Louise Otto: Frauenbewegung Essays, Romane, Biografien & Gedichte. Louise Otto
den Fabrikarbeitern theilweise die Angst herrsche vor der Concurrenz der Frauen, wie es schon 1848 an manchen Orten geschehen, daß die Arbeiter die Frauen aus den Fabriken vertrieben. Neuerer Zeit hegt man da und dort ähnliche Gedanken, ja es ist – von den Lassalleanern – der Grundsatz aufgestellt worden: »die Lage der Frau kann nur verbessert werden durch die Lage des Mannes.« Dies ist der aller Gesittung und Humanität Hohn sprechende Grundsatz, den unsere ganze Anschauung und diese Schrift bekämpft. Gerade die Partei, die von »Staatshilfe« sich so viel verspricht, die das allgemeine Stimmrecht fordert, schließt von allen ihren Bestrebungen die Frauen aus – dadurch beweist sie, daß sie ihr Reich der Freiheit d.h. »die Herrschaft des vierten Standes« gründen will auf die Sclaverei der Frauen – denn wer nicht frei für sich erwerben darf, ist Sklave. Aber das ist Gott sei Dank nur der eine, der kleinere Theil der Arbeiter; der größere hat in der Arbeiterversammlung zu Stuttgart auch der Frauenarbeit das Wort geredet und später der Frauenconferenz zugestimmt; auch seine Organe, wie Arbeitgeber, Arbeiterzeitung u.s.w., sind auf der Seite der Frauenarbeit.
Und es ist unbegreiflich, wie Jemand mit sehenden Augen nicht auf dieser Seite sein kann! Selbst wenn man annehmen wollte: es entstände eine Concurrenz, es würden manche Männer weniger Arbeit und Verdienst haben als jetzt durch das Angebot weiblicher Arbeitskräfte – nun so bleibt es ja ganz gleich, ob Männer oder Frauen feiern und hungern: die Anforderung auf Brot haben sie doch mit einander unbestreitbar gemein! Und wenn die Männer nicht mehr nöthig haben für ihre Frauen, Töchter und Mütter Brot zu verschaffen, so haben ja gerade sie von der Einführung der Frauenarbeit den größten Vortheil – wie denn alle unsere Frauenbestrebungen ja gar nicht geschehen – wie auch ein Theil unsrer Gegner lächerlich behaupten will: in Feindschaft und als Kriegserklärung gegen die Männer, sondern umgekehrt: weil es jetzt nicht mehr möglich ist, daß zwei Hände allein genug arbeiten und verdienen können, um ein ganzes Leben lang eine ganze Familie zu ernähren. Von diesem Druck, dem härtesten den es giebt, dem der Nahrungssorgen, von Verhältnissen, in denen es zum Verbrechen wird einmal Zeit und Kraft einem Unternehmen zu widmen, das vielleicht der ganzen Menschheit zu Gute kommt, gewiß aber der Familie nichts, oder doch vielleicht nichts einbringt – von diesem Drucke wollen wir die Männer so gut dadurch erlösen, wie wir uns selbst von dem Druck der Abhängigkeit erlösen wollen, indem wir eine naturgemäße Theilung der Arbeit fordern für Mann und Frau.
Der Mann, der arbeiten will, findet immer und überall eine Gelegenheit zu Arbeit und Verdienst – nur die Faulen, die Leichtsinnigen, Hochmüthigen und Lasterhaften sind es, die arbeitslos werden und dadurch in Schande und Elend versinken, im »Kampf um das Dasein« unterliegen. Es tritt auch Niemand zu ihnen und sagt: komm, Du brauchst nicht zu arbeiten und sollst es besser haben und mehr verdienen als wenn du arbeitest und Dein Leben hinbringst in Opfer und Entbehrung! So sagt Niemand zu dem Manne: aber zu dem Mädchen wird es tausendmal gesagt in feiner und roher Form, wird es gesagt von Männern, die nur unter der Herrschaft ihrer Sinnlichkeit stehen, wird es gesagt von alten Frauen, die selbst längst in den Abgrund der Schande versunken und verhärtet sind und von jungen Frauen, die eben noch im Rausch der Sünde lustig dahin leben – wird es gesagt vielleicht von den eignen Eltern!
Und so hören Tausende und aber Tausende auf diese Stimme und ergreifen das Mittel, das ja so leicht ergriffen ist! so geben sich die Einen dem Manne hin, der sie mit Geschenken und Versprechungen kirrt und aus ihrer verlaßnen Lage in eine freundliche versetzt, so werfen sich die Andern dem scheußlichsten Gewerbe in die Arme, weil es das einzige war, das ihnen offen stand – und dann entsetzt man sich über den Verfall des weiblichen Geschlechts und macht es für ein verbrecherisches Leben verantwortlich, das alle heiligsten Naturgesetze mit Füßen tritt, die Heiligkeit der Familie untergräbt, für die Gesetzgeber selbst zu einem Problem wird, das noch keine befriedigende Lösung gefunden!
Und wen trifft die Schuld von diesem Verbrechen? – Die Sittenlosigkeit der Männer und der Frauen! antwortet man schnell und denkt damit wohl noch ein gerechtes Urtheil zu sprechen, weil man die Männer nicht ganz frei davon spricht.
Aber wen trifft die Schuld dieser Sittenlosigkeit? Nicht allein die Einzelnen, die ihr erliegen – diese Schuld haben alle die Männer und Frauen, auch die sittenreinsten, auf ihrem Gewissen, welche den Grundsatz festhalten: das Weib ist nur da um des Mannes willen, – alle die Männer und Frauen, welche ihre Töchter nicht so erziehen, daß sie sich selbst erhalten können, alle die Männer, welche den Frauen das Recht auf Erwerb durch ihre eigene Arbeit streitig machen, – alle die, welche sie zum Müssiggang verdammen, ihnen nicht die Mittel zur Bildung, zur Arbeit, zu einer selbstständigen Stellung im leben gewähren! Jene Schuld trifft auch den Staat, wenn er es zuläßt, daß den Frauen das Recht auf Erwerb verkümmert werde – und um von dieser großen Schuld der Zeiten wenigstens ein Sandkorn zu tilgen, habe ich diese Schrift geschrieben!
Frauenleben im deutschen Reich
Zur häuslichen Mädchen-Erziehung
Vorwort
Wer sich umschaut im deutschen Reich, im Leben überhaupt, im Frauenleben besonders und sich erinnert, wie es darin aussah vor zehn, zwanzig, dreißig Jahren und nun gar vor einem halben Jahrhundert – wie es aussah im Hause und im Staate, in Handel und Wandel, in Wirthschaft und Industrie – der wird sich sagen müssen, daß da so gewaltige Umwandlungen vor sich gegangen sind, wie sie vielleicht noch in keiner andern Zeit in eine so kurze Spanne derselben sich zusammendrängten.
Natürlich mußten diese Veränderungen auch auf das Frauenleben ihren Einfluß üben und so wäre es nothwendig gewesen, sich bei all dem, was durch neue Entwickelungen und Erfindungen, durch die Fortschritte in Industrie, Kunst und Wissenschaft, durch sociale und staatliche Neuerungen der Allgemeinheit zu Gute kam, auch Rechenschaft abgelegt hätte: welchen Einfluß dies Alles auch auf die Lebensstellung der Frauen habe und haben müsse?
Indeß ist dies, einzelne Anläufe dazu abgerechnet,