Der Bergpfarrer Paket 1 – Heimatroman. Toni Waidacher
der Karte auf, in der sie gelesen hatte. »Jetzt muß gleich der Abzweig kommen.«
»Ja, ich seh’s schon. Dort vorn’ ist ein Schild.«
Er bog in die Straße ein. Nach weiteren sechs Kilometern sahen sie die Gebäude des Ponygestütes. Sie fuhren durch die Einfahrt und hielten neben den Ställen.
»Nanu«, wunderte sich Sandra, die mit Stephan unter der Eiche saß. »Wer besucht uns denn da?«
»Meine Eltern«, seufzte er.
Natürlich hatte er den Wagen sofort erkannt.
»Grüß’ dich Mutter«, sagte er, nachdem Ingrid Rössner ausgestiegen war und gab ihr einen Kuß auf die Wange.
Dann hielt er seinem Vater die Hand hin.
»Wenn ich sage, ich würd’ mich freuen, dich zu sehen, dann ist das die volle Wahrheit«, sagte Walter Rössner und drückte die dargebotene Hand. »Ich würd’ gern mit dir reden.«
Er schaute zu Sandra hinüber, die aufgestanden war und nun abwartete.
»Allein, wenn’s möglich ist.«
»Warum?« fragte Stephan zurück. »Was du mir zu sagen hast, kann das Mädel, das ich liebe, ruhig hören. Aber ich sag’ dir gleich, wenn du gekommen bist, um mich wieder einmal deine Autorität spüren zu lassen, dann kannst du gleich wieder fahren. Es ist alles gesagt, was es zu sagen gab.«
Er drehte sich um und wollte zu Sandra zurückgehen.
»Stephan…«, rief seine Mutter ihm hinterher.
»Tut mir leid, Mutter«, gab er zurück und ging weiter.
Walter Rössner stand einen Moment sprachlos da, dann explodierte er.
»Zum Himmeldonnerwetter«, schnaubte er. »Der Bengel hört mir ja überhaupt nicht zu. Der ist ja noch sturer als ich!«
»Komm«, sagte seine Frau und nahm ihn beim Arm. »Im Moment hat es wohl keinen Zweck. Laß uns zurückfahren. Vielleicht red’ ich besser erst einmal alleine mit ihm.«
Dazu kam es in den nächsten Tagen allerdings nicht. Immer, wenn Ingrid Rössner auf dem St. Johann anrief, um mit Stephan zu sprechen, ließ dieser sich verleugnen. Dabei fiel es ihm offensichtlich schwerer, als er es zugeben wollte. Sandra konnte jedenfalls deutlich sehen, daß Stephan unter dem Streit mit dem Vater litt.
»Willst du ihm nicht die Hand zur Versöhnung reichen?« fragte sie eines Abends, als sie draußen spazieren gingen.
»Damit er wieder davon anfängt, daß ich eines Tages die Firma übernehmen soll? Niemals. Ich gehe nicht wieder auf die Uni zurück, und wenn er sich auf den Kopf stellt.«
*
Wieder einmal zeigte sich, daß der Apfel nicht weit vom Stamm fällt, erbost über das Verhalten seines Sohnes, schaltete auch Walter Rössner auf stur. Alles Bitten seiner Frau konnte ihn nicht umstimmen, noch einmal zum Ponyhof hinauszufahren und das Gespräch mit Stephan zu suchen.
Ingrid Rössner unternahm einen letzten Versuch und rief auf dem Gestüt an. Diesmal meldete sich zum erstenmal nicht die alte Frau, die sonst abnahm.
»Ich bin die Mutter von Stephan«, erklärte Ingird. »Kann ich ihn sprechen?«
»Es tut mir leid, Frau Rössner, Stephan möchte weder mit Ihnen noch mit seinem Vater reden«, sagte Sandra Haller.
Einen Moment war es still in der Leitung.
»Sind Sie die junge Frau, die mein Sohn…?«
»Ja. Wir haben uns neulich abend kurz gesehen.«
Von dem folgenden Gespräch erfuhr weder Stephan noch sein Vater jemals ein Wörtchen. Was die beiden Frauen verabredeten erfuhr nur Sebastian Trenker und wurde ins Vertrauen gezogen.
Am nächsten Sonntag äußerte Ingrid den Wunsch, die Messe zu besuchen. Aufmerksam hörten sie der Predigt des Geistlichen zu und bewunderten die verschwenderisch gestaltete Kirche. Besonders Walter Rössner erfreute sich an den Bildern und Figuren.
