Der neue Sonnenwinkel Box 2 – Familienroman. Michaela Dornberg
es nicht kommen lassen, Trennungen bei denen man sich nur noch verletzte, hatte sie hinter sich, und das wollte sie nicht noch einmal haben.
Auch wenn es höllisch wehtat, war sie sehr klar gewesen, und sie hatte ihm einen langen, langen Abschiedsbrief geschrieben, ehe sie gegangen war.
Da gab es doch diesen Satz. Wie lautete er doch noch? Sie überlegte, dann erinnerte sie sich.
»Besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.«
Sie hätte nicht die ganze Tafel Schokolade essen dürfen, ihr war ganz schlecht, und geholfen hatte es auch nicht. Doch ja, ihr Hüftgold würde unweigerlich zunehmen.
Warum gab es bei ihr eigentlich niemals eine Liebe, die komplikationslos und glatt verlief. Vielleicht gab es die ja für niemanden, wenn sie an Roberta dachte, die war eine so wundervolle Frau, und die hatte bislang auch immer daneben gegriffen. Der einzige Unterschied zwischen ihnen war, dass Roberta in ihrem Leben erst zwei Niederlagen erlitten hatte, weil es nicht mehr Männer gegeben hatte.
Doch ließ sich so etwas aufrechnen?
Nein!
Jede Niederlage war eine zu viel!
Für sie war jetzt auch erst einmal Schluss. Sie hatte mit Männern kein Glück, und sollte es irgendwann wirklich noch einen Mr Right für sie geben, dann musste alles ganz komplikationslos verlaufen.
Wenn sie ehrlich war, dann war Roberto ihr Mr Right gewesen. So etwas wie ihn würde sie nicht wiederfinden. Da hatte das Universum schlampig gearbeitet.
Schickte ihr den Traummann schlechthin auf den Weg, und dann all die Erschwernisse – ein Restaurant am Ende der Welt, niemals ein gemeinsames Frühstück, niemals ein gemütlicher Abend!
Frustration war vorprogrammiert, und deswegen war es wirklich besser, nicht auf ihr Herz, sondern auf ihren Verstand zu hören. Nicki gab Gas, der Wagen schoss nach vorne.
Sie hatte sich richtig entschieden, das versuchte sie sich immer wieder einzureden.
Warum konnte sie denn nicht daran glauben?
Warum tat es so weh?
Sie machte ihr Radio an, um es sofort wieder auszustellen, ein Liebeslied. Das fehlte ihr gerade noch …
*
Henrike Rückert, geborene Auerbach, die jedermann nur Ricky nannte, war auf dem Weg zu ihren Eltern. Sie musste unbedingt wegen der Vermietung ihres Hauses mit ihnen sprechen. Fabian hatte sich davor gedrückt, es ihr überlassen. Er unternahm lieber etwas mit den Kindern, ehe die Schule wieder begann. Und das war auch gut so. Ursprünglich war es ja anders geplant gewesen, da hatte Ricky samt Ehemann und den Kindern in ihrem Elternhaus einfliegen wollen. Doch das war bevor bekannt war, dass die netten Köhlers ausziehen würden oder sogar schon in Singapur waren. Das wusste Ricky nicht so genau, sie hatte ihren Urlaub in der Bretagne genießen wollen und nichts darüber hören. Im Urlaub belastete man sich nicht gern mit Unangenehmem.
Aber jetzt holte es sie natürlich ein, nun musste sie sich kümmern.
Als Ricky in den Sonnenwinkel kam, wurde sie ganz sentimental. Wie schön und friedlich es hier war. An den Sonnenwinkel hatte sie wirklich nur die allerbesten Erinnerungen. Doch darüber musste man sich auch nicht wundern.
Hier hatte sie mit ihren Eltern und Geschwistern gelebt, dann war sie mit Fabian in ein eigenes Haus gezogen. Als sie an ihrem Haus vorüberfuhr, in dem die Vorhänge zugezogen waren, da wusste sie, dass es für Fabian und sie niemals eine Rückkehr in den Sonnenwinkel geben würde.
Er war ja schon länger dafür, das Haus zu verkaufen, doch sie hatte sich aus lauter Sentimentalität geweigert. Vielleicht war es jetzt wirklich an der Zeit, ernsthaft darüber nachzudenken. Die Köhlers waren reizende Mieter gewesen, doch wusste sie, was kommen würde?
Natürlich gab es viele Interessenten für Häuser im Sonnenwinkel. Aber man konnte den Menschen immer nur vor den Kopf sehen. Sie hatte keine Lust, sich mit Mietern herumzuschlagen. Seit sie studierte, war sie vollauf beschäftigt, denn es gab ja nicht nur das Studium, sie hatte einen Mann und Kinder, und die waren ihr wichtiger als Mieteinnahmen. Und eigentlich konnte sie ihre Mutter auch nicht mehr damit belasten, das war egoistisch.
