Um die Pfote gewickelt. Katharina Messner

Um die Pfote gewickelt - Katharina Messner


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guten Antennen. Wer uns zum Hausgenossen nimmt, sollte schon selbst auf sich schauen können. Hunde sind die Kumpel ihrer Familie, wir Katzen sind Gäste im eigenen Heim. Und so wollen wir auch behandelt werden: aufmerksam, aber bitte ohne uns mit familiären Missstimmungen zu belasten.

      Was die Sache mit den Mördern im Nebel, mit Krimi, Einbruch oder Überfall betrifft, da hätte der gute Valerius seinem Frauchen sowieso nicht geholfen. Er war nämlich völlig ungeeignet zum Wachhund. Wer immer zur Tür hereinkam, wurde von ihm schwanzwedelnd begrüßt. Das hätte der Ritter Blaubart persönlich sein können. Valerius erwartete sich von jedem Wurst oder Schokolade, und war bereit, dafür nicht nur seine kleine Hundeseele, sondern ungerührt auch die jedes anderen Familienmitgliedes zu verkaufen.

      Meine Zweibeinerin und ihre Vierbeiner – irgendwie ist das eine endlose Geschichte mit stets dem gleichen Thema: Futter. Alle wollen immer nur das eine: fressen.

      Aber bitte glauben Sie jetzt nicht, in meiner Zweibeinerfamilie wäre Schmalhans Küchenmeister und unsereiner mit den vier Pfoten egal welcher Herkunft würde kalorienhöchstens einen Bodymaßindex von fünfzehn erreichen.

      Weder der nimmersatte Cockerspaniel noch die vielen Samtpfötigen, die im Lebenslauf meiner Menschen verzeichnet sind, mussten je hungern. Auch nicht jene graue Tigerkatze, die, nur aus Haut und Knochen bestehend, als Fräulein Spindeldürr auftauchte und fortan als behäbige Matrone auf der Küchenbank die Tage verschlief. Der Name Fräulein Spindeldürr ist ihr allerdings geblieben. Nomen ist eben nicht immer gleich omen.

      Lassen wir das tierische Hungerkarma, das meine Zweibeinerin durchs Leben begleitet. Kommen wir wieder zu Wichtigerem: zu mir.

      Und kehren wir zurück zum nächtlichen Nebel am Fluss. Den genieße ich jeden Herbst aufs Neue. Er macht alle Katzen gleich und wir bewegen uns in ihm wie Schemen in einer fast lautlosen Welt.

       Die große Freiheit beim Zentralfriedhof

      Während im Frühjahr und Sommer die Menschen bis tief in die Nacht hinein am Fluss unterwegs sind, verliebte Pärchen, einsame Mondspaziergänger, Sternegucker, gehören die Ufer im Herbst ab der Dämmerung uns Katzentieren. Manchmal huscht dort oder da eine Ratte über den Radweg oder raschelt ein Mäuslein im Laub. Ansonsten: Funkstille.

      Da hocken wir dann: Auf der einen Seite die Tussicats aus den warmen Wohnungen, die für ein paar Stunden Abenteuer schnuppern wollen, auf der anderen Seite die wirklich wilden Artgenossen, solche, für die sich ein Lebtag lang kein heimeliger Herd gefunden hat: die Friedhofsgang.

      Bei uns grenzt der Zentralfriedhof gleich an das Überschwemmungsgebiet. Und dort, wo die Toten ruhen, stiftet meinesgleichen Unruhe. Streunerkatzen haben einen Schuppen besetzt, versuchen so, der bittersten Kälte zu entgehen, und werden regelmäßig von einer Handvoll Tierschützern gefüttert. Anderen Menschen ist die Nähe der lebenden Tiere zu den toten Menschen ein Dorn im Auge. „Erschießt doch endlich diese Viecher! Reißt den Schuppen ab!“

      Einmal kamen die Tierfreunde mit Katzenfallen, fingen ein Tier nach dem anderen ein, brachten es zum Kastrieren und ließen es danach wieder frei. Das hat nicht viel gebracht. Stets kommen neue herrenlose Katzen dazu, stets gibt es wieder Nachwuchs. Das Katzenelend ist prolongiert.

      Dennoch beneiden wir Sofatiger manchmal die wilden Gesellen und träumen uns hinein in ihr Leben. Das mit der großen Freiheit ist nämlich sehr verlockend, wenn man weiß, dass anschließend ans Abenteuer der Marke „Easy-Rider-Cats“ die geöffnete Katzentür und die gefüllte Schüssel warten. Und ein warmes Bettchen.

      Wir gepflegten Hauskatzen schauen denen von der Friedhofsgang zu, wie sie nächtens die Wildkatze raushängen lassen. Wir werfen scheue Blicke auf den Schwarzen mit dem abgebissenen Schwanz, auf den Grauen mit den zerfledderten Ohren und die Schmutzigweiße, die nur noch ein Auge hat. Preise der Freiheit. Schicksale, von Menschen verursacht. Von Menschen, die einst die Katze aus der Wildnis holten, sie zum Haustier machten und irgendwann die Kontrolle über das Geschehen verloren haben. Der Fuchs sagt zum kleinen Prinzen: „Du bist verantwortlich für das, was du dir zähmst.“ Die Menschen zähmen Tiere und scheren sich nicht um die Verantwortung.