»Als nun aber der Sohn heimkehrte, freute sich der Vater so sehr, daß er ein großes Fest veranstaltete«, sagte Pfarrer Trenker, der oben auf der Kanzel stand.
Walter Rössner, der einen Moment abgelenkt gewesen war, schaute auf, als habe er das Gefühl, jemand beobachtete ihn. Sebastian, der den Mann im Blick hatet, schaute zu der Bank hinüber, in der Stephan und Sandra saßen.
»Oftmals sind es die kleinen Irrtümer, die einem das Leben so schwer machen«, fuhr er mit seiner Predigt fort. »Und so, wie der verlorene Sohn vom Vater mit offenen Armen empfangen wurde, so soll der Sohn seinen Vater umarmen und sich mit ihm aussöhnen.«
Walter Rössner drehte vollends den Kopf und schaute hinter sich. Er hatte sich nicht getäuscht. Drei Reihen weiter saß sein Sohn, neben ihm die junge Frau. Der Fabrikant spürte sein Herz klopfen, als Stephan ihm unmerklich zunickte.
Ingrid, die natürlich alles mitbekam, drückte Walters Hand. Das wird schon werden, sollte es heißen.
Nach der Messe strebten die Kirchenbesucher zum Ausgang. Nur Stephans Eltern blieben stehen und warteten, bis die Reihen sich leerten. Dann fielen Vater und Sohn sich in die Arme, auch die beiden Frauen umarmten sich.
»Entschuldige, Vater«, bat Stephan. »Ich hab’ mich ziemlich dumm benommen. Erst die Predigt heute hat mir die Augen geöffnet.«
»Ist schon gut, mein Junge«, antwortete Walter gerührt. »Wir werden uns in aller Ruhe aussprechen. Aber erstmal werd’ ich tun, was sich für einen glücklichen Vater gehört. Ich gebe ein Festessen für dich und deine Freunde.«
»Du wirst dich wundern«, lachte Stephan und hakte sich bei seinen Eltern ein. »Das wird ganz schön teuer für dich. Wir sind nämlich sieben Leute auf dem Ponyhof.«
»Keine Bange«, gab sein Vater zurück. »Das ziehe ich dir von deinem Erbteil ab.«
Dann verließen sie unter dem schmunzelnden Blick von Pfarrer Trenker die Kirche.
*
Gerade eben erst hatten sich die ersten Sonnenstrahlen gezeigt, als Stephan das Pfarrhaus verließ. In seinen Wanderschuhen und der derben Kleidung sah er nicht wie ein Geistlicher aus, eher hätte man ihn für eine durchtrainierte Sportskanone halten können. Und in der Tat hatte man ihn schon mit solch einer verwechselt.
Im Rucksack führte er Kaffee, Brot und Käse mit, und später würde er ein kleines Mittagessen auf einer Almhütte einnehmen. Ja, es wurde wieder einmal Zeit, daß er in seine geliebten Bergen unterwegs war. Aber zuviel war in den letzten Tagen und Wochen geschehen, das ihn von seinem geliebten Hobby abhielt. Die Ereignisse um den Ponyhof waren, gottlob, alle glücklich geendet, und das Zerwürfnis zwischen Stephan Rössner und seinem Vater war gekittet worden.
Nach der Aussprache wurde deutlich, daß nichts und niemand Stephan von seinen Plänen abbringen konnte, und sein Vater akzeptierte die Vorstellungen seines Sohnes. Mehr noch, er war bereit, eine beträchtliche Summe in den Ponyhof zu investieren, damit es endlich vorangehen konnte. Allerdings hatte er eine Bedingung daran geknüpft – sollte es sich zeigen, daß das geplante Ferienparadies nicht den Zuspruch der Gäste fand, sollte Stephan doch noch zu Ende studieren und in die väterliche Firma einsteigen. Sebastian fand, daß dies eine vernünftige Lösung war.
Tief atmete er ein und weit schritt er aus. Vor ihm standen die majestätischen Berge, deren Anblick sein Herz höher schlagen ließ. Es war immer wieder ein Abenteuer, das es zu bestehen galt. So manches Menschenschicksal war ihm dort oben schon begegnet, und wer konnte wissen, welches Problem heute vielleicht auf ihn wartete.
Aber, was immer es war, mit Kraft und Zuversicht würde der Geistliche sich daran machen, dieses Problem zu lösen. Denn dafür liebten die Leute von St. Johann ihren Bergpfarrer.