Taken by Berlin. Nicolas Scheerbarth

Taken by Berlin - Nicolas Scheerbarth


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alten Autobahn ... schrägeres Licht, gemasert von schmalen Schatten ohne Kühle unter spärlich graubraun belaubten Baumgerippen. Vor Klins neuer Stellung haben sich wuchernde Krüppelbüsche um die Leitplanke und auf den Randstreifen geschoben, sich eine Bahn in den Belag gerissen, sogar einige ... wenige ... grüne Blätter produziert.

      Nichts regt sich zwischen den Büschen ... Menschen überall, platt am Boden in graubraunen Tarnanzügen ... nackt zusammengekauert in Schweinchenstellung die Waldleute ... ein Rudel Wildschweine für die Biometrie ... warten flach atmend, lauschen dem Wispern der Terminals.

      "Posten A an Nest. Immer noch nichts ... "

      "Rotte 2 an Nest. Wir rücken noch ein paar Meter abwärts. Dort ist die Sicht besser.."

      "Nest an Rotte 2. Verstanden. Absicherung beachten. Zwo Mann in Position belassen."

      "Rotte 2 an Nest. Verstanden. Zwo Mann bleiben oben."

      "Posten 4 an Nest."

      "Nest an Posten 4. Meldung!"

      "Melde Bewegung ... Motorengeräusch ... Verbrennungsmotor ... schweres Gerät ... Achtung, Sichtkontakt ... es ist der Zug!"

      "Verstanden, Posten 4. Nest an alle. Es geht los. Der Zug kommt. Rotte 2, seid Ihr in Position?"

      "Ja."

      "Nest an alle. Absolute Funkstille. Es gilt Befehl Geierhorst. Wiederhole: Befehl Geierhorst."

      Schweigen ... Klin liegt jetzt mit einem anderen allein unter seinem Gebüsch ... den Kopf halb erhoben ... natürlich nichts zu sehen, nichts von dem SA Bannsturm, den Pionieren, den zwei Kampfrudeln der Waldleute, nichts ... hundert lauern ...

      Ein Brummen weht um die Biegung herauf. Betonbrösel knirschen. Sein Kamerad schiebt sich weiter vor. Klins Gesicht ist vor Anstrengung gerötet, die Muskeln unter dem hauchdünnen Stoff gespannt. Einen Moment lang schwebt der Ton noch in der Ferne, bleibt allgemein, fast ein Naturlaut ... Vibrationen dringen aus dem endlosen Fundament ... hinter der letzte Kurve hervor ... brummt es auf, zieht auf ihn zu, schüttelt die alte Autobahn ... näher heran ... Knirschen und Dröhnen auf Klin zu ... der Zug. Ein uralter Gigant. Wolga 40 Tonnen Tanksattelzug mit Methanolturbine und gepanzertem Führerhaus, grau braun grün schmutzig narbig von tausend tödlichen Flüssigkeiten, die er damals sicher durch eine zusammenbrechende Welt bringen sollte, und die beim Einfüllen zu oft verschüttet wurden ... walzt und mahlt ohrenbetäubend auf minensicheren Metalldrahtreifen, prägt tiefe weiche Teerflecken, zu langsam, um eine Staubwolke aufzuwirbeln ... hinauf, zur nächsten Kurve und herum und ... ein zischendes Aufstöhnen. Und Ruhe.

      Klin lässt den Kopf vornüber sinken, Stirn, Nase, Lippen und Kinn auf ein Stück staubigen Betons. Leise Rufe, kurze Schritte ... langsam schälen sich wieder Geräusche aus der Betäubung ... das flache Atmen des Mannes neben ihm, Laute der mühsam lebenden Natur, Rascheln, Knacken ... Äste brechen immer noch häufig von alleine ab ... Zirpen und Summen von Insekten, Geräusche, die langsam wieder zu einem friedlichen Klang zusammenwachsen, Rascheln und Summen ... sogar deutlicher werden ... Klin zuckt, die Hand des Kameraden ist auf seinem Arm, packt und drückt ... ein Summen hebt sich heraus, steigt aus auf dem Wald, dem Tal, der Ebene, aus Rheinmain eine Botschaft der Ferne ... summt mit ungeahnter, irrwitziger Geschwindigkeit heran ... sanft und schnell drei Schemen vorbei und ...

      ... Jaulen der Bremsen. Knirschen. Schläge und Brechen. Die Leute dort sind gut, sehr gut. Der letzte der drei Wagen steht noch nicht, da schießen die aus dem ersten, oben, hinter der Kurve, bereits, obwohl er schwer beschädigt sein muss. Kurze, trockene Einzelschüsse, sie sind nicht einmal in Panik. Querschläger lassen den Tankzug klingen. Vom Stakkato zur Sinfonie. Aus dem dritten Wagen, deutlich vor Klin, hechten zwei Mann und sterben im Flug, von Werfergranaten zerhackt. Aus Schießscharten ragen die Läufe von Maschinenpistolen, ballern ziellos ins Gebüsch.