      Aber ich will mich nicht weiter ins Nachdenkliche begeben. Letztlich nehmen wir Katzen das Leben so, wie es kommt. Wir haben keine Wahlmöglichkeit. Und Mitleid ist uns, wie gesagt, sowieso fremd. Sollte also morgen der Graue nicht mehr auftauchen, wird mich das keine Trauerminute kosten. Aber er wird auch keinem Menschen abgehen. Ganz im Gegensatz zu mir. Wenn ich einmal nicht pünktlich heimkomme, sind alle aus dem Häuschen. Dreimal habe ich die Nummer Tizianist-abgängig schon gegeben.

       „Tizian, wo bist du?“

      „Tizian, wo bist du?“ „Tizian, komm heim!“

      Den letzten Streich in Sachen „Tizian ist unauffindbar“ leistete ich mir erst unlängst. Die Sache war zwar zeitlich gut geplant und sollte erzieherische Wirkung zeigen, aber irgendwie ging sie völlig daneben.

      Die Frau, deren Aufgabe es, zumindest aus meiner Sicht, ist, vierundzwanzig Stunden am Tag für mein leibliches und seelisches Wohl zu sorgen, musste wieder mal verreisen. Ich merke das, sobald sie ihre Reisetasche aus dem Kasten holt. Sie ist nie lange fort. Ein, zwei Übernachtungen höchstens.

      Da der Rest meiner Zweibeinerfamilie inzwischen studien- und arbeitshalber meistens weit weg lebt, hat sich das Leben meiner Dosenfutterschlepperin auf ein Single-Dasein mit Katze reduziert. Auch nicht die schlechteste Wohngemeinschaftsform. Hauptsache, auf mich wird ordentlich geschaut.

      In Abwesenheit meiner Zweibeinerin werde ich von der Nachbarfamilie versorgt. Die gehört zur Lady, einer Wohnzimmerschönheit, die ihr krallengepflegtes Leben lang noch nie von der Dämmerung bis weit in die Nacht hinein auf dem Feld vor einem Mäuseloch ausgeharrt hat. Sie ist so ein Igitt-eine-Maus-Typ. Für sie sind die grauen Nagetierchen höchstens Spielzeug. Wobei ich natürlich nicht verschweigen will, dass sie das für mich auch sind, eine Weile lang. Bis ich endlich ansetze zum mäuseerlösenden Nackenbiss.

      Die Lady-Zweibeiner schauen gut auf mich. Sie machen das ganz super, allererste Katzensahne. Gibt’s nichts zu miauen. Meine Toilette wird sauber gemacht, die Schüssel gefüllt, und ich werde ordentlich gestreichelt – immer mit dem Strich, dazu ein wenig Hinterden-Ohren-Kraulen.

      Was mir allerdings in diesen Zeiten abgeht, da meine Zweibeinerin unterwegs ist, um das Katzenfutter zu verdienen, ist meine persönliche Freiheit. Niemand öffnet mir zehnmal am Tag die Terrassentür, wenn ich rauswill, und niemand öffnet sie geduldig ebenso oft, weil ich schon wieder genug von der frischen Luft habe.

      Also beschloss ich unlängst, der guten Frau einen Denkzettel zu verpassen. Ich kam am Morgen ihres Abreisetages einfach nicht heim. Ich hockte beleidigt hinterm Gebüsch und dachte, sie würde sich das mit dem Verreisen schon noch überlegen.

      Zwischen Aufstehen, Duschen, Frühstück und Abfahrt kam sie unzählige Male auf die Terrasse. „Tizian, wo bist du?“ „Tizian, komm heim!“

      Fast wäre ich schwach geworden. Heute weiß ich – ich hätte schwach werden sollen. Aber klug ist man eben immer erst im Nachhinein.

      Das Unheil nahm seinen Lauf. Meine Zweibeinerin fuhr weg. Einfach so, jawohl. Zugegeben, sie war traurig, ich habe das an ihrer Stimme gemerkt, als sie mich zum letzten Mal vergebens rief: „Tizi! Tizi! Tizian!“

      Ich wusste nicht, dass an diesem Tag beide Menschen der Nachbarsfamilie tagsüber Dienst hatten. Dass sie erst am Abend kommen würden, um mich zu versorgen. Also musste ich elendiglich lang warten. Ich konnte nicht heim zu Sofa und Futter. Ich war gezwungen, im Gebüsch auszuharren. Und das tagsüber! Das ist die Zeit, wo wir Katzen sehr furchtsam sind. Die Zeit, die wir lieber irgendwo verschlafen, am besten im Bett.

      Wir Katzen sind Wesen der Nacht. Uns schützt die Dunkelheit. Heller Sonnenschein und keine Fluchtmöglichkeit – das macht uns hilflos und verschreckt.

      Und dazu der Hunger! Wir Stubentiger gehen nicht tagsüber auf Vogeljagd oder Fischfang.


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