Der neue Sonnenwinkel Box 7 – Familienroman. Michaela Dornberg

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fiel der Löffel aus der Hand. Sie wusste nicht, womit sie gerechnet hatte, damit nicht. Und das überraschte sie auch so sehr, dass sie erst einmal dazu nichts sagen konnte.

      Offensichtlich erwartete Jörg auch keinen Kommentar seiner Mutter.

      »Mama, ich fliege in erster Linie zurück, weil ich alles dransetzen will, mich mit Charlotte wieder zu versöhnen, und ich kann nur hoffen, dass sie mir verzeihen wird.«

      Nun verstand Inge überhaupt nichts mehr.

      »Mama, es war dumm von mir, sie zu verlassen. Ich wusste von Anfang an, dass sie einen Sohn hat, den sie über alles liebt. Und Sven ist ja auch ein großartiger Junge. Ich habe die Probleme größer gemacht, als sie sind, und mich immer tiefer hineingesteigert, dass ich mit dem Jungen nicht umgehen kann, weil er mir den Verlust meiner eigenen Kinder bewusst macht.«

      Er hieb mit seiner Kuchengabel in den Kuchen hinein.

      »Das war dumm, das war egoistisch von mir. Ich dachte nur an mich, an meine eigene Befindlichkeit. Für Charlotte war es auch nicht einfach, mit einem Kaputten wie mir klarzukommen, der von seinen Altlasten erdrückt wird, unter ihnen leidet. Sie hat sich nicht ein einziges Mal beklagt, sie hat mich aufgehoben, wenn ich am Boden lag, sie hat meine Launen hingenommen, die ungerechtfertigt waren. Sie hat alles für mich getan aus Liebe. Und ich? Ich habe diese Liebe mit Füßen getreten. Mein Gott, Mama, ich bin doch ein erwachsener Mensch. Ich treffe in der Firma weitreichende Entscheidungen, und im Privatleben versage ich. Ginge es hier um einen Job, dann hätte man mich längst entlassen, man wäre über meinen freiwilligen Weggang erleichtert gewesen. Und Charlotte? Die hat um mich gekämpft, sie hat geweint. Und ich? Ich habe nur mich gesehen. Meine Güte, was für ein Narr ich doch war.«

      »Du hattest deine Gründe, dich so zu verhalten, mein Junge«, sagte Inge leise. »Es gibt für nichts im Leben eine Gebrauchsanweisung.«

      Er blickte seine Mutter an.

      »Mama, ich war ein selbstherrlicher Egoist. Schön, ich habe meine Frau und meine Kinder verloren. Dabei geht es mir nicht einmal um Stella. Da ist nichts mehr, Charlotte passt viel besser zu mir als meine Ex. Aber die Kinder, die vermisse ich ja schon sehr. Doch ich bin kein Einzelfall. Es gibt unzählige Trennungen, Leid und Schmerz. Doch das Leben geht weiter, und das Universum dreht sich nicht nur um einen selbst. Man kann es nicht nach sich ausrichten, muss mit den Befindlichkeiten leben. Ich weiß nicht, warum ich mich so sehr in alles hineingesteigert habe. Vermutlich ging es mir zu gut, ich habe mich ausgeruht, alles als eine Selbstverständlichkeit betrachtet, ich wurde bequem, wollte Charlotte allein für mich haben, nicht im Doppelpack. Wie heißt es so schön, wenn es dem Esel zu wohl ist, geht er aufs Eis tanzen. Ich war nicht nur ein Esel, ich war ein richtiger Hornochse.«

      Ehe Jörg nun versuchte, sich weiter zu zerfleischen, sagte Inge: »Jörg, Selbstvorwürfe helfen dir jetzt auch nicht weiter. Ich freue mich, dass du versuchen möchtest, dich mit Charlotte zu versöhnen. Sie ist eine wundervolle Frau, und wir alle mögen sie sehr. Wenn sie dich wirklich liebt, dann wird sie dir auch verzeihen. Es ist mit dir und Charlotte ja alles sehr schnell gegangen, wenn ihr euch …«

      Jörg unterbrach seine Mutter.

      »Mama, fang jetzt bitte nicht damit an, dass Charlotte und ich uns auf einer Partnerbörse im Internet kennengelernt haben. Das ist ein legaler und für viel beschäftigte Leute der richtige Weg, jemanden zu treffen. Führ bitte nicht an, dass man sich früher auf Tanztees kennengelernt hat. Das ist out, so etwas gibt es nicht mehr. Und weil man einiges von sich preisgeben muss, wussten Charlotte und ich bereits eine ganze Menge voneinander, ehe wir uns zum ersten Male trafen. Dazu hätte es früher mindestens zehn Tanztees gebraucht. Früher war alles anders, doch früher hatten wir auch einen Kaiser, Mama, die Zeiten haben sich geändert, und wer nicht mitgeht, der bleibt auf der Strecke. So einfach ist das.«

      Inge bereute, davon angefangen zu haben. Es befremdete sie halt noch immer. Und kein Mensch konnte über seinen Schatten springen. Sie gehörte zu der Generation, in der man halt seinen Partner auf ganz altmodische Weise kennengelernt hatte.

