Teeträume. Anna Martin

Teeträume - Anna Martin


Скачать книгу
mir einen schnellen Kuss zu geben. Zu meiner absoluten Empörung flatterte mein Magen bei dieser Geste. So ein verdammtes Mädchen. »Das ist für dich.«

      Er hielt mir eine Flasche Wein entgegen, dem Aussehen nach zu urteilen eine gute Flasche. Ein italienischer Merlot, der großartig zu der Lasagne passen würde.

      »Perfekt«, sagte ich. »Danke. Komm rein. Fühl dich wie zu Hause.«

      »Danke.«

      Ich beobachtete ihn – alle Versuche der Heimlichkeit scheiterten kläglich, als er seine lederne Motorradjacke und die Stiefel auszog. Erstere hing er an den Garderobenhaken und Letztere stellte er neben der Tür ab. Wie ordentlich. Ich war verliebt.

      »Ich habe Lasagne gemacht. Ich hoffe, das ist in Ordnung.«

      »Klingt gut«, sagte er. »Und riecht noch besser.«

      In seinen Augen stand ein Funkeln, das ich von dem Abend, als wir uns zum ersten Mal getroffen hatten, wiedererkannte. Etwas Dunkles und Humorvolles, Gefährliches vielleicht, etwas äußerst… Intensives. Wie ein heimlicher Scherz, den er nicht mitteilen wollte.

      Fragend hob ich eine Augenbraue. Er lächelte immer noch, als er erneut einen Schritt auf mich zumachte und seine Handflächen flach über meine Brust strichen, während er sich für einen weiteren, langsameren, süßeren Kuss vorbeugte.

      Ich spürte, wie meine Fingerspitzen federleicht durch seine Haare glitten; ihre Weichheit überraschte mich, als ob die hellen Strähnen wegen ihres Mangels an Farbe irgendwie weniger Substanz hätten.

      »Wofür war das?«, fragte ich, als wir uns voneinander lösten.

      Chris zuckte mit den Schultern. »Weil mir danach war.«

      Da gab es nichts zu diskutieren.

      Den Esstisch – wenn man ihn so nennen konnte, da nur Platz für zwei war – hatte ich bereits gedeckt und eine Kerze in eine alte Flasche gesteckt und sie tief herunterbrennen lassen. Möglicherweise etwas kitschig, aber schön. Ich führte Chris zu einem Korkenzieher und den Weingläsern, während ich auftischte und eine große Salatschüssel auf dem Tisch zwischen uns stellte.

      Das Glück, oder das Schicksal, ließ uns beide zeitgleich hinsetzen.

      Er hob sein Glas, das Feixen zurück auf seinem Gesicht, und ließ es gegen meines klirren.

      »Auf…« Meine Stimme verlor sich, da ich ihn den Toast zu Ende sprechen lassen wollte.

      »Auf unfassbar attraktive Schotten und ihren außergewöhnlichen Männergeschmack?«, schlug er vor.

      Ich lachte. »Und auf sehr hübsche, junge Percussionisten, die zu schmeicheln wissen.«

      »Darauf trinke ich«, sagte er.

      Die ganzen Sorgen, dass der Funke zwischen uns verglühen könnte, hätte ich mir nicht zu machen brauchen. Er war weiterhin bezaubernd, witzig und süß; die Unterhaltung zwischen uns floss dahin wie der Wein aus der Flasche, der das Gespräch auf gute Art und Weise auflockerte. Erst, als die Kerze zu flackern begann, weil sie fast bis zum Ende des Dochtes heruntergebrannt war, bemerkte ich, wie spät es war. Es war schon eine Weile her, dass wir die Teller weggeräumt und uns erneut gesetzt hatten. Mit den Händen umschlossen wir die Weingläser, um die Flüssigkeit auf Körpertemperatur zu erwärmen. Unsere Körper waren über den Tisch gebeugt einander zugewandt; die Kante grub sich in meinen Bauch, aber ich würde mich nicht zurücklehnen. Wenn er sich rührte, spiegelte ich seine Bewegungen. Wenn ich meinen Kopf zur Seite neigte, zog er nach.

      »Erzähl mir von Schottland«, sagte er.

