Der neue Sonnenwinkel Box 2 – Familienroman. Michaela Dornberg

Der neue Sonnenwinkel Box 2 – Familienroman - Michaela Dornberg


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      Roberta wunderte sich sehr, als Ursel Hellenbrink ihr eine neu angelegte Karte hereinbrachte und sie darauf den Namen Rosemarie Rückert las. Sie kannte die Frau flüchtig, die bei ihr allerdings keinen bleibenden Eindruck hinterlassen hatte. Vielleicht lag es daran, dass sie ihr einfach zu aufgedonnert war und im Gesicht, und am Busen ganz gewiss auch, bearbeitet worden war.

      Schön, wer Schönheitsoperationen brauchte, um dadurch sein Selbstwertgefühl aufzuwerten, der musste sich unters Messer legen.

      Rosmarie Rückert hatte auf sie einen kalten, egoistischen Eindruck gemacht, und als sie zufällig mitbekommen hatte, wie sie am Rande eines Festes bei den Münsters mit ihrer Tochter umgegangen war, war sie bei Roberta endgültig unten durch gewesen.

      Diese Frau hatte Stella abgekanzelt wie ein Schulmädchen.

      Roberta war sehr gespannt, was Rosmarie Rückert von ihr wollte, von Ursel wusste sie, dass sie es dringend gemacht hatte.

      Wenn das so war, warum suchte sie nicht einen Arzt in Hohenborn auf?

      Nun, sie würde es gleich erfahren. Sie stand auf, um Rosmarie in ihr Sprechzimmer zu holen, als sie die Frau sah, prallte sie zurück.

      Was sollte das denn? Sie war kaum wiederzuerkennen, und wie jammervoll sie war, als sie sagte, sie habe überall Schmerzen.

      Roberta äußerte sich nicht, überprüfte den Blutdruck, hörte Rosmarie ab.

      Es waren einwandfreie Werte, um die sie so mancher beneiden würde. Das sagte sie Rosmarie auch, doch anstatt sich zu freuen, konnte die ihre Wut kaum unterdrücken.

      Der Besuch hier war ein Vorwand!

      Sie hatte gleich noch Hausbesuche zu machen bei Patienten, die ihre Hilfe wirklich brauchten.

      Roberta fackelte nicht lange.

      »Frau Rückert, was wollen Sie von mir? Ihnen fehlt nichts, und auch Ihr, nun …, sagen wir mal, verändertes Aussehen lässt Sie nicht krank erscheinen.«

      Rosmarie schnappte nach Luft.

      So hatte noch niemand zu ihr gesprochen. Sie hätte besser zu einem anderen Arzt gehen sollen, diese Frau war clever, sie hatte sie durchschaut, und das war dumm.

      Aber dumm war sie auch nicht, und sie wäre nicht Rosmarie Rückert, wenn sie jetzt einfach aufgeben würde.

      Sie begann erneut zu jammern, es musste alles herhalten, ihr Kopf, der Rücken, alles, was ihr einfiel. Und Rosmarie wäre gewiss noch eine ganze Menge eingefallen, wenn Roberta sie nicht unterbrochen hätte.

      »Frau Rückert, weswegen möchten Sie unbedingt krank sein?«, erkundigte sie sich.

      Rosmarie wusste nicht, was auf einmal mit ihr los war. Die Ärztin machte einen so vertrauenerweckenden Eindruck, sie blickte so mitleidvoll.

      Rosmarie fasste Vertrauen zu Roberta, es war wirklich unglaublich, aber sie begann zu reden, und jetzt, da die Schleusen nun einmal geöffnet waren, redete sie wie ein Wasserfall. Sie sprach über Cecile, die ihr ganzes Leben durcheinandergebracht hatte, von der ihr Mann und ihre Kinder vergiftet worden waren. Sie redete sich alles von der Seele und war irgendwann so erschöpft, dass sie dankbar das Glas Wasser annahm, das Roberta ihr reichte.

      Roberta setzte sich neben Rosmarie, ergriff deren Hand. Und dann sagte sie, dass sie das doch überhaupt nicht nötig hatte, dass sie eine selbstbewusste, starke Frau sei, die sich der Situation stellen sollte.

      »Frau Rückert, Sie können die Tochter Ihres Mannes nicht einfach wegretuschieren. Sie ist da, und sie scheint doch ganz liebenswert zu sein, sonst würden Ihre Kinder sie nicht akzeptieren, ja, wie Sie sagen, sogar lieben.«

      »Weil sie eine Schlange ist und allen etwas vormacht«, sagte Rosmarie.

