Die wichtigsten Dramen von Ödön von Horváth. Ödön von Horváth
Ich warne Sie!
SLADEK
Warum? Wieso?
RICHTER
Schweigen Sie! – Angeklagter! Bekennen Sie sich schuldig?
SLADEK
Das ist sehr kompliziert. Da kann man sehr schwer was sagen, weil es zuviel zu sagen gäb. Es ist alles richtig, daß Anna und ich uns nicht so recht verstanden haben, wenigstens oft, daß es Streit gab, daß es sogar zu sogenannten Tätlichkeiten kam, des öfteren sogar, daß ich ihr auch mal aus dem Schrank was nahm und mit fremden Weibern zu Gartenunterhaltungen ging, das geb ich alles zu, denn ich hab die Gerechtigkeit lieb, aber deshalb fühl ich mich nicht schuldig. Wenn ich nämlich so nachdenk, so war das doch nur der Altersunterschied. Meine Herren! Als ich sie kennenlernte, war sie um fünfzehn Jahr jünger als zuletzt, obwohl bis dahin nur vier Jahr vergangen sind, aber der Reiz war schon eigentlich nach zwei Jahr weg, der natürliche Reiz –. Meine Herren, das alles ist doch kein Problem, das ist nur traurig.
RECHTSANWALT
Ich beantrage, den Angeklagten auf seinen Geisteszustand hin untersuchen zu lassen.
STAATSANWALT
Ich beantrage, den Antrag der Verteidigung abzulehnen und den Angeklagten mit den schärfsten Mitteln zu zwingen, sich der Würde des Gerichtes entsprechend zu benehmen.
SLADEK
Wie?
RICHTER
Angeklagter! Sie leugnen also, die Witwe Schramm ermordet zu haben?
SLADEK
Ich leugne es sogar sehr, ich hab noch nie jemand ermordet.
RICHTER
Sie wiederholen also, daß dieser Mord ein sogenannter Fememord war, ein Akt verbrecherischer Selbstjustiz der sogenannten schwarzen Armee. Angeklagter, heute können wir laut über jene verworrene Zeit sprechen, wir sehen klar. Jene furchtbaren Tage der Inflation haben wir nun gottlob überwunden. Das deutsche Volk befindet sich im kraftvollen Wiederaufstieg, es hat Unglaubliches ertragen und Ungeheueres vollbracht. Man hört die Öffentlichkeit applaudieren.
SLADEK
Ich kann trotz Wiederaufstieg undsoweiter nur sagen, daß ich sozusagen unschuldig bin.
STAATSANWALT
»Sozusagen«!
SLADEK
Zu guter Letzt. Ich hab immer darüber geredet, daß in der Natur eben gemordet wird, und daß sich das nicht ändert, aber – meine Herren, ich war sehr dagegen. Als ich hernach mit den vier Soldaten in jenem Auto nach dem Hauptquartier fuhr, da hat es schaurig geregnet in der Nacht, ich werd das nie vergessen.
RICHTER
Die vier Soldaten sind verschollen.
SLADEK
Alle. Ich glaub, in Nikaragua.
STAATSANWALT
Sie gestehen also, daß Sie in jener Nacht mit vier Soldaten in der Prinzenstraße erschienen sind und daß diese vier Soldaten die Witwe Schramm ermordet haben?
SLADEK
Ja.
STAATSANWALT
Was haben Sie sich denn dabei gedacht?
SLADEK
Ich? Zuerst: Daß man sie umbringen muß.
STAATSANWALT
Danke.
SLADEK
Bitte.
STAATSANWALT
Das genügt.
SLADEK
Nein, das genügt nicht, denn hernach war ich sehr dagegen, aber da war schon alles vorbei. Ich hab sogar »Halt!« gerufen, denn ich hab an die Gerechtigkeit gedacht, und wegen diesem »Halt!« hätten sie mich gar auch erschossen, wenn ich nicht gewußt hätt, daß sich nichts ändern läßt, – ich hab aber plötzlich trotzdem »Halt!« gerufen, es war nämlich nicht mehr nötig sie umzubringen, weil sie es sich überlegt hat. Sie hätte nichts verraten. Sicher.
