Der neue Sonnenwinkel Box 2 – Familienroman. Michaela Dornberg
fragte sich, was er wohl tun würde, wenn er mit einem Eins-Komma-Null-Abitur nach Hause käme. Er war weit davon entfernt, weil es da Fächer gab, deren Lernstoff einfach nicht in seinen Kopf hineinwollte. Und das würde sich vermutlich auch nicht ändern. Ein wenig Hoffnung schöpfen konnte er allerdings noch, denn in dem Alter, in dem er sich gerade befand, war der Hannes auch nur Mittelmaß gewesen.
Bambi durfte davon nichts erfahren. Die würde es fertig bringen, ihm die Freundschaft aufzukündigen. Und das wollte er auf keinen Fall.
Bambi war für ihn beinahe so etwas wie eine Schwester, ähnlich nah wie die Zwillinge, seine Halbgeschwister.
Hannes wollte sich zum Glück vor seiner Abreise noch einmal mit ihm treffen. Manuel würde ihn fragen. Jemand wie Hannes, der kreuz und quer durch die Welt gefahren war und während der Reise mehr als nur eine gefährliche Situation erlebt hatte, der wusste bestimmt einen Rat.
Dieser Gedanke beruhigte Manuel ein wenig. Und eines würde er heute schon tun, das wusste er. Er würde seine Freundin Bambi zu ›Calamini‹ einladen, in die beste Eisdiele, die es in Hohenborn gab.
›Calamini‹ fand Bambi ziemlich cool, und noch viel cooler fand sie die Eisbecher, die man dort bestellen konnte. Die waren der Hammer.
Ja, das war eine gute Idee, eine sehr gute sogar!
Schade, dass Bambi sich gerade unterhielt, aber sofort nach dem Aussteigen vor dem Gymnasium würde er es ihr sagen. Und da sah die Welt für Bambi ganz gewiss ein kleines bisschen schöner aus.
*
Bei den Rückerts hing der Haussegen noch immer schief! Und das lag zum größten Teil daran, dass Rosmarie ihrem Mann Versprechungen gemacht hatte, die sie nicht einhielt, von Anfang an nicht einhalten wollte.
Es kratzte ganz schön an Rosmaries Ego, dass sie Heinz nicht mehr so manipulieren konnte wie früher. Er war nicht mehr auf ihrer Seite, sondern auf der von Cecile, seiner französischen unehelichen Tochter, die plötzlich wie aus dem Nichts aufgetaucht war.
Eine erwachsene junge Frau!
Die brauchte doch wahrhaftig keinen Vater mehr.
Hätte die Mutter dieser Cecile es nicht mit ins Grab nehmen können, dass es da mal etwas gegeben hatte?
Sie hatte so viele Jahre geschwiegen, dann hätte sie am Ende ihres Lebens auch noch den Mund halten können!
Rosmarie kochte vor Wut, weil ihr ganzes Leben ihr um den Kopf flog. Nichts war mehr so, wie es gewesen war, und sie und Heinz hatten ein so wunderbares Leben gehabt.
Sie waren anerkannt in der Gesellschaft, sie gehörten dazu. Und all das wollte Heinz aus lauter Sentimentalität aufs Spiel setzen, das Notariat verkaufen, viel Zeit in Frankreich verbringen, um Cecile kennenzulernen, die versäumte Zeit nachholen.
Was für ein Quatsch!
Nichts ließ sich nachholen, aber Heinz war wie besessen von dieser Person.
Für sie war sie ein Störenfried, und was für einer. Und auch wenn Heinz und alle anderen beteuerten, dass Cecile nichts erben wollte, weil sie selbst genug hatte.
Angeblich kam es ihr nur darauf an, ihren Vater und ihre Geschwister und deren Familien näher kennenzulernen. Und auch sie wollte diese Person ebenfalls kennenlernen. Nun, wer’s glaubte, war selig. Sie wollte herausfinden, wo sie stand, ob sie sie vielleicht auch um den Finger wickeln konnte.
Nicht mit ihr!
Sie hatte zwar Heinz gegenüber so getan, als sei sie nun bereit, Cecile kennenzulernen. Einen Teufel würde sie tun.
Etwas beruhigt war sie, dass das mit dem Vermögen dieser Person stimmte. Sie war tatsächlich reich, stammte aus der Raymond-Dynastie und würde zu dem Geld, das sie bereits besaß, noch einen großen Batzen erben.
