Der neue Sonnenwinkel Box 2 – Familienroman. Michaela Dornberg

Der neue Sonnenwinkel Box 2 – Familienroman - Michaela Dornberg


Скачать книгу
die sie von ihrem Sohn Jörg und dessen Familie bekommen hatte.

      »Wir waren so richtig dabei, weil ihr uns an allem habt teilhaben lassen.«

      Stella lachte.

      »Aber so richtig dein Ding ist es nicht. Du fotografierst lieber und lässt hinterher Bilder machen, die du in ein Album klebst.«

      Inge gab es zu, in der Familie wussten alle, dass sie da eher ein alter, konservativer Typ war.

      »Das stimmt. Ich habe eine gute Kamera, mit der mache ich mich auf Motivsuche, probiere verschiedene Kameraeinstellungen, ehe ich auf den Knopf drücke. Für mich ist das Fotografieren beinahe so etwas wie Meditation, und ich überlege mir auch, was ich im Bild festhalten möchte. Heutzutage ist es doch so, dass unüberlegt fotografiert wird, und hinterher wird es weltweit verschickt. Ehrlich mal, so schön es ist, ständig mit Bildern versorgt zu werden, besonders, wenn es sich um die engste Familie handelt. Früher hat man sich halt nach dem Urlaub getroffen, einen gemütlichen Tag oder Abend miteinander verbracht, und dann wurde erzählt, wurden Fotos gezeigt …, es ist alles irgendwie kälter geworden, aber so ist es halt nun mal. Ich will mich da aber nicht mehr umstellen, auch wenn ich noch nicht so alt bin. Es ist keine Frage des Alters, sondern der Einstellung. So, aber jetzt möchte ich nicht länger herummeckern. Ich will nicht, dass du mich für eine renitente, undankbare Alte hältst, Stella.«

      »Um Gottes willen, das werde ich niemals«, beteuerte Stella sofort. Und so meinte sie das auch, das war nicht nach dem Mund geredet. »Ich finde es ganz wunderbar, dass du so bist wie du bist. Ich finde es auch prima, dass du eine eigene Meinung hast, die du auch vertrittst. Du hast ja recht. Doch das Rad der Zeit lässt sich nicht mehr zurückdrehen, und in unserem Alter bleibt man auf der Strecke, wenn man sich den Neuerungen verschließ. Jörg käme ohne all die technischen Errungenschaften beruflich überhaupt nicht mehr zurecht. Er ist weltweit vernetzt und würde den Anschluss verpassen. Es schreibt ja heutzutage kaum noch jemand Briefe.«

      »Es ist ja schon ein Segen, wenn von den jungen Leuten heute überhaupt jemand schreiben kann. Fehlerfrei, meine ich«, bemerkte Inge. »Man schickt sich Symbole, hat für vieles eine eigene Sprache. Ehrlich, Stella, mir wird ganz angst und bange, wenn ich das mitbekomme. Ich bin unendlich froh darüber, dass eure Kinder noch mit Begeisterung lesen, und dass ihr ihnen andere Werte vermittelt, als ständig auf den Fernseher, auf Computer oder auf Smartphones und ähnliches zu starren. Wenn ich daran denke …«

      Inge brach ihren Satz ab, hielt sich eine Hand vor den Mund. »Ich höre auf, entschuldige bitte, Stella. Aber es ist ein heißes Thema für mich, bei dem ich mich jedes Mal ereifere. Endgültig Schluss damit. Was möchtest du trinken? Kaffee, Latte, Cappuccino oder einen Espresso?«

      Stella lachte.

      »Oh, was das anbelangt, da bin ich altmodisch. Ich hätte gern einen schwarzen Kaffee, den niemand so gut zubereiten kann wie du.«

      Ja, sie verstanden sich wirklich, die beiden Frauen. Es war herzlich, harmonisch. Und es tat weh, an ihre eigene Mutter zu denken.

      Inge war einmalig, aber wenn ihre Mutter wenigstens ansatzweise etwas Herzlichkeit besäße, das wäre ganz wunderbar …

      *

      Nikola Beck fuhr vor dem Arzthaus vor, lief durch den Vorgarten. Als sie an der Treppe ankam, blieb sie stehen, zögerte, dann holte sie ganz entschlossen den Haustürschlüssel aus ihrer Tasche, warf ihn in den Briefkasten, dann rannte sie, ganz so, als sei der Leibhaftige hinter ihr her, zurück zu ihrem Auto.

      Sie fühlte sich nicht gut dabei, als sie sich in den Wagen setzte und losfuhr.

      Das war feige, das wusste sie, und sie konnte sich eigentlich nur damit entschuldigen, dass Roberta Sprechstunde hatte und sie ihre Freundin erst mittags, wenn überhaupt, treffen konnte. Vielleicht sogar erst abends, wenn Roberta Krankenbesuche zu machen hatte.

      Es war ein Vorwand, und das wusste Nicki genau.