RECHTSANWALT
Was wollte sie denn verraten?
SLADEK
Die schwarze Armee.
RICHTER
Ich mache Sie aufmerksam, daß es für das Schicksal des Angeklagten keine Bedeutung hat, den Komplex der sogenannten schwarzen Armee hier aufzurollen. Jene Männer waren alte Soldaten, die für des Vaterlandes Wohl zu kämpfen glaubten, verworrene fanatische Idealisten –. Aber in diesem Falle Sladek darf man wohl mit Recht bezweifeln, ob das alles so ideal –
SLADEK
unterbricht ihn: Oho!
RICHTER
Sie sind nicht gefragt! Mord bleibt Mord, und der Mörder ist in jenem Falle persönlich verantwortlich!
SLADEK
Aber ich dachte –
RICHTER
unterbricht ihn: Ruhe! Sie haben die Witwe Schramm ermorden wollen, das haben Sie gestanden! Jetzt reden Sie.
SLADEK
Was soll ich da reden, bitte? Ich hab immer selbständig gedacht und dann hab ich aber überall gehört, daß der Einzelne nichts zählt, daß er sich für das Ganze aufopfern muß, ob er nun will oder nicht – das hab ich so lang gehört, bis ich es glaubte, es ist ja auch so, aber trotzdem ist da ein Fehler, nämlich der, daß ich hier nun als Einzelner für etwas, was ich als Teil tat, getan haben soll. – Ich hab nämlich mit all diesen Problemen gerungen. Man hört die Öffentlichkeit lachen. Ich hab doch alles, was ich ja gar nicht tat, nur tun wollte, für das Vaterland getan, das war alles sozusagen ideal. Ich hätt sie nie umgebracht, wenn dies Vaterland nicht gewesen wär, ich hab mich ja zu guter Letzt geopfert, aber das wird nirgends anerkannt. Ohne dieses Vaterland hätt es vielleicht zwischen mir und ihr nur einen Wortwechsel gegeben, höchstens, daß ich ihr eine heruntergehaut hätte, und dann wär das ausgewesen, wie jedes Liebesverhältnis.
RECHTSANWALT
Der Angeklagte ist das Geschöpf einer kranken Zeit. Ein Mensch, der sich an unsere stolze Vergangenheit nicht erinnert, der in der großen Zeit die Stimme wechselte und der anfing zu denken, als wir den Krieg verloren haben, das spricht Bände. Ohne Sinn für Moral negiert er alles allgemeinmenschlich – Gefühlsmäßige und grübelt über lauter Selbstverständlichkeiten: Es beschäftigt sich nur mit sich selbst, aber ohne jede Kultur. Ich bitte um mildernde Umstände für ein Gespenst: Hier sitzt die Zeit der Inflation.
SLADEK
Ich bitte, mich als Menschen zu betrachten und nicht als Zeit.
RECHTSANWALT
Ich bitte, den Angeklagten auf seinen Geisteszustand hin untersuchen zu lassen.
RICHTER
Das Gericht beschließt, Zeugen zu vernehmen. Franz kommt.
RECHTSANWALT
schnellt empor: Ich protestiere gegen die Vereidigung dieses Zeugen! Ein wegen Landesverrat Verurteilter –
FRANZ
unterbricht ihn: Und »Begnadigter«. Freilich säße ich noch heute im Zuchthaus, gäbe es morgen keine Wahl! Der neudeutsche Staat –
RICHTER
unterbricht ihn: Keine Tiraden, bitte!
STAATSANWALT
Der Zeuge nimmt es auf seinen Eid, daß ihm der Angeklagte Sladek gestanden