Aber was besagte das schon.
Eine sehr reiche Frau hatte mal gesagt: »Der Cent ist die Seele der Milliarde.« Das würde Rosmarie blind unterschreiben. Und sie war sich sicher, dass auch Cecile alles nehmen würde, was sie bekommen konnte.
Rosmarie hätte am liebsten wütend mit dem Fuß aufgestampft, doch sie fürchtete, dass dann einer der hohen, schmalen Absätze brechen könnte. Und das wäre fatal, die Schuhe hatten ein Vermögen gekostet.
Also war sie nur so wütend, ganz besonders auf Heinz, der sich schon wieder in den Flieger gesetzt hatte, um zu Cecile zu fliegen.
Er wollte sie mitnehmen, zum Glück hatte sie sich herausreden können.
Rosmarie hielt es in der großen Villa nicht aus, die natürlich für zwei Personen viel zu bombastisch war. Aber jeder, der bisher hier gewesen war, war beeindruckt gewesen. Und darauf kam es schließlich an.
Rosmarie zog ihre Kostümjacke an, griff nach ihrer Designertasche, warf einen letzten Blick in den Spiegel.
Sie war zufrieden, sie sah blendend aus, aber das hatte auch schon eine ganze Stange Geld gekostet. Wenn sie so weitermachte, würde sie irgendwann runderneuert sein. Aber besser runderneuert und glatt aussehend als seinem Alter entsprechend.
Die Inge Auerbach war wirklich eine sehr hübsche Person, aber die machte so gar nichts aus sich. Sie konnte ja nur von Glück reden, dass ihr Mann Werner eher an wissenschaftlichen Abhandlungen interessiert war als an dem Aussehen seiner Frau.
Er hatte einfach keinen Blick dafür. Sie fand ihn toll, er fand sie toll. Nun ja, ehrlich gesagt, war Rosemarie manchmal ein wenig neidisch, dass für die beiden das Leben so einfach funktionierte.
So zu leben wie sie war ganz schön anstrengend, und was sie ärgerte, dass Heinz sie nicht mehr bewunderte. Auch daran war diese Person schuld!
Sie musste sich ablenken, und sie würde sich genau das Kleid kaufen, das sie in der Auslage der angesagtesten Boutique gesehen hatte.
Sie fühlte sich schon ein wenig besser, als sie die Villa verließ.
*
Es war wohl nicht ihr Tag.
Rosmarie war wütend, denn ausgerechnet dieses Kleid, genau ihre Größe, hatte eine andere Frau ihr weggekauft. Sie hatte diese Frau sogar noch mit der Einkaufstüte in der Hand aus dem Laden gehen sehen.
Wäre sie doch bloß ein bisschen früher losgegangen, ganz so, wie eigentlich geplant. Was hatte es ihr gebracht, an diese grässliche Cecile zu denken? Die war wirklich ein rotes Tuch für sie!
Natürlich hatte man ihr andere Outfits zeigen wollen, aber dazu hatte sie keine Lust. Sie war wütend. Schließlich wollte sie nicht irgendetwas, sondern genau das vor ihrer Nase weggeschnappte Kleid.
Ärgerlich war, dass es sich ausgerechnet bei diesem Kleid um Orderware handelte, die man nicht einfach so nachbestellen konnte. Das ging nicht.
Es war für Rosmarie sehr schwer, das zu akzeptieren. Normalerweise lief es bei ihr so, dass sie für ihr Geld alles bekam, was sie wollte.
Es war eine bittere Erfahrung.
Und nun?
Was sollte sie jetzt tun?
Der ganze Tag war ihr verdorben, das war jetzt die Krönung gewesen!
Noch während sie so dastand und überlegte, entdeckte sie ihre Tochter Stella.
Wo kam die denn her?
Die war doch samt Familie im Urlaub!
Wenig ladylike brüllte Rosmarie über den Marktplatz: »Stella!«
Leute drehten sich nach ihr um, auch Stella blieb stehen, und nach der ersten Überraschung lief sie über den Platz, auf ihre Mutter zu.
»Hallo, Mama.«
Es war eine förmliche Begrüßung, aber das war bei den Rückerts so üblich. Keine herzliche Umarmung, kein Küsschen. Als Kind hatte sie unter der Lieblosigkeit sehr gelitten, und sie hatte sich ihre Streicheleinheiten bei den wechselnden Kinderfrauen geholt, zu denen sie und ihr