Der Bergpfarrer Paket 1 – Heimatroman. Toni Waidacher

Der Bergpfarrer Paket 1 – Heimatroman - Toni Waidacher


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Maria Engler zu ihrer Tochter und schüttelte den Kopf. »Himmelnocheinmal, wo bist’ bloß mit deinen Gedanken? Hundertmal hab ich’s dir doch schon gezeigt!«

      Das dunkelhaarige Madel hob das hübsche Gesicht.

      »Ja, Mutter, entschuldige bitte, ich weiß auch net, was mit mir los ist…«

      Dabei hoffte sie, daß ihre Mutter nicht sah, wie sie rot anlief. Sie wußte nämlich ganz genau, was mit ihr los war. Übermorgen kam Markus zurück, endlich, nach drei langen Jahren. Darum war das Madel so aufgeregt und konnte sich auf nichts konzentrieren.

      Maria hatte ihr die Kuchenform aus der Hand genommen und selbst noch einmal gründlich eingefettet. Jetzt reichte sie sie der Tochter zurück. Michaela füllte den Teig hinein und strich ihn glatt. Dann schob sie die Form in den vorgeheizten Backofen.

      »Eine gute Stunde, bei hundertachtzig Grad«, bemerkte die Mutter, bevor sie die Küche verließ. »Ich leg’ mich jetzt ein halbes Stündchen hin. Weck mich um drei.«

      »Ist gut«, antwortete das Madel und machte sich an den Abwasch.

      Um drei würden auch die beiden Knechte, Valentin Oberbauer und Franz Saibler vom Wald zurückkommen. Dann wurde auf dem Anstetterhof Kaffee getrunken. So war es seit jeher Brauch. Michaela konnte sich nicht erinnern, daß es jemals anders gewesen wäre, und sie lebte schon lange mit ihrer Mutter, die hier als Magd arbeitete, auf dem Hof. Der Vater war kurz nach der Geburt der Tochter durch einen tragischen Unglücksfall verstorben, und Maria hatte zusehen müssen, daß sie sich und das Kind durchbrachte. Sie sprach oft davon, wie sehr sie dem Anstetter-Bauern und seiner Frau dankbar war, daß sie damals mit dem Kind aufgenommen worden war. So wuchs Michaela zusammen mit dem Sohn des Bauern auf, und sie und Markus wurden wie Bruder und Schwester.

      Später, als die Bäuerin gestorben war, übernahm Maria Engler auch bei dem kleinen Bub die Mutterpflichten, und manchmal kam es sogar vor, daß Markus sie Mama nannte.

      Es wurde eine glückliche Zeit für Michaela, genauso, wie ihre Mutter es sich erhofft hatte. Die Jahre vergingen, und aus den Kindern wurden junge Leute. Markus Anstetter besuchte die Landwirtschaftsschule, und als er sie beendet hatte, äußerte er den Wunsch, für ein paar Jahre als Entwicklungshelfer nach Afrika zu gehen. Der Altbauer, Josef Anstetter, konnte sich nur schlecht damit anfreunden, aber mit Marias Hilfe und dem Zureden durch Pfarrer Trenker, gelang es dem Sohn, den Vater zu überzeugen.

      »Also gut, Bub«, gab der Alte nach, »aber in drei Jahren bist wieder hier und übernimmst den Hof. Dann hab’ ich lang’ genug geschafft.«

      Einundzwanzig Jahre alt war er da gewesen und Michaela achtzehn. Es war ein schwerer Abschied, denn beide wußten, daß nun auch die unbeschwerte Zeit ihrer Kindheit und Jugend endgültig vorüber war.

      An all diese Dinge dachte das Madel, während es den Abwasch beendete und den großen Tisch auf der Diele deckte.

      Ob er sich sehr verändert hatte? In seinen Briefen war nichts davon zu merken gewesen.

      Im Gegenteil, oft neckte er sie mit Andeutungen und Bemerkungen über Streiche, die sie ausgeheckt hatten, erinnerte er sie an längst vergessene Begebenheiten, wie das ›Abenteuer‹ droben, am Höllenbruch, wo Michaela sich einmal beim Pilzesuchen verlaufen hatte.

      Die Leute vom Hof suchten sie den halben Tag. Markus fand sie schließlich weinend auf einem Ameisenhaufen sitzend. Oder an den Ausflug zum Achsteinsee, wo Markus beinahe ertrunken wäre, als das Boot kenterte.

      Aber diese Zeiten waren vorbei. Michaela wußte nicht, ob sie diese Tatsache bedauern sollte. Jetzt war sie erwachsen, und Markus ebenfalls. Sie spürte ihr Herz schneller schlagen, als sie sich vorstellte, daß er schon bald wieder vor ihr stehen würde. Sie wußte, daß sie ihn liebte, mehr, als alles andere auf der Welt. An Verehrern mangelte es ihr wahrlich nicht. Auf der Schule war es nicht anders gewesen, als auf den Tanz­abenden, drunten im Dorf. Aber keinem von den Burschen war es je gelungen, ihr Herz so zum Klopfen zu bringen, wie der Gedanke an Markus Anstetter.