Sie würde sehen, deswegen war sie in den Sonnenwinkel gekommen.
Ricky parkte vor dem Elternhaus.
Sie wollte gerade an der Haustür klingeln, als die von innen ganz schön schwungvoll aufgerissen wurde, ein junger Mann herauskam, den sie fast nicht erkannt hätte, dabei war es ihr kleiner Bruder.
»Hannes«, rief sie, »mit dir hätte ich ja nun überhaupt nicht gerechnet.« Sie umarmte ihn, freute sich. »Hattest du keine Lust mehr auf die große, weite Welt? Willst du jetzt mit einem Studium nachziehen und uns, wie mit deinem Abi, zeigen, wie man auch da Bestnoten schreibt?«
»Falsch geraten«, lachte Hannes. »Du siehst super aus, Ricky. Kein Mensch würde dir deine vielen Kinder abnehmen. Wie machst du das bloß?«
Dieses Kompliment ging ihr natürlich herunter wie Öl. Aber Ricky war wirklich eine sehr attraktive junge Frau. Sie war mittelgroß, von Natur aus sehr schlank, hatte noch immer einen Pferdeschwanz, der sie jung und unternehmungslustig aussehen ließ, ihre blauen Augen blickten interessiert in die Welt. Sie war mit ihrem Aussehen zufrieden. Bis auf die Haare, die waren zwar sehr schön, hatten für Ricky leider nicht die richtige Farbe. Daran mäkelte sie herum, seit sie klein war.
Sie könnte die Haare ja färben oder zumindest tönen. Das wollte sie nicht, und deswegen konnte man eigentlich nur annehmen, dass sie nur ein wenig kokettieren wollte, weil sonst nichts an ihr auszusetzen war.
Nachdem sie ihren kleinen Bruder, der allerdings ein Stück größer war als sie, stürmisch umarmt hatte, sagte sie: »Hannes, dich hätte ich beinahe nicht wiedererkannt. Du bist ja richtig erwachsen geworden. Und deine Haare, der Bart …, cool. Schneide da bloß nichts ab. So, wie du jetzt aussiehst, das macht dich besonders, du bist ein Typ. Wenn an der Uni ein Professor darüber meckert, lass dich bloß nicht beirren, glaub deiner großen Schwester.«
Er grinste.
»Keine Sorge, große Schwester«, die letzten beiden Worte betonte er nachdrücklich. »Dazu wird es nicht kommen. Ich werde erst einmal keine Uni von innen sehen, und da, wo ich hingehe, kommt es nicht darauf an, wie ich aussehe. Da nimmt man mich wie ich bin.«
Und ehe sie ihn neugierig fragen konnte, erzählte Hannes Ricky von seinen Plänen.
Als er fertig war, schaute er seine Schwester neugierig an. Würde für sie auch eine Welt zusammenbrechen? Immerhin gehörte sie zum Establishment. Hatte der Job ihres Ehemannes, der immerhin ein hochgelobter Studiendirektor war, schon sehr auf sie abgefärbt, sodass jetzt eine Standpauke erfolgen würde? Was Standpauken anbelangte, da war sie eh groß, seine Schwester Ricky. Das wusste er noch aus ihrer Kindheit, wo sie immerfort versucht hatte, sich als so etwas wie seine zweite Mutter aufzuspielen.
Ricky überlegte nicht lange, sondern rief ganz spontan: »Hannes, das finde ich super. Jeder soll seine Träume leben, und du bist ja noch so jung, hast alle Zeit der Welt.«
Damit hatte er nun wirklich nicht gerechnet. Er blickte Ricky ganz irritiert an.
»Hey, habe ich etwas verpasst? Wurdest du in Weichspüler geschwenkt, oder hast du Kreide gegessen?«
Ricky lachte vergnügt, umarmte ihren Bruder erneut.
»Ach, Hannes, mir fallen tausend Sünden ein. Ich war wirklich schrecklich, und du hast eine ganze Menge mit mir mitgemacht. Was ich gesagt habe, soll aber keine Entschuldigung sein, nein, ich meine es ehrlich. Im Grunde genommen bist du wie ich, machst dein Ding. Nur Jörg ist brav den Weg gegangen, den unsere Eltern von ihm erwarteten.«
Hannes stimmte in das Lachen seiner Schwester mit ein.
»Du hast recht, wir sind wirklich anders. Du hast zum Glück noch die Schule fertig und ein leidliches Abitur gemacht. Dann hast du sofort geheiratet …«
Ricky nickte.