Teeträume. Anna Martin

Teeträume - Anna Martin


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Grinsen zu. »Du hattest Sex mit einer Frau?«

      Ich spürte, wie Hitze in meine Wangen stieg. »Ja. Einmal.«

      »Ich bin ganz Ohr.«

      Seufzend lehnte ich mich in meinem Stuhl zurück. »Es waren einmal ein verwirrter junger Mann und ein sehr hübsches Mädchen.«

      »Oh, oh«, unterbrach er mich. »Ich glaube, ich weiß, wie's weitergeht.«

      Ich lachte, erleichtert über seine bisher lockere Akzeptanz. »Vielleicht. Luisa war auf der Highschool eine sehr gute Freundin von mir. Wir sind ein paar Mal zusammen mit Freunden zu Verabredungen gegangen, aber ich habe mich nicht richtig geoutet, bis ich auf dem College war. Ich wollte sie nicht demütigen.«

      »Verständlich«, sagte Chris. Ich warf ihm einen finsteren Blick zu. Er machte eine Geste, als würde er seine Lippen mit einem Reißverschluss verschließen.

      »Als wir das erste Mal an Weihnachten vom College nach Hause kamen, fragte sie mich, ob ich sicher sei. Männer zu mögen. Ich sagte ja. Also fragte sie, ob ich schon mal mit einem Mädchen geschlafen habe. Und ich sagte nein. Sie sagte, wie ich dann sicher sein könne, wenn ich das nie zuvor ausprobiert hatte? Also taten wir es.«

      »Du hast bei ihr einen hochgekriegt?«

      »Ja. Ich sage nicht, dass es leicht war, aber ich habe es geschafft.«

      »Augen zu und durch«, sagte Chris ernst.

      »Genau. Als wir in den Frühlingsferien wieder zu Hause waren, sagte sie mir, dass sie schwanger sei, und ich fragte, ob es von mir sei, woraufhin sie mich schlug. Sie hat mir ein blaues Auge verpasst. Dann oblag mir die demütigende Aufgabe, meinen Eltern zu sagen, dass ich immer noch sicher bin, schwul zu sein, aber dass ich es trotzdem geschafft habe, mit Lu zu schlafen, und dass ich jetzt buchstäblich und metaphorisch am Arsch bin.«

      Chris runzelte die Stirn und drehte unsere Hände um, um meine in seine zu nehmen. »Was hast du gemacht?«

      »Luisa bekam das Baby im Sommer zwischen dem ersten und zweiten Studienjahr und ging dann direkt wieder in die Vorlesungen. Ein paar Jahre lang wurde Chloe von ihren Großeltern mütterlicherseits aufgezogen, bis wir beide mit unserer Ausbildung fertig waren. Dann versuchten wir, für etwa ein Jahr zu dritt zusammenzuleben, aber das war eine vollkommene und heillose Katastrophe, also nahm ich die Lehrstelle hier an.«

      »Wo lebt sie jetzt?«

      »Lu oder Chloe?«

      »Beide. Ich schätze, dass sie zusammen sind.«

      »Oh, ja, natürlich. Lu hat geheiratet, vor ungefähr vier, nein… fünf Jahre sind es inzwischen. Chloe hat eine kleine Schwester und eine weitere Schwester oder ein Bruder ist unterwegs.«

      »Und sie hat einen Stiefvater.«

      »Das macht mir nicht so viel aus«, murmelte ich. »Ich bin nicht der beste Vater der Welt.«

      »Warum nicht?«, wollte Chris wissen und sah zum ersten Mal, seit ich diese Unterhaltung begonnen hatte, aufgebracht aus. »Du hast sie gemacht, da solltest du auch die Verantwortung für sie übernehmen.«

      Ich nickte langsam. »Das weiß ich. Aber Chloe ist fast vierzehn, Chris. Im Moment mag sie niemanden besonders gern, am wenigsten eine ständig abwesende Vaterfigur. Mike tut ihr gut, das weiß ich, er ist ein großartiger Vater.«

      »Weiß sie, dass du schwul bist?«, fragte er.

      »Das weiß ich nicht. Vielleicht. Wahrscheinlich.«

      »Na, damit ist ja alles klar«, sagte er sarkastisch.

      »Ich weiß es nicht«, wiederholte ich. »Luisa hat es ihr vielleicht gesagt. Ich habe es bestimmt nicht getan. Sie hat genug Probleme, mit denen sie sich herumschlagen muss, ohne dass die Sexualität ihres abwesenden Vaters mit hineinspielt.«

      »Würdest du mich ihr vorstellen?«, fragte er. Ich spürte, dass das eine Art Test war. Wie ernst war es mir mit unserer Beziehung? Ernst genug, um den Freund mit der Tochter zusammenzubringen?

