Die wichtigsten Dramen von Ödön von Horváth. Ödön von Horváth
KNORKE
Sie sind seine Wirtin?
ANNA
Ja.
KNORKE
Sonst nichts?
ANNA
Wieso?
KNORKE
blickt in die Zeitung: Die Mark hat sich gefestigt. Zürich notiert zweiundzwanzig Milliarden. Zürich liegt am Züricher See. Ich war auch in China. Er schlägt auf den Tisch, schnellt empor und läuft herum. Jawohl, in Ostasien, junge Frau! Aber so ein lammfrommes Volk wie das deutsche habe ich nirgends getroffen! Pensionierte Bürokraten würden revoltieren! Da die Zeitung! Die Republik, dieser Büttel der Botschafterkonferenz, erfrecht sich zu befehlen, die letzten Waffen abzuliefern! Auf einen Wink der Entente kastrieren wir uns selbst! Den Schuften, der nur ein versteckte Patrone verratet, den möcht ich massieren, bis ihm die pazifistische Seele zum großen jüdischen Gott fliegt! Verzeihen Sie meine Erregung. – Ah! Kriegsbilder! Wer ist denn der? Sieht so verzweifelt drein.
ANNA
Das war mein Mann. Er hat sich schlecht fotografiert, aber vielleicht war er damals so.
KNORKE
Gefallen?
ANNA
Nein.
KNORKE
Ich dachte, Sie wären Witwe?
ANNA
Er ist vermißt. Ich warte zwar nicht mehr, obwohl es noch vorkommen soll, daß ein Vermißter plötzlich erscheint. Rußland ist groß, Sibirien ist weit.
KNORKE
Apropos Rußland: Haben Sie die neue polnische Note gelesen?
ANNA
Ich lese keine Zeitung. Die liest nur Sladek.
KNORKE
Er liest viel.
ANNA
Nur die Zeitung.
KNORKE
Er weiß allerhand für sein Alter. Seine Ansichten sind zwar etwas verworren, aber zu guter Letzt gesund.
ANNA
Wenn er nur Zeit hat, grübelt er.
KNORKE
Die neue polnische Note ist der Gipfel der Verleumdung. Lauter Verbrecher!
ANNA
Wer?
KNORKE
Diese Polen! Jeder einzelne Pole ist ein geborener Lügner!
ANNA
Ich glaube, der einzelne Pole lügt auch nicht mehr als der einzelne Deutsche.
KNORKE
Hoppla!
ANNA
Die Zeitungen sollten endlich aufhören, die Völker gegeneinander zu hetzen. Es hat doch gar keinen Sinn.
KNORKE
Was Sie nicht sagen!
ANNA
Ich finde es sehr richtig, daß die Regierung die Bevölkerung auffordert, alle Waffen abzuliefern. Das ist endlich ein gutes Gesetz. Wir haben uns vier Jahre lang gemordet, das reicht. Ich würde jede versteckte Patrone anzeigen. Sofort.
KNORKE
Das würde ich an Ihrer Stelle unterlassen.
ANNA
Warum? Wer der Regierung nicht folgt, der wird doch bestraft.
KNORKE
Zum Strafen gehört Gewalt. Die Regierung hat keine, kann ich Ihnen flüstern. Heutzutag ist oft das Gegenteil Gesetz. Sagen Sie: Was wissen Sie über versteckte Patronen?
ANNA
Ich weiß, wer Sie sind und was Sie wollen.
KNORKE
Wie war das?
ANNA
Ich kenne Sie. Vom Sehen.
KNORKE
Wer bin ich?
ANNA
Sie kommen manchmal in die Stadt. Im Auto.
KNORKE
Was für Auto?
ANNA
Das habe ich alles beobachtet.
KNORKE
Was alles?
ANNA
Sie wollen aus dem Sladek einen Soldaten machen.
KNORKE
So?
ANNA
Sie werben für die schwarze Armee.
KNORKE
Es gibt keine schwarze Armee!
ANNA
Doch.
Stille.
KNORKE
Ich warne Sie.
ANNA
Ich bitte Sie. Ich bitte Sie, lassen Sie mir den Sladek. Es fällt mir schwer, darüber zu reden. Wenn sich eine Frau in meinem Alter an einen um fünfzehn Jahre jüngeren Mann hängt, so ist das immer mütterlich, und sie läßt ihn nicht aus den Augen. Sladek ist ja noch ein Junge, der sich an nichts erinnern kann, als an Krieg. Er kann sich den Frieden gar nicht vorstellen, so mißtrauisch ist er. Er ist in der großen Zeit groß geworden, das merkt man. Ich lasse ihn nicht aus den Augen, ich habe gehorcht und spioniert – mich kann man nämlich nicht betrügen. Was mein ist, bleibt mein.
KNORKE
Ist der Sladek Ihr Eigentum?
ANNA
Ja.
KNORKE
Nein.
ANNA
Wen ich liebe, der gehört mir.
KNORKE
Will er Ihnen gehören?
ANNA
Wie meinen Sie das?
KNORKE
Der Sladek ist ausgewachsen und denkt nicht daran.
ANNA
Das hat er Ihnen gesagt?
KNORKE
Fragen Sie ihn selbst.
Stille.
ANNA
Wollen Sie mir helfen?
KNORKE
Ich warne Sie.
ANNA
Ich bitte Sie. Bitte, sagen Sie dem Sladek kein Wort, daß ich weiß, daß er von mir will. Bitte, sagen Sie ihm doch, er wäre zum Soldaten untauglich, sagen Sie es ihm, bitte, lassen Sie ihn hier. Ihre Soldaten werden auch ohne Sladek marschieren, aber ich – Ich hab schon mal alles für das Vaterland geopfert. Ich laß mir nichts mehr rauben. Ich verrate die ganze Armee den Polen. Noch heut.
KNORKE
Kaum.
Sladek kommt; nickt Knorke zu.
ANNA