Der neue Sonnenwinkel Box 2 – Familienroman. Michaela Dornberg
war fix und fertig.
Sie konnte sich kaum auf das konzentrieren, was dann gesprochen wurde. Dankbar nahm sie ein Glas Wasser entgegen, das jemand ihr brachte, und dann sagte die Vorsitzende, dass sich das Gericht zur Beratung zurückziehen wollte und dass die Verhandlung in einer halben Stunde weitergehen sollte.
Max wollte auf sie zugehen, einer seiner Anwälte hielt ihn zurück. Er schäumte vor Wut.
Eine Frau, wie sich herausstellte, eines der Opfer, die Max falsch behandelt hatte, kam auf sie zu: »Ich glaube Ihnen, Frau Doktor«, sagte sie, und das tat unendlich wohl, »wenn es so etwas wie Gerechtigkeit gibt, werden Sie siegen.«
Dann ging sie, ehe Roberta ihr danken konnte.
Sie hätte jetzt ebenfalls hinausgehen können, doch sie brachte einfach nicht die Kraft dazu auf. Sie war wie gelähmt. Die Gedanken in ihr ratterten, sie hatte Angst. Und wieder stellte sie sich die Frage, ob man ihr glauben würde. Es ging hier nicht um ein banales Delikt, sondern um ihre Existenz, und Max war skrupellos genug, um seine Haut zu retten, sie über die Klinge springen zu lassen.
*
Noch niemals zuvor war Roberta eine halbe Stunde so unendlich lang vorgekommen. Sie starrte auf die große Uhr, die an einer Wand, ihr gegenüber, angebracht hatte.
Jemand schien die Zeiger festzuhalten, so langsam konnten sie sich doch nicht fortbewegen.
Ob sie es wollte oder nicht, ihr Leben an der Seite von Max ging ihr durch den Kopf. Es war schlimm gewesen zum Schluss, vorher hatte sie es nur mühsam ertragen. Doch jetzt hatte er allem wirklich die Krone aufgesetzt.
Mit dieser Sache hier hatte er auch noch den letzten Rest zerstört, den sie in sich bewahrt hatte, um nicht ganz zu verzweifeln.
Es war vorbei.
Sie konnte nicht einmal Verachtung für ihn empfinden. Endlich war die halbe Stunde um, die Vorsitzende und ihre beiden Beisitzer kamen zurück, auch der Gerichtsschreiber. Robertas Herz drohte zu zerspringen, Max wirkte angespannt. Was dann kam, war unglaublich.
Man glaubte ihr, erkannte die Kopie an. Mehr noch, man hatte sich beim Finanzamt erkundigt, bei der Gewerbesteuerstelle, und auch da hatte Max versucht zu tricksen, um die Steuer zu umgehen.
Er war eindeutig ein Krimineller, der sich jetzt auch noch wegen anderer Delikte verantworten musste.
Sie wurde freigesprochen, und das wurde im Gerichtssaal sogar mit Applaus bedacht.
Sie konnte zur Kostenstelle gehen, sich die Gerichtskosten, ihre entstandenen Kosten, erstatten lassen. Darauf verzichtete Roberta. Sie wollte hier nur noch raus.
»Sie können Ihren Exmann anzeigen, da kommen einige Straftaten zusammen«, sagte die Richterin.
Max grinste, er war fest davon überzeugt, dass sie das niemals tun würde.
Roberta maß ihn mit einem letzten verächtlichen Blick. »Ja, das möchte ich«, sagte sie mit fester Stimme, und für Max brach eine Welt zusammen.
Er hatte sich gehörig verspekuliert, weil er nichts von der Kopie wusste. Und jetzt, zum Schluss, das hätte er nicht erwartet.
Die Verhandlung war vorbei, der Gerichtssaal leerte sich, als Roberta an ihrem Exmann und dessen Anwälten vorbeiging, sagte sie: »Max, das Spiel ist aus. Hoffentlich begreifst du das.«
Dann verließ sie den Raum, das düstere, so abweisend wirkende alte Gebäude.
Sie hatte einen Sieg davongetragen, doch darüber konnte sie sich nicht freuen. Es hätte auch anders ausgehen können, und Max hätte seelenruhig mit angesehen, dass sie alles verlor.
Roberta bekam eine Gänsehaut.
Draußen angekommen, stellte Roberta sehr schnell fest, dass sie nicht in der Lage war, jetzt mit dem Auto zu fahren. Sie musste sich erst einmal beruhigen. Und da sie sich in der Stadt auskannte, schließlich hatte sie hier jahrelang gewohnt, ging sie erst einmal Kaffee trinken.