      »Ja«, sagte ich. »Wenn du das möchtest, werde ich das natürlich machen.«

      Er nickte. »Okay.«

      Ich entschuldigte mich, um auf die Toilette zu gehen, und überließ es ihm, sich den Rest des Apartments anzuschauen. Als ich zurückkam, musterte er gerade das Gemälde einer Kirche in der Nähe von dort, wo ich aufgewachsen war.

      »Ist das Edinburgh?«, fragte er. Ich nickte, trat an ihn heran und legte meine Arme von hinten um ihn.

      »Von meinem alten Zimmer aus habe ich immer diese Kirche sehen können. Ich liebte die Gargoyles. Sie waren über das ganze Gebäude verteilt und knurrten und brüllten einen an.«

      »Schreibst du?«, fragte er und drehte sich in meinen Armen um. Ich schüttelte den Kopf. »Solltest du aber«, meinte er. »Du hast so eine Art, mit Worten umzugehen.«

      »Ich habe viele wissenschaftliche Veröffentlichungen geschrieben«, sagte ich und korrigierte damit meine vorherige Aussage.

      »Das zählt nicht.«

      »Ich habe lange an einem Buch gearbeitet«, gab ich zu. Rückwärts ging ich zum Sofa hinüber, beließ meine Arme jedoch um ihn, sodass ich ihn mit mir nahm. »Ich schreibe immer noch daran.«

      »Wovon handelt es?«, fragte er und stieß die Luft aus, als wir uns in die Kissen fallen ließen.

      »Kipling«, gestand ich. »Es ist keine Biographie oder eine kritische Analyse seiner Werke, aber es beinhaltet Elemente von beidem.«

      »Vielleicht kann ich es irgendwann lesen«, sagte er leise.

      »Vielleicht. Nächste Woche halte ich eine Vorlesung über Skandierung und Metrik«, sagte ich. »Das ist dem, was du tust, sehr ähnlich: Rhythmus und Takte und Fluss und Tempo.«

      »In der Lyrik?«, fragte er.

      »Ja«, begeisterte ich mich. »Kipling war ein Meister. Er hat so viele Takte in eine Zeile gepackt. Es ist ein wenig wie…« Ich suchte nach dem richtigen musikalischen Vergleich, den ich Jahre zuvor oft verwendet hatte, in dem Versuch, ein anderes Level zu finden, auf dem ich mich mit meinen Studenten verbinden konnte. »… ein Viervierteltakt. Es gibt doch vier Takte in einer Einheit, richtig?«

      »Richtig«, stimmte er zu.

      »Aber die Melodie über der Vierviertel-Basslinie kann sehr viel mehr Takte haben.«

      »Eigentlich ist das sogar ziemlich normal«, sagte Chris. »Es ist die Fähigkeit eines Percussionisten, in der Lage zu sein, verschiedene Rhythmen mit je einer Hand und einem Fuß gleichzeitig zu spielen.«

      »Genau«, sagte ich. »Also, du hast bestimmt schon mal den Satz Denn das Weibchen jeder Gattung ist letaler als der Mann gehört.«

      »Ja …«

      »Obwohl diese Zeile« – ich zählte es an meinen Fingern ab – »fünfzehn Silben hat, hat sie metrisch gesehen vier Takte. Vier Takte auf der Basslinie.«

      Er dachte darüber nach und ich ließ ihn in seiner eigenen Geschwindigkeit darauf kommen. »Ich glaube, ich verstehe.«

      Ich klopfte es ihm vor, indem ich die Zeile wiederholte, bis er die Betonungen auf den Takten hörte.

      »Jede Sprache hat natürliche Muster. Und in der Lyrik gibt es Hunderte. Aber Kipling hat gewusst, wie er die Metrik manipulieren und wie er so viele unbetonte Takte wie möglich in einen Viervierteltakt reinpressen konnte.«

      »Klingt kompliziert«, sagte er.

      »Ist es auch«, stimmte ich zu. »Aber da treffen unsere Welten aufeinander. Ich habe Stunden damit zugebracht, über die Lyrik zu grübeln, betonte und unbetonte Takte zu finden, den Rhythmus herauszuarbeiten und wie all das die Dinge verändert, wie es sich auf die Musik des Gedichts auswirkt.«

      »Und das beinhaltet deine Vorlesung.«

      »Zum


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