Teeträume. Anna Martin

Teeträume - Anna Martin


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sanft küssen. Dann, während meine Augen noch geschlossen waren, ließ er mich los. Ich hörte, wie die Tür ins Schloss fiel und ein paar Minuten später das Röhren des Motorrads.

      Als mir bewusst wurde, dass ich sehen wollte, wie er wegfuhr, rannte ich gerade noch rechtzeitig zum Fenster hinüber, um ihn die Straße hinunterfahren zu sehen.

      Noch nie zuvor war ich so nah dran gewesen, so etwas mit jemandem zu haben. Chris war so anders als ich, in jeder erdenklichen Hinsicht. Und trotz der Handvoll Beziehungen, die ich zuvor gehabt hatte, war Chris auch ganz anders als alle davon.

      ***

      »Bis jetzt gibt es noch nicht viel zu erzählen«, sagte ich zu Marley und log das Blaue vom Himmel herunter, in der Hoffnung, dass die Distanz, die der Telefonanruf kreierte, ausreichend war, damit sie das nicht mitbekam.

      Ich wählte einen nussbraunen Kürbis aus und legte ihn in meinen Einkaufswagen.

      »Das glaube ich dir nicht«, sagte sie frei heraus. »Habt ihr schon miteinander geschlafen?«

      »Nicht, dass dich das irgendetwas angehen würde, aber nein.«

      Zwei rote Peperoni.

      »Ich glaube dir immer noch nicht«, sagte sie. Ich musste ihre Hartnäckigkeit bewundern, aber andererseits, wenn es um Klatsch und Tratsch ging, war Marley eine Expertin darin, Informationen aus mir herauszupressen.

      »Dann glaub mir nicht«, sagte ich mit erzwungener Lässigkeit, als ein Sack Kartoffeln das Ende der Gemüseabteilung markierte.

      »Wie ist er so?«, wollte sie in forschem, sachlichem Tonfall wissen und ich kam nicht umhin zu lächeln. Ihre Methode könnte ein wenig Feinschliff vertragen, aber es bestand kein Zweifel daran, wie viel ihr das Thema bedeutete.

      »Jung«, sagte ich mit einem Hauch von Schuldbewusstsein.

      »Das weiß ich schon«, sagte sie seufzend. »Erzähl mir was Neues.«

      »Er ist intelligent«, meinte ich. »Intelligenter, als ich ihm zugetraut hätte. Und er hat ein verblüffendes Selbstbewusstsein, als ob er sich in seiner Haut rundum wohlfühlen und keine Bestätigung von anderen brauchen würde. Das gefällt mir an ihm.«

      »Wie groß ist sein Schwanz?«

      »Marlene«, sagte ich. »Ich bin entsetzt. Ich habe keine Ahnung. Und selbst wenn ich es wüsste, würde ich es dir nicht sagen.«

      »Lügner.«

      »Ziemlich groß«, gab ich zu. »Allerdings habe ich ihn noch nicht richtig angefasst, also steht das offizielle Urteil noch aus.«

      Eine kleine, blauhaarige Frau blinzelte mich im Gang mit den Gebäckwaren mit mörderischem Gesichtsausdruck an, also änderte ich schnell die Richtung, ein Brot in der Hand, und steuerte die Feinkostabteilung an. Das erschien nur logisch.

      Über das Telefon hörte ich Marley glücklich aufseufzen. »Ich liebe es, einen schwulen besten Freund zu haben«, sagte sie. »Und endlich streckst du dich den hohen Maßstäben entgegen, die ich für dich festgelegt habe.«

      »Ich bin so froh, dass du es endlich geschafft hast, mich in eine Schublade zu stecken«, sagte ich sarkastisch.

      »Oh, mach doch nicht so ein Theater«, sagte sie leichthin. »Wann lerne ich ihn kennen?«

      »Wenn er mehr ist als ein netter Mann, den ich zwei Mal gesehen habe? Ich habe auch noch keinen seiner Freunde kennengelernt, Marley. Wir gehen die Sache langsam an.«

      »Warum zum Teufel das denn?«

      »Weil… weil ich ihn tatsächlich mag, okay? Ich will nicht, dass das eine weitere einmalige Verabredung ist.«

      Sie schwieg einen Herzschlag zu lang und seufzte dann verträumt. »Du bist so ein Romantiker. Wann siehst du ihn wieder?«

      »Freitagabend«, gab ich zu. »Ich hab versprochen, was zu kochen, also versuche ich, ein bisschen was einzukaufen.«

      »Und Wein«, fügte sie hinzu. »Vergiss den Wein nicht.«

      »Jede Menge Wein.«

      »Genau. Und falls das ganze Date den Bach runtergeht, kannst du dich einfach betrinken, dich ausziehen und dir einen runterholen.«

      »Ein ganz gewöhnlicher Freitagabend!«, meinte ich flapsig.