Dann lief sie ein wenig ziellos durch die Straßen der Stadt, als sie vor ihrer ehemaligen Praxis landete, blieb sie stehen.
Max hatte, vermutlich weil er zu geizig dazu gewesen war, das Praxisschild noch immer nicht ausgewechselt. Ihr Name stand auch noch auf der schönen Messingtafel.
Aber es löste nichts in ihr aus. Nicht einmal mehr Bedauern, sie hatte sich schon zu weit von allem entfernt, und es hatte ja auch eine Schlammschlacht gegeben, die sehr unschön gewesen war.
Quer über dem Schild klebte ein auffälliger Zettel mit der Aufschrift: »PRAXIS GESCHLOSSEN«.
Und das würde sie wohl auch bleiben, diese Ära war vorüber.
Sie hatte hier nichts mehr verloren, es lag so weit zurück, sie musste nach vorne blicken, und das wollte sie auch.
Der Sonnenwinkel war jetzt ihre Heimat.
Und deswegen wollte sie auch ganz schnell dorthin zurück, zu ihrer Praxis, zu ihren Patienten, in ihr Haus, das Alma so wundervoll in Schuss hielt.
Max konnte einem beinahe schon leidtun. Er hatte durch seine Manipulationen, durch seinen Narzissmus, durch seine Selbstsucht alles verloren.
Roberta war ein mitfühlender Mensch, aber nein, ihren Exmann konnte sie nicht bedauern.
Da Nicki mit einem Auftraggeber in London war, hielt sie nichts mehr in dieser Stadt.
Hier war sie einmal zu Hause gewesen, doch das schien hunderte von Jahren zurückzuliegen.
»Sonnenwinkel, ich komme«, rief sie, dann rannte sie los, zu ihrem Auto, sie stieg ein, dann fuhr sie los.
Nur einen ganz kurzen Moment war sie zu schnell, dann besann sie sich. Sie wollte keinen Gerichtssaal mehr von innen sehen, ganz gewiss nicht!
*
Dr. Tim Köhler und seine Frau Veronika waren von ihrem Besichtigungsbesuch überhaupt nicht mehr zurückgekommen, sondern hatten einen Spediteur beauftragt, die noch im Haus verbliebenen Sachen in Container zu packen und sie nach Singapur zu schicken.
Das war geschehen, das Haus war leer, und Inge Auerbach sah es sich an.
Die Köhlers waren wirklich hervorragende Mieter gewesen, sie hatten das Haus in einem einwandfreiem Zustand hinterlassen.
Jetzt musste noch der Anstreicher hinein, und dann konnten die nächsten Mieter kommen.
Inge würde ja am liebsten eine Familie mit Kindern nehmen, und da sie bei der Vermietung freie Hand hatte, würde sie die auf jeden Fall bevorzugen.
Sie wollte gerade das Haus wieder verlassen, als geklingelt wurde. Das war ein wenig merkwürdig, denn es gab keine Gardinen mehr vor den Fenstern und auch so machte das Haus einen verlassenen, unbewohnten Eindruck.
Ein Vertreter, der trotz allem hoffte, jemanden anzutreffen?
Inge ging zur Tür und öffnete.
Ein Mann, er mochte um die Vierzig sein, stand davor. Er war sehr gut angezogen, dennoch störte Inge etwas an ihm. Es war wohl sein überhebliches Auftreten.
»Ich möchte den Eigentümer sprechen«, sagte er, »haben Sie seine Adresse.«
Sie könnte es doch auch sein, sie war ordentlich gekleidet. Aber er hatte offenbar eine andere Vorstellung von dem, dem das Haus gehörte.
Sie antwortete nicht sofort, deswegen fuhr er fort: »Ich möchte das Haus kaufen. Ich bin bereit, jeden Preis zu zahlen, also, ich habe keine Zeit, wem gehört dieser Schuppen hier?«
Schuppen, für den er jeden Preis zahlen wollte. Was bildete dieser Flegel sich eigentlich ein?
»Dieser Schuppen, wie Sie sagen, gehört meiner Tochter, und die verkauft nicht. Das Haus wird vermietet, und für die Vermietung bin ich zuständig.«
Er warf ihr einen nicht zu deutenden Blick zu, ganz so, als wolle er sagen: Du? »Ich denke, ich sollte mit Ihrer Tochter sprechen. Alles