      »Jörg, es tut mir leid.«

      »Mama, es muss dir nicht leidtun«, versicherte er ganz versöhnlich. »Charlottes und meine Konflikte haben überhaupt nichts mit der Art unseres Kennenlernens zu tun. Ich hätte auch so reagiert, wenn wir uns zufällig, durch die Vermittlung von Freunden, durch eine Anzeige oder wie auch immer kennengelernt hätten. Es liegt an mir allein. In meinem Kopf hat sich da etwas festgesetzt, und da habe ich mich immer weiter hineingesteigert. So einfach ist das. Ich muss lernen, loszulassen. Ich darf nicht weiter am Alten festhalten wollen.«

      Inge konnte sich bei seinen letzten Worten ein kleines Lächeln nicht verkneifen.

      »Das hast du leider von mir, mein armer Junge.«

      Er lächelte ebenfalls.

      »Ach, Mama, wenn ich auch noch deine anderen, all so liebenswerten Eigenschaften geerbt habe, dann kann ich dem Himmel nur danken. Ich kann dir überhaupt nicht oft genug sagen, was für eine großartige Mutter du bist. Du warst immer für uns da, du hast für uns gekämpft wie eine Löwin für ihre Jungen, du hast uns verteidigt, du hattest immer ein Ohr für uns, und es ist dir so hoch anzurechnen, dass du allein es geschafft hast, aus uns die zu machen, die wir sind. Aus allen von uns ist etwas geworden, und damit meine ich nicht einen akademischen Grad, der für Papa so wichtig ist. Nein, ich meine damit Menschen, die ihr Herz auf dem richtigen Fleck haben. Das alles ist nur dein Verdienst allein, denn von Papa hatten wir früher wirklich nicht viel. Er war wie ein liebevoller Besucher, der mit Geschenken vorbeikam. Wir sahen voneinander nur unser Sonntagsgesicht, den Alltag, den haben wir mit dir allein geteilt, nicht mit Papa.«

      Inge wollte etwas erwidern, ihren Werner in Schutz nehmen, obwohl alles wirklich stimmte, wie Jörg es gerade erzählt hatte. Sie kam nicht dazu, denn unbemerkt war der Professor in den Raum getreten, er war frühzeitig zurück, weil ein Vortrag, den er gemeinsam mit seinem geschätzten Schwiegervater besuchen wollte, ausgefallen war.

      »Ihr habt gerade über mich gesprochen?«, erkundigte er sich, nachdem er sich zu seiner Frau und seinem Sohn an den Tisch gesetzt hatte und Inge automatisch aufgestanden war, um auch für Werner Kaffee und einen Kuchenteller hinzustellen. Wenn man sich so lange kannte wie sie und Werner, dann funktionierte man beinahe automatisch, weil man einander so gut kannte und auch ohne Worte wusste, was der andere wollte.

      »Ich habe Mama ein Kompliment gemacht und ihr gesagt, dass sie die beste Mutter der Welt ist, dass wir ihr zu verdanken haben, was aus uns geworden ist, weil wir von dir ja nicht viel hatten.«

      Professor Werner Auerbach besaß eine gewisse Eitelkeit, die in erster Linie davon kam, dass er bewundert und geschätzt wurde. Er war jedoch auch ehrlich, und so antwortete er auch direkt: »Das stimmt, mein Junge. Ich muss leider zugeben, dass ich ein grottenschlechter Vater war und die Erziehung von euch eurer Mutter überlassen habe. Ohne sie wäre ich niemals der geworden, der ich bin. Sie hat mir den Rücken freigehalten, sie ist eine unglaublich starke Frau. Dennoch bereue ich manchmal, dass ich alle Verantwortung auf sie abgewälzt habe. Es ist jedoch nichts rückgängig zu machen, und ich habe mich bei eurer Mutter mehr als nur einmal entschuldigt. Aber, und das kann ich voller Stolz sagen, wir waren und wir sind ein wundervolles Team.«

      Er blickte Inge an, die sich mittlerweile wieder gesetzt hatte, nachdem Werner versorgt war. Er ergriff ihre Hand, tätschelte sie.

      »Es ist ein Geschenk, jemanden an seiner Seite zu haben, mit dem man durch dick und dünn gehen kann.«

      Aus seinem Blicken, seinen Worten klang Liebe. Und es stimmte wirklich, die Auerbachs waren ein Team, auch wenn nicht immer alles eitel Sonnenschein gewesen war. Auch bei ihnen hatte es Krisen gegeben, Inge hatte an Trennung gedacht, sie hatte für eine Weile auf getrennten Schlafzimmern bestanden. Sie hatten sich immer wieder zusammengerauft, weil sie ohne einander nicht sein konnten. Und das nach so vielen Ehejahren sagen zu dürfen, das zeugte von Liebe.

      Das spürte auch Jörg, und eigentlich konnte er insgeheim seine Eltern nur beneiden, dass sie immer wieder die Kurve gekriegt hatten, dass sie ohne Blessuren davonzutragen durch viele Tiefen gegangen waren und dass die Höhen


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