihr doch mehr als genug sein – ein Tizianleben lang.

      Zwei Tage lang hatte es durchgeregnet. Alles war nass und ungemütlich, kein trockener Platz mehr im Garten, nicht mal unter den dichten Hecken. Kühle Nächte und morgens dichte Nebelschwaden vom Fluss.

      Am dritten Regentag saß das Kätzchen auf der Terrasse. Ich hatte es schon vorher zwei Tage lang beobachtet. Schließlich entgeht mir nichts in meinem Garten, rund um mein Haus. Es war unter der Terrassenstiege gehockt, verschreckt, verstört und höchstwahrscheinlich ausgesetzt. Sie müssen wissen, wir leben in der Nähe einer Autobahn, die schnurstracks in den sonnigen Urlaubssüden führt. Und es gibt leider immer wieder Menschen, die sich für ein ungetrübtes Ferienvergnügen auf solche Art ihres Haustieres entledigen: Raus aus dem Auto – Gas geben – und auf und davon.

      Erst als das nasse Fellbündel schon fast am Verhungern war, fand es den Mut, zu miauen, kläglich, verzweifelt, mit ganz piepsiger Stimme. Ich ließ mich davon nicht rühren, meine Zweibeiner schon.

      „Mama, wir haben eine neue Katze!“

      Dieses Häufchen Katzenelend, abgemagert bis auf die Knochen – nie wäre ich auf die Idee gekommen, dass meine Zweibeiner, die doch mich Perle von Prachtkatze besitzen, also dass die auch nur einen Blick auf diese Streunerkatze werfen.

      Das Katzenkind war vielleicht drei Monate alt, ein Goscherl voller Milchzähne, nein, damit konnte man keine Mäusebeute machen.

      Meine Zweibeiner gaben der Katze Futter und die verkroch sich gleich wieder unter der Stiege. Zwei Tage später ließ sie sich das erste Mal hochnehmen. Eine Woche später war aus dem struppigen Etwas eine Schönheit geworden, mit tiefschwarzglänzendem Fell, weißen Pfötchen und langen weißen Schnurrbarthaaren. Sie war eine zärtliche Schmusekatze, die schon schnurrte, wenn man sie nur anredete.

      Tizian, sagte ich zu mir, das kann nur böse für dich ausgehen. Meine Zweibeiner dachten nämlich schon über einen Namen für dieses Fräulein Unbekannt nach. Söckchen? Pfötchen? Wie man weiß, ist die Namenssuche das erste untrügliche Zeichen dafür, dass aus einer losen Bekanntschaft zwischen Mensch und Tier eine ernsthafte Beziehung wird.

      Ich ignorierte die Zugelaufene so gut ich konnte. Ich blickte durch sie hindurch. Nur wenn sie gar zu keck wurde und mit mir spielen wollte, zog ich ihr mit spitzen Krallen eins übers Fell.

      Und dann spürte ich: Die Kleine war drauf und dran, mit Katzensack und Katzenpack bei uns einzuziehen. Als Familienmitglied, mir gleichgestellt mit allen Katzenrechten und wenig Pflichten. Diese Erkenntnis brachte mich völlig aus meiner Mitte. Tagelang hockte ich im hintersten Winkel des Gartens. Ich schmollte, verweigerte Schnurren und Schmeicheln. Wenn man mich streicheln wollte, schnappte ich. Nicht wirklich fest, aber die Warnung war deutlich genug. Und meine Angriffe auf die kleine Konkurrentin wurden immer ernster.

      Als das alles nichts nützte, griff ich zu einem Mittel, das man mir nie zugetraut hätte: Hungerstreik! Ich, der nie genug von all den köstlichen Dosen und Schälchen bekommen kann, ich hörte auf zu fressen. Ich saß nur noch beleidigt vor der vollen Futterschüssel und sah meine Zweibeiner mit dem vorwurfsvollen Ihr-wollt-es-ja-nicht-anders-Blick an.

      Das wirkte. Sie spürten: Wir müssen uns entscheiden. Sie taten das einzig Richtige: Sie suchten einen guten Platz für die Katze, die in jenem Herbst einfach so aus dem Nichts aufgetaucht war.

      Weißpfötchen kam zu lieben Menschen mit Kind, Haus und Garten. Bei uns war es ein flüchtiger Gast gewesen, dort hat es nun sein Zuhause, für immer.

      Und ich, ich war erlöst nach drei Tagen Hungerstreik. „Drei Tage war der Tizi krank, jetzt frisst er wieder, Gott sei Dank“, reimten meine Zweibeiner.

       Nachts, im Nebel am Fluss

      „Nachts im Nebel an der Themse“ sangen sie unlängst im Fernsehen. Es war ein alter Krimi in Schwarzweiß: „Der Frosch mit der Maske“. An und für sich bin ich kein aufmerksamer Fernsehkater. Ich verbringe überhaupt nur dann einen Abend vor der Glotze, wenn die Frau, die zuvor meine Schüsseln ordentlich gefüllt hat, dort sitzt und ich ihr erlaube, mich auf dem Schoß zu halten und mir den Nacken zu kraulen. Das sind dann oft recht besinnliche Stunden: wir zwei und die Fernbedienung.

      Als das Lied vom Nebel und der Themse erklang, wurde meine Zweibeinerin ganz wehmütig. Ich spüre solche Gemütsregungen sofort, aber ich ignoriere sie. Schließlich bin ich eine Katze und kein Psychiater oder Seelentröster.

      „Tizi“, sagte sie, weil Tizi sagt sie meist, wenn sie ein wenig traurig ist. „Tizi, diese Wallace-Krimis haben sie im Kino gespielt, wie ich noch ganz jung war. Eigentlich zu jung, um reinzudürfen, aber irgendwie habe ich mich durchgeschmuggelt. Und am Abend bin ich dann mit Herzklopfen im Bett gelegen, habe Angst vor jedem Schatten hinter der Tür gehabt, habe mich nicht mal getraut, aufs Klo zu gehen, sondern mich tief unter der Bettdecke verkrochen.“

      Ich hörte meiner Zweibeinerin ungerührt zu. Solange sie mich hinter den Ohren streichelt, bin ich bereit, zuzuhören. Das ist die höchste Anteilnahme, die ich zu vergeben habe. Wir Feliden sind schließlich keine Hunde. Wir versuchen erst gar nicht, unsere Menschen zu trösten.

      Meine Zweibeinerin hatte auch einmal einen Hund, fünfzehn Jahre wurde der alt, ein echter Methusalem. Es war ein Cockerspaniel, semmelblond, mit hängenden Ohren. Er hieß Valerius. Ein Name aus Kunst und Kultur, altrömisch, denke ich. Sie wissen es ja noch von meiner Namensgebung: Meine Zweibeinerin erwählt bevorzugt etwas aus dem Bildungsbereich.

      Wenn die Frau, die damals die Hundefutterdosen heimschleppte, weinte oder auch nur traurig war, kam der Hund, legte die Schnauze in ihren Schoß und stupste sie mit der Pfote an: „Ich bin ja bei dir.“

      Auf


Скачать книгу