      Sie wollte nicht mit Roberta reden, weil sie ahnte, was die ihr sagen würde, und das wollte sie nicht hören.

      Sie verstand ihr Handeln ja selbst nicht, aber sie konnte nicht anders.

      Als sie den Sonnenwinkel hinter sich gelassen hatte, fuhr sie rechts an den Straßenrand und stellte den Motor ab.

      Sie war durcheinander, ganz schön sogar, dabei hatte alles so gut angefangen. Sie hatte sich lange nicht entschließen können, zur Restauranteröffnung zu fahren. Und eigentlich hatte sie es in erster Linie wegen Roberta getan, um sich von ihr keine Vorhaltungen anhören zu müssen. Die coole Roberta war fest davon überzeugt, dass sie und Roberto Andoni füreinander geschaffen waren und versuchte permanent, die Glücksgöttin zu spielen. Ausgerechnet Roberta! In Gefühlsdingen hatte ihre Freundin bislang wirklich nicht den goldenen Griff gehabt. Aber, nun, es stimmte schon, sie und Roberto passten wirklich gut zusammen, und sie würde nicht eine Sekunde nachdenken, wenn er nicht gerade ein Wirt im Sonnenwinkel wäre.

      Sie holte aus dem Handschuhfach eine Tafel Schokolade heraus, und die stopfte sie beinahe komplett in sich hinein.

      Nicki lehnte sich zurück.

      Die Eröffnung des ›Seeblicks‹ war wirklich toll gewesen, und wie sehr Roberto sich gefreut hatte, wie bemüht er um sie gewesen war, und dann, nachdem die letzten Gäste gegangen waren, oben in seiner Wohnung …

      Nicki seufzte.

      Roberto war ein fantastischer Liebhaber, er war sanft, zärtlich und leidenschaftlich zugleich. Und all die wundervollen Liebesworte, die in italienischer Sprache natürlich noch viel romantischer klangen.

      Es gab kein Wort dafür, was sie dabei empfunden hatte. Eines wusste sie. Es war so schön gewesen, dass sie all ihre Bedenken über Bord werfen wollte. Sie war bereit, es mit ihm zu wagen. Und da es nun mal nicht anders ging, wollte sie in den sauren Apfel beißen und mit ihm ein Zusammenleben im Sonnenwinkel probieren. Man konnte schließlich nicht alles haben. Sie tröstete sich damit, dass zum Glück ihre allerbeste Freundin ebenfalls hier wohnte, zu der sie gehen konnte, wenn ihr die Decke auf den Kopf fiel.

      Ja, so weit war sie schon gewesen. Und es hatte sich sehr gut angefühlt. Für die Liebe musste man halt manchmal Opfer bringen.

      Diese so gelungene Eröffnung des wirklich schönen Restaurants und dann die wundervolle Nacht mit ihm hatten Nicki ganz hingebungsvoll gemacht. Roberto war es wert, für ihn vieles aufzugeben. Er liebte sie, war bereit, sie auf Händen zu tragen. So etwas hatte sie nie zuvor erlebt.

      Irgendwann war sie in seinen Armen eingeschlafen in dem Bewusstsein, dass es mit ihnen am nächsten Morgen weitergehen würde, Küsse, Umarmungen zuerst und dann ein gemütliches gemeinsames Frühstück, um in aller Ruhe gemächlich den Tag angehen zu lassen. Genauso liebte Nicki es.

      Und dann kam der Schock. Auf einen Schlag war sie total ernüchtert, und da wurde ihr klar, dass all ihre Vorbehalte, ihre Sorgen nicht umsonst gewesen war. Entweder es passte oder nicht. Nichts ließ sich passend machen.

      Sie wischte sich Tränen aus den Augen. Es tat ganz schön weh.

      Irgendwann, es mochte so gegen drei Uhr morgens gewesen sein, war sie wach geworden, weil Roberto versuchte, sich vorsichtig aus der Umarmung mit ihr freizumachen.

      Sie hörte jetzt noch sein zärtliches, leises: »Schlaf weiter, cara mia.«

      Und dann hatte sie erfahren, dass er aufstehen musste, um um vier Uhr auf dem Großmarkt zu sein, um einzukaufen. Und das sollte keine Ausnahme sein, sondern gehörte zu seinem Arbeitsablauf, Tag für Tag. Er musste jeden Morgen zu dieser nachtschlafenden Zeit auf dem Großmarkt sein. Nicki fand es ganz gruselig, doch ihm schien es nicht einmal etwas auszumachen.

      Sein letzter Kuss brannte noch jetzt auf ihren Lippen, sie fühlte schmerzlich seine Nähe, die Wärme seines Körpers.

      Es half nichts, ihr war so deutlich bewusst geworden, dass es keine Gemeinsamkeit mit ihm gab, ihre Welten und ihre Vorstellungen waren zu verschieden. Vielleicht konnte man sie vorübergehend durch Liebe und Leidenschaft übertünchen, doch nach den Werbewochen würden die Unterschiede sehr deutlich hervortreten,


Скачать книгу