      Ich lächelte traurig. »Ich bin schon lange nicht mehr da gewesen.«

      »Wie kommt's?«

      »Der Weg dahin ist ziemlich weit. Inzwischen halte ich zu meiner Familie da drüben nicht mehr wirklich Kontakt, nichts, was über den jährlichen Austausch von Weihnachtskarten hinausgeht jedenfalls.«

      »Vermisst du es?«

      »Manchmal«, sagte ich und nippte an dem Wein. »Ich vermisse… den strömenden Regen.« Ich lachte. »Du hast noch nie echten Regen gesehen, wenn du noch keinen Hochlandregen gesehen hast. Und das Gefühl der Geschichte. Alles ist so alt.«

      »Ich würde gern irgendwann mal dorthin.«

      »Das wollen viele Amerikaner«, sagte ich. »Es ist sehr malerisch. Du weißt schon, die ganzen Kopfsteinpflasterstraßen und die mittelalterlichen Kirchen. Jahrhunderte über Jahrhunderte alte Geschichte und Entwicklungen und Veränderungen. Es ist leicht, sich zu verirren. Ich habe mal gehört, dass Edinburgh allen Gesetzen der Geografie und Physik trotzt, weil man immer bergauf geht, wenn man irgendwohin geht. Selbst wenn man denselben Weg zurück nimmt, geht man wieder bergauf. Das ist wahr.«

      Chris lächelte und griff nach meiner Hand. Ich ließ sie ihn nehmen. Einen Moment streichelte er mein Handgelenk mit seinem Daumen, dann drehte ich seine Hand um, sodass die helle Totenkopftätowierung sichtbar wurde.

      »Erzählst du mir davon?«, fragte ich.

      »Das ist ein Tag der Toten-Schädel«, sagte er. »Das ist eine katholische Tradition aus Mexiko, um die zu ehren, die von uns gegangen sind. Der hier war für meinen besten Freund; er ist an einer Hirnhautentzündung gestorben, als wir siebzehn waren.«

      »Das tut mir leid.«

      Er zuckte die Schultern. »Er war derjenige, der mich fürs Musikmachen begeistert hat. Ich wollte das Tattoo auf meiner Hand, damit ich es immer sehen kann, wenn ich spiele.«

      »Was ist mit den anderen?«, fragte ich und deutete auf seine nackten Arme. Wieder einmal hatte Chris die Ärmel bis zu seinen Ellenbogen hochgerollt, sodass er die Ansammlung von Tätowierungen präsentierte, die seine Unterarme zierten.

      »Oh, sie sehen hübsch aus«, sagte er und grinste erneut. Er erlaubte mir, seinen Arm umzudrehen, damit ich die Sterne, die Rosen auf seinen Ellenbogen, den Schlagring (ausgerechnet!), die Schwalben, ein Schiff und eine erotisch verbogene Meerjungfrau inspizieren konnte.

      »Sirene«, korrigierte er mich, als ich nachfragte. »Sie ist keine Meerjungfrau, sie ist eine Sirene. Eine Warnung an die Männer auf See: Kommt nicht zu nah an sie heran.«

      »Es gibt viele Arten, diese Aussage zu interpretieren«, sagte ich lachend.

      »Und das solltest du auch«, stimmte er zu.

      »Hast du noch mehr?«, wollte ich wissen und dachte dabei an die Stellen unter seiner Kleidung.

      »Ja.«

      »Kann ich sie sehen?«, fragte ich.

      »Mit Sicherheit wirst du das«, entgegnete er. Mit einem Augenzwinkern. »Ich schätze, du hast keine?«

      »Oh Gott, nein«, sagte ich. »Meine Mum würde mich umbringen.«

      Chris lachte; ein offenes, aufrichtiges Lachen, das kleine Fältchen um seine Augen zum Vorschein und seine Brust zum Beben brachte. »Meine ist auch nicht unbedingt begeistert. Allerdings mag sie dieses hier.«

      Er zog sein Hemd zur Seite und entblößte ein Herz und ein Spruchband mit dem Wort Mom darauf.

      »Sehr traditionell«, sagte ich lächelnd.

      Er brummte zustimmend. »Ich mag den alten American-Style. Er ist so fröhlich und lebendig.«

      »Genau wie du«, sagte ich, ohne nachzudenken.

      Das Grinsen kehrte zurück.

      »Da gibt es noch etwas, das du vermutlich wissen wolltest«, sagte ich, nahm seine Hand und fuhr den hellen, farbenfrohen Schädel auf seinem Handrücken mit meiner Fingerspitze nach. Ich gab nicht vor, nachvollziehen zu können, warum er die Tätowierungen haben wollte, aber sie waren zweifellos hübsch.

      »Okay. Schieß los.«

      »Ich, äh…« Wie sollte ich Chloe erklären? »Ich habe eine Tochter.«

      Meine Fingerspitze


Скачать книгу