      »Frau Rückert, ich habe Ihren Sohn kennen- und schätzengelernt. Dr. Rückert ist ein kluger Mann. Sie würden Ihrem Sohn ein Armutszeugnis ausstellen, wenn Sie glauben, dass er sich von einer Frau täuschen ließe.«

      Die Ärztin hatte recht, Fabian konnte man nicht hinters Licht führen, das wäre bei Stella eher der Fall, die war gutgläubig und ließ sich blenden.

      Roberta redete noch eine ganze Weile auf sie ein, und das klang überzeugend, widersprach aber dem, was Rosmarie bisher gelebt hatte. Und deswegen war sie im Zwiespalt. Sie konnte doch nicht einfach nachgeben. Da vergab sie sich etwas.

      Roberta war mit ihrem Latein am Ende, sie wollte noch einen letzten Versuch wagen.

      »Frau Rückert, ich mache Ihnen jetzt einen Vorschlag, obwohl ich glaube, dass Sie das nicht nötig haben. Ich gebe Ihnen etwas zum beruhigen. Es ist rein pflanzlich und ganz ohne Nebenwirkungen. Sie können die Tabletten nehmen, aber Sie können es auch bleiben lassen, weil Sie, wie gesagt, stark genug sind, jede Situation auch ohne Hilfsmittel durchzustehen. Zeigen Sie es allen, gehen Sie zu dem Treffen, Sie können dabei nur gewinnen.«

      Ursel Hellenbrand kam herein, erinnerte an den nächsten Termin.

      »Frau Rückert, Sie müssen mich jetzt entschuldigen, doch es ist ja auch alles gesagt.« Roberta nickte Rosmarie zu. »Sie schaffen das, davon bin ich fest überzeugt. Darf ich Ihnen nach etwas sagen? Mir ist noch nie aufgefallen, welch wunderschöne Augen Sie haben.«

      Am liebsten hätte sie Rosmarie gebeten, die nicht immerfort mit Tusche und Farbe zu verkleistern, doch das durfte sie natürlich nicht, das wäre gemein. Doch ihr Kompliment war aufrichtig gemeint.

      Völlig verwirrt verließ Rosmarie die Praxis, nachdem sie sich bei Roberta bedankt hatte. Ja, das hatte sie. Und das, obwohl sie ihr Ziel nicht erreicht hatte.

      Aber sie war einfach eine tolle Frau, die Frau Doktor Steinfeld.

      *

      Auf dem Weg nach Hause war Rosmarie völlig hin- und her gerissen. Die Ärztin hatte ihr die Leviten gelesen und ihr Ratschläge gegeben, ohne schulmeisterhaft zu wirken.

      Sie hatte ja recht, es würde ihr um die Ohren fliegen, weil sie mittlerweile recht isoliert dastand. Und für Heinz, auch für Fabian und Stella gab es kein Zurück. Die hatten ihre Stellung bezogen.

      Rosmarie blickte in den Spiegel.

      Hatte sie tatsächlich schöne Augen?

      Musste wohl sein, denn sie hielt die Ärztin nicht für jemanden, der anderen Leuten nach dem Mund redete.

      Rosmarie konnte noch immer nicht fassen, dass sie eine solche Plaudertasche gewesen war. Aber die Ärztin hatte es wirklich ganz geschickt verstanden, sie zum Reden zu bringen.

      Was sollte sie jetzt tun?

      Nachgeben?

      Nein, sie konnte es nicht. Sie brauchte noch Zeit, klang ja alles schön und gut, was die Frau Doktor ihr gesagt hatte. Sie würde es überdenken, aber diesmal würde sie noch nicht zu diesem Treffen gehen. Vielleicht, wenn sie ein paar von den Pillen geschluckt hatte, ein andermal.

      Leider war, wie die Frau Doktor gesagt hatte, diese Cecile nicht wegzuretuschieren, also würden sich andere Gelegenheiten ergeben.

      Rosmarie war ziemlich durcheinander, als sie nach Hause fuhr, sie war auch wütend über sich selbst, weil sie so redselig gewesen war. Doch dann beruhigte sie sich. Frau Doktor Steinfeld unterlag der ärztlichen Schweigepflicht. Alles, worüber sie geredet hatten, würde das Sprechzimmer nicht verlassen, und das war beruhigend. Außerdem glaubte sie auch so nicht, dass Roberta Steinfeld zu den Menschen gehörte, die gern herumerzählten. Da war sie ähnlich wie die Inge Auerbach, der konnte man auch alles anvertrauen in der Gewissheit, dass kein Wort über deren Lippen kommen würde.

      Rosmarie war froh, endlich wieder daheim zu sein, sie fuhr ihren Wagen in die Garage, und ehe sie ausstieg, warf sie noch einen letzten Blick in den Spiegel.

      Hm, sie fand ihre Augen nicht besonders. Aber schön war das Kompliment auf jeden Fall gewesen.

      Die Garage war mit der Villa verbunden, was ganz praktisch bei schlechtem Wetter war, denn da


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