      *

      Im Büro des Bürgermeisters von St. Johann herrschte rege Betriebsamkeit. Markus Bruckner saß an seinem Schreibtisch, vor sich einen Berg Aktenordner, und seine Sekretärin, Katja Hardlacher, brachte erneut einen Armvoll davon aus dem Archiv im Keller des Rathauses.

      »Du liebe Zeit, wie viele sind’s denn noch?« stöhnte Markus.

      »Dies sind die letzten, Herr Bürgermeister.«

      Die junge Frau legte die Ordner zu den anderen.

      »Und alle über die bewußte Angelegenheit?« wunderte der erste Mann des Ortes sich. »Ich hab’ ja gar net g’wußt, daß die Sach’ solch einen Umfang hat.«

      Er holte tief Luft und stieß sie hörbar wieder aus.

      »Na schön, dann wollen wir uns mal da durcharbeiten.«

      Der Bürgermeister sah seine Sekretärin an.

      »Dank’ schön, Frau Hardlacher«, sagte er. »Wenn S’ mir jetzt vielleicht noch einen Kaffee bringen könnten. Und dann bitte keine Störung – wenn’s sich vermeiden läßt.«

      »Der Kaffee kommt gleich.«

      Die Frau schloß die Tür hinter sich und ließ Markus Bruckner allein in seinem Büro. Der Bürgermeister strich sich nachdenklich über das Kinn und nahm dann den ersten Ordner zur Hand. Als er ihn aufschlug, wehte ihm ein muffiger Geruch entgegen.

      Eine ganze Stunde vertiefte er sich darin. Katja Hardlacher hatte ihm den gewünschten Kaffee gebracht und ihn dann nicht mehr gestört. Markus Bruckner las, überlegte, blätterte vor und dann wieder zurück. Zwischendurch machte er sich Notizen auf einem Block. Schließlich klappte er den Ordner zu und legte ihn zufrieden zur Seite. Dabei schaute er die anderen Akten an, die er noch nicht durchgesehen hatte. Da lag noch eine Menge Arbeit vor ihm, aber wenn der Inhalt der verstaubten Dokumente und Schriftstücke genauso befriedigend war, dann lohnte sich die ganze Mühe. Im stillen bedankte er sich bei seiner Frau, die am letzten Sonntag darauf bestanden hatte, endlich einmal mit ihrem Mann einen Ausflug zu machen und nicht immer nur die Zeit mit Verwandtenbesuchen zu verbringen. Eine große Wanderung von St. Johann nach Engelsbach hatten sie gemacht, quer durch den Ainringer Wald, und dabei war der Bruckner-Markus auf eine Sache gestoßen, an die er schon ewig nicht mehr gedacht hatte – auf das alte Jagdschloß ›Hubertusbrunn‹.

      Wie ein verwunschenes Märchenschloß stand es da im Wald, umgeben von einem verwilderten Park, dessen Dornensträucher es beinahe unmöglich machten, näher heranzukommen.

      »Wie das Dornröschenschloß«, hatte seine Frau gesagt, und Markus Bruckner hatte sofort eine Idee.

      Dieses verlassene Jagdschloß gehörte, soweit er wußte, zum Besitz des verstorbenen Baron Maybach. Dunkel erinnerte er sich da an eine Geschichte, die sich lange vor seiner Amtszeit zugetragen hatte. Der Baron und dessen Frau waren auf tragische Weise ums Leben gekommen, und seit jenen Tagen stand Hubertusbrunn leer und verkam.

      Offenbar hatte sich in all den Jahren seit dem Unglück niemand mehr um das Anwesen gekümmert, und Markus Bruckner fragte sich, wem das Jagdschloß wohl gehören mochte.

      Gab es überhaupt einen Erben? Oder war es womöglich dem Freistaat und damit gar der Gemeinde zugefallen? Seiner Gemeinde? Schließlich lag es näher an St. Johann, als an Engelsbach.

      Was konnte man alles daraus machen!

      Soviel man von außen sah, gab es doch mindestens zehn Zimmer, wenn nicht mehr. Aber Genaueres würde sich bestimmt noch in irgendwelchen Unterlagen finden lassen. Es war doch jammerschade, solch ein Juwel einfach so verkommen zu lassen. Markus Bruckner war immer darauf bedacht, aus ›seinem‹ St. Johann etwas besonderes zu machen.

      Einen touristischen Anziehungspunkt zum Beispiel, und mit diesem Schlößchen würde es sogar eine Attraktion haben, denn ihm schwebte etwas ganz Exklusives vor. Etwas, das es noch nicht einmal in der Kreisstadt gab.

      Aus Schloß Hubertusbrunn sollte ein Spielcasino werden!

      Natürlich


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