Der neue Sonnenwinkel Box 2 – Familienroman. Michaela Dornberg
Sinn für Liebe und Romantik bewahrt. Sie las gern Liebesgeschichten, sah sich gern welche im Fernsehen an, und das dann hautnah zu erleben, verursachte ihr Gänsehaut.
Für sich erhoffte sie nichts mehr, dazu waren die Narben in ihr zu schmerzhaft. Aber Nicki und Roberto …, die wären eine Bestätigung dafür, dass man auch Glück haben konnte, dass man nicht immer danebengreifen musste.
Roberta wusste, wie sehr Alma sich einen glücklichen Ausgang erhoffte.
»Sie sind sehr liebevoll miteinander umgegangen, Alma«, sagte sie, »es besteht Hoffnung dafür, dass Nicki doch noch einlenkt. Warten wir ab und hoffen wir das Beste.«
Roberta hatte ihren Kaffee ausgetrunken, stand auf, bedankte sich bei Alma, dann verließ sie die Küche.
Sie hatte viel zu lange herumgetrödelt, jetzt musste sie sich sputen, um pünktlich in der Praxis zu sein. Da war sie eisern, wenn nicht gerade ein Notfall dazwischenkam, was natürlich auch schon mal vorkam, war sie die Pünktlichkeit in Person. Und das wussten ihre Patienten auch zu schätzen. Wenn sie daran dachte, wie oft sie mit Max aneinandergeraten war, weil der sich nicht um die Sprechstundenzeiten scherte. Er kam, wie es ihm passte.
Roberta merkte, wohin ihre Gedanken abdrifteten. Sie war mit ihrem Exmann längst fertig, und dennoch tauchte er in ihrer Erinnerung immer wieder mal auf. Das war nicht gut!
Roberta ging in ihr Badezimmer, und wenig später stand sie unter der Dusche und ließ das wohlig warme Wasser über ihren Körper laufen.
Es ging ihr einiges durch den Kopf, doch sie dachte nicht an Nicki und schon überhaupt nicht an Max. Sie war in Gedanken bereits bei ihrer ersten Patientin.
Pia Wolf war eine junge, attraktive Frau, die jeden Lebenswillen verloren hatte. Eigentlich gehörte sie zu einem Psychiater, besser noch in eine Klinik, aber Pia wollte weder das eine noch das andere.
Sie vertraute Roberta, und die tat wirklich alles, um Pia zu helfen, aber gegen deren Leiden gab es kein Rezept, Beruhigungstabletten konnten den Schmerz der jungen Frau ein wenig dämpfen. Helfen konnte letztlich nur die Zeit.
Es war wirklich grausam, was dieser Frau widerfahren war. Von einer Sekunde zur anderen hatte sich deren Leben verändert und aus einer fröhlichen, glücklichen Frau ein menschliches Wrack gemacht.
Roberta erinnerte sich, wie sie entsetzt gewesen war, als sie zuerst in der Zeitung davon gelesen hatte. Pia war erst später zu ihr gekommen, aufgrund einer Empfehlung von Freunden.
Roberta schloss die Augen, sah die Schlagzeilen noch vor sich.
An einem sonnigen Morgen wollte Pia mit ihrem kleinen Sohn Bastian zu ihren Eltern fahren.
Sie hatte ihren Sohn auf der Treppe zurückgelassen, ihm eingeschärft, dass sie ihn holen würde, dass er nicht weggehen dürfe.
Bastian hatte hingebungsvoll mit seinem Auto gespielt.
Alles sah gut aus, Pia ging in die Garage, um ihr Auto hinauszufahren. Das wollte nicht sofort anspringen, sie versuchte es mehrere Male und fuhr dann mit mehr Schwung als sonst hinaus.
Ein Knall ließ sie innehalten, sie dachte sich zunächst nichts Böses, glaubte, gegen die Mauer gefahren zu sein.
Als sie ausstieg, um nachzusehen, war sie wie gelähmt. Sie konnte es nicht fassen, was sie da sah.
Sie hatte ihr geliebtes Kind überfahren!
Bastian war sofort tot gewesen, Pia war zusammengebrochen.
Und jetzt wusste sie nicht, wie sie mit dieser Schuld fertig werden sollte.
Die Rekonstruktion des Ganzen hatte ergeben, dass Bastian brav auf der Treppe gesessen und gespielt hatte. Doch dann war sein Auto heruntergerollt, und das hatte er holen wollen, als seine Mutter aus der Garage gefahren kam.
Wenn man so wollte, war er zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen.
Es war eine solche Ironie des Schicksals!
Wer hatte es gelenkt?