      »Pass auf, dass er gut zu dir ist, Robert«, sagte sie plötzlich ernst. »Ich will nicht, dass du verletzt wirst.«

      »Werde ich nicht«, sagte ich. Ich wusste ihre Sorge zu schätzen, aber sie machte sich unnötig Gedanken. »Ich erzähl es dir, sobald es was Neues gibt.«

      »Nett von dir.«

      »Richte den Mädchen Grüße von mir aus.«

      »Mach ich. Bis bald dann.«

      Bis zum Donnerstag gelang es mir, mich in einen Zustand ähnlich einer blinden, atemlosen Panik zu bringen.

      Das Apartment – und der Kater – wurden in meinem Bemühen, mich von meinen Gedanken abzulenken, einem beispiellosen Frühjahrsputz unterzogen, auch wenn es September war. Die Wohnung war… bescheiden. Sie war nie dazu bestimmt gewesen, mein Zuhause zu sein; ich hatte sie aus der Notwendigkeit heraus gekauft. Da sie nah an der Universität lag, war die Anfahrt herrlich kurz und sie hatte die perfekte Größe für einen allein lebenden Mann wie mich. Der Immobilienmakler hatte die Küche als idyllisch und gemütlich bezeichnet, ein echtes Juwel – natürlich völliger Blödsinn. Sie war winzig. Sie bot gerade genug Platz, um gegen den Kühlschrank zurückgedrängt zu werden und einen Blowjob zu bekommen, wie mein Gehirn hilfreich ausführte. Um gegen die Erinnerung von vor zwei Nächten anzukämpfen, zwang ich mich dazu, in dem kleinen Juwel zu bleiben und es aufzuräumen, indem ich meine Schränke umsortierte und mein Gemüsefach säuberte. Das Gefrierfach abtaute. Eine neue Einkaufsliste schrieb. Katzenfutter. Milch, Brot, Bohnen. Kondome.

      Scheiße!

      Mit dem Staubsauger fuhr ich über die Teppiche und über das Sofa, saugte herumfliegende Katzenhaare auf und verbannte sie in die wirbelnden Tiefen der von Dyson hergestellten Verdammnis. Angst ließ mich poetisch werden. Ich räumte mein Bücherreal um (zweimal). Ich zog das Dewey-System in Betracht und verwarf es dann zu Gunsten der guten, alten alphabetischen Reihenfolge. Nach Autor und Genre. Deshalb begann meine Sammlung mit Anthropologie von Darren Abraham. Ich gab auf, als mein Gehirn mir sagte, Kipling als Einheit stehen zu lassen, aber mein neues System erforderte, dass Lyrik, Romane und Kurzgeschichten voneinander getrennt stehen mussten.

      Ich wechselte ins Schlafzimmer. Bezog das Bett neu. Beschloss, dass ich neues Bettzeug brauchte, eines ohne Blumenmuster, das ich von meiner Mutter geerbt hatte. Öffnete meinen Kleiderschrank. Und sank auf den Boden, eine Hand auf meine Brust gepresst, als die Finger einer Panikattacke nach mir griffen.

      Ich drückte die Schnellwahltaste an meinem Telefon und betete, dass meine Mutter nicht rangehen würde.

      »McKinnon«, zirpte Jilly.

      »Jill«, sagte ich. »Ich muss dringend einkaufen gehen.«

      Kapitel 3

      »Also, wonach suchen wir?«, fragte Jilly. Sie hatte sich bei mir untergehakt, während wir uns durch das Einkaufszentrum schlängelten und immer wieder stehen blieben, um einen Blick auf Schaufensterpuppen mit winzigen Taillen, riesigen Brüsten und milchigen, blinden Augen zu werfen. Sie erinnerten mich an etwas aus Dr. Who, das ich aus meiner Kindheit kannte, und dank dieser Assoziation waren sie mir nicht geheuer.

      »Ich brauche neue Bettwäsche«, sagte ich so beiläufig und lässig wie möglich. »Und neue Kleidung.«

      »Du triffst dich mit jemandem«, sagte sie und ihre Augen leuchteten auf, als sie mich herumwirbelte. Ich errötete. Sie quietschte auf und tanzte auf der Stelle. »Tatsächlich! Erzähl mir von ihm.«

      »Ich erzähle dir gar nichts«, sagte ich. »Wir hatten erst eine Verabredung. Ich werde dir mehr erzählen,


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