      Rufe, Kommandos tönen hinunter zu Klin. Die Funkstille darf nicht gebrochen werden. Ein dumpfer Einschlag, harmlos wie das Herabfallen eines schweren Buchs. Bullernd rollendes Dröhnen. Eine schwarze Wolke zieht über der Kurve auf. Die Pistolen tackern spärlicher. Keine zehn Sekunden stehen die drei Wagen jetzt ... ohne Chance. Aus Klins Augenwinkeln kommt die Flammenspur, ein Zischen, der Einschlag der Bazooka ... das zweite dicke Buch, überlagert von dem Dröhnen der Explosion unmittelbar vor ihm, die sich ratternd fortpflanzt ... Munition in dem Auto ... und dann der brüllende Ausbruch des Treibstoffs. Schwarzer Qualm wälzt sich über den Flammen, ein brennender Mensch taumelt monströs rudernd aus dem Inferno und wird gerade vor Klin von der Explosion seines Magazins zerrissen. Schüsse fallen keine mehr. Sturmpioniere in Schutzkleidung sprühen aus großen Kartuschen Schaum auf die Brände, die sich wie absichtlich auf den ausgedörrten Wald zu bewegen.

      "Rotte 2! Vorsichtig aufschließen!"

      Das ist für Klin. Nach unten sichernd schleicht er langsam hangaufwärts, beobachtet seine Rotte, die unten die Kurve hoch kommt ... geduckt am Gebüsch entlang, die Waffe im Anschlag.

      Hinter der Kurve der gleiche Anblick ... ein gepanzerter Lada der Unionspolizei als aufgerissene Dose, drei verkohlte Leichen und Männer der SP mit schwerem Handlöschgerät. Oberhalb steht quer auf der Fahrbahn der Tanklastzug. Und mittendrin der zweite Wagen. Links zur Seite gerutscht, hat sein Gewicht die brüchige Mittelplanke zermalmt. Als gehörte er nicht dazu. Ein paar Beulen in der Panzerung, der Lack von der Hitze angesengt ... keine Regung hinter den schwarzen Scheiben, kein Spalt als Schießscharte ... Klin ist nah genug, blickt immer wieder hin, zu diesem ungeheuerlichen Fahrzeug ... ein erlegter Dinosaurier ... Hass und Staunen erregendes Relikt einer vergangenen Epoche, aus dem Fuhrpark des Rats der Union. Benz 900 SLL 16-Zylinder, Baujahr 2037.

      SA und Waldleute stehen darum, einige mit Tränen in den Augen. Sie hassen dieses Monstrum, arrogantes Symbol der Verschwendung ... weit über 200 Stundenkilometer schnell, haben sie gehört, obwohl sie das nun wirklich nicht glauben ... verbrennt – Benzin. Erdöl! Vernichtet in verschwenderischem Durst den kostbarsten Rohstoff, den Menschen heute kennen, winzige, unbezahlbare Basis für einen Rest von Zivilisation.

      Wie Kulissen werden zwei Büsche beiseite gezogen. Vier Männer schleppen schweres Gerät heran ... Knöpfe und Skalen hinter einer geöffneten Schutzklappe. Sie stellen es auf die rissige Fahrbahn neben der Ratslimousine. Ein Mann wickelt ein Paket aus dem Tarnstoff ... ein klobiger Projektor ... dicke Kabel werden zwischen Projektor und Kasten eingesteckt ...

      "Verdammt, beeilt Euch! – Bannführer! Wir sind soweit."

      Der Bannführer steht an dem Generatorkasten. Er überragt die meisten der jungen Kämpfer ... ein großer, hagerer Mann mit silbergrauem Borstenschnitt, zerfurchtem Gesicht und harten, flachen Muskeln. Der Laserstrahl steht rotglühend ... schwenkt wie spielerisch am rechten, vorderen Kotflügel des gepanzerten Autos entlang. Schneidet wie durch Butter. Haarfein ist die Spalte. Kotflügel, Rad, Aufhängung und Radkasten poltern zur Seite, der Wagen sackt tiefer in den Boden des Mittelstreifens.

      "Fangen Sie an!" – der Bannführer verhalten, nüchtern zu den Männern.

      Wieder tanzt der Laserstrahl ohne Hast über den Wagen ... metallisches Knirschen und Reiben ... ein glatter Schnitt trennt Vorderwagen und Motor von der Fahrer- und Fahrgastzelle.

      "Wegziehen!"

      Einige Männer haben ihre Waffen auf die Fenster gerichtet. Sturmpioniere ziehen das abgetrennte Fahrzeugteil vorne weg, sprühen Schaum auf die zerteilten Leitungen und das auslaufende Öl und Benzin.

      "Die Fahrer!"

      Der Strahl frisst sich in die Fahrerkabine, wird hin und her gezogen ... gellende Schreie selbst durch die gepanzerten und gedämmten Wände lassen einige der jungen Rotter zucken ... gespenstisch langsam öffnet sich drüben die Fahrertür, klicken schon die Waffensicherungen, knallt eine einzelne nervöse Kugel in den Spalt ... der sich erweitert, als Teile der Tür angeschnitten nach außen fallen und dazwischen blutige Fleischklumpen, längs und quer zerschnittene Gliedmaßen, ein halber Kopf und rot breiige Masse ... junge Schützen wenden sich ab, bedecken die Augen vor ihrem Werk ...

      "Die Kabine! Los, macht hin, ihr Schlappschwänze! Die Zeit wird knapp, und Oma wartet nicht mit dem Kuchen." – ein Rottenführer ungerührt.


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