Gott?
Der konnte doch nicht so grausam sein, eine glückliche Familie zu zerstören, einem wonnigen kleinen Jungen das Leben zu nehmen und seine Mutter in schrecklichen Schuldgefühlen zurückzulassen.
Roberta stieg aus der Dusche, rubbelte sich ab, und jetzt musste sie sich wirklich beeilen.
*
Manuel Münster wartete bereits an der Bushaltestelle, als Bambi sich zu ihm gesellte. Es klappte nicht immer, dass sie gemeinsam nach Hohenborn zur Schule fahren konnten. Sie waren in verschiedenen Klassen, Manuel war älter und deswegen auch über ihr.
Aber wenn es sich ergab, dann nahmen sie gemeinsam den Bus. Sie waren eng miteinander befreundet, und das, seit Manuel damals mit seinem Vater hierher gezogen war, dazu mit dieser schrecklichen Tante, die den armen Jungen vollkommen eingeschüchtert hatte.
Welch ein Glück, dass Sandra von Rieding sich in Sohn und Vater, ja, so war die Reihenfolge, verliebt hatte. Danach war alles gut geworden, und seither war beinahe alles Sonnenschein, sah man mal von den Schwierigkeiten ab, die das Münstersche Unternehmen ins Trudeln gebracht hatte!
»Hi, Bambi, du kommst spät«, sagte Manuel. »Der Bus muss jeden Augenblick kommen. Du wolltest mir doch vorher erzählen, was dich bedrückt.«
Er sah Bambi bekümmert an.
»Es muss ganz schön schlimm sein. Du hast ja geweint.« Bambi nickte, dann erzählte sie ihrem Freund, dass sie einfach nicht damit fertig wurde, dass Hannes praktisch schon auf den gepackten Koffern saß.
»Weißt du, was so richtig schlimm ist, Manuel? Der Hannes freut sich auf Australien, und das kann ich nicht verstehen. Bei uns ist es so wunderschön, hier sind unsere Eltern, unsere Großeltern, die übrige Familie ist in der Nähe. Und unser Sonnenwinkel. Schöner kann man ja wohl nicht wohnen. Aber das scheint dem Hannes alles egal zu sein. Und das tut mir so richtig weh.«
Spontan nahm Manuel Münster seine Freundin in den Arm.
»Bambi, ich habe dir schon mal gesagt, dass jeder Weg einmal ein Ende hat. Ich bin auch glücklich hier, und doch werde ich nach dem Abitur in eine andere Stadt, vielleicht sogar in ein anderes Land gehen, um dort zu studieren. Und weißt du was? Darauf freue ich mich. Also, ich kann den Hannes gut verstehen. Und ich finde toll, dass er nach dem Abitur diese Weltreise gemacht hat und dass es ihn jetzt nach Australien zieht.«
»Als Surf- und Tauchlehrer«, sagte Bambi und machte sich heftig aus seiner Umarmung frei. »Würdest du das machen? Ich glaube nicht, das würde dein Vater überhaupt nicht zulassen.«
Arme Bambi!
Mitleidig sah Manuel seine Freundin an. Klar war es schön im Sonnenwinkel, aber man durfte doch nicht daran festkleben. Da übertrieb Bambi wirklich. Auch für sie würde alles hier einmal zu Ende sein. Er versuchte ihr das klarzumachen, aber Bambi wollte nicht zuhören, und Manuel war froh, als der Bus kam und sie einsteigen konnten.
Im Bus konnte das Gespräch nicht fortgeführt werden, weil da bereits andere Kinder und Jugendliche aus der Umgebung waren, die ebenfalls das Hohenborner Gymnasium besuchten.
Bambi begann, sich mit einem anderen Mädchen zu unterhalten, Manuel sah bekümmert zu ihr hin. Sie sah wirklich ziemlich blass aus, und es war furchtbar, wie sehr sie das mit Hannes mitnahm.
Wenn er ehrlich war, dann hätte er es auch lieber, Hannes bliebe wenigstens hier in der Nähe. Nicht nur Bambi und Hannes waren unzertrennlich gewesen. Er hatte dazugehört, und an die gemeinsam miteinander verbrachte wundervolle Kindheit dachte er voller Freude zurück.
Was sollte er nur tun?
Manuel hatte keine Ahnung, und er fragte sich insgeheim auch, auf wessen Seite er eigentlich stand.
Wenn er ganz ehrlich war, dann musste er zugeben, dass er sich auf Hannes’ Seite schlug.
Wie cool der aussah, wie cool er auftrat und wie genau er wusste, was er wollte und es dann auch durchzog.