Feuerkuss und Flammenseele. Eileen Raven Scott
nichts und ich werde mich auch nicht euren Regeln beugen. Ich bin ein halber Mensch. Papa wohnt da oben.“ Sie deutete an die Decke. Ilvio erwähnte sie lieber nicht.
„Dein Papa ist tot.“ Lierd stand so nah vor ihr, dass sie einen leichten Hauch von Anis in seinem Atem wahrnahm.
„Was?“ Arunis Stimme war nur ein leises Flüstern.
„Mutter hat ihn getötet.“
„Das ist nicht wahr...“ Aruni brach ab. Ihre Augen brannten plötzlich.
„Du hast ihn doch eine Weile nicht gesehen, oder?“, fragte Lierd mit kalter Stimme.
„Nein, aber deswegen muss er doch nicht tot sein. Mutter würde das nie tun. Sie hat ihn geliebt.“
„Genau damit hat sie ihn umgebracht. Was glaubst du eigentlich, wer wir sind? Wir sind Dämonen, meine liebe Schwester. Wir. Du auch. Zumindest zu einem Teil.“ Lierd musterte seine Schwester. „Wenigstens hast du Hörner.“
Aruni kannte diesen Blick. Sie ging einen halben Schritt zurück. Dann noch einen und noch einen. Lierd lachte laut auf. In dem Moment drehte sich Aruni um und rannte los. Das Abwasser spritzte ihr fast bis ins Gesicht. Sie erreichte die Weggabelung nach oben und zog sich die ersten Stufen hoch, bis sie eine Hand an ihrem Knöchel spürte.
Aruni verlor den Halt, stürzte und spürte einen scharfen Schmerz in ihren Händen, als sie an dem glitschigen Stein hinab rutschten. Sie knallte der Länge nach in das brackige Wasser. Fluchend trat sie nach Lierd und versuchte mit den Händen an der Wand Halt zu finden. Aber Lierd ließ nicht los. Er zerrte sie an ihrem Knöchel über den Boden und griff nach ihren Handgelenken. Aruni verpasste ihm einen tiefen Kratzer, sie hatte kurz das Gefühl, seinen Knochen mit ihren Krallen zu streifen, und musste würgen. Lierd war natürlich stärker. Er bekam beide Handgelenke zu fassen und hielt sie mit einer Hand umklammert. Den anderen Arm schob er grob um ihre Knie. Dann warf er sich Aruni über die Schulter.
Ohne auf ihr Gezeter zu achten, hielt er auf das Ende des Tunnels zu. Sie traten in einen riesigen Saal. Die Flammen im Feuergraben loderten auf. Die schwarzen Wände wimmelten im Schattenspiel vor geisterhaften bösen Fratzen. Zwei Dämoninnen räkelten sich verführerisch in den Flammen zu Füßen eines nackten Dämons, dessen gebogene Hörner im Flammenschein aufleuchteten. Auch alles andere an ihm schien aufzulodern, während er die beiden Frauen beobachtete. Aruni kniff die Augen zusammen. Sie wollte all das nicht sehen. Sie wollte hier weg.
Die Frauen stöhnten laut. Eine der beiden rief nach Lierd. Flame. Und die andere Dämonin war doch … Jenna. Ausgerechnet. Lierd knurrte, Aruni wusste, dass es ihn große Mühe kostete, nicht Flames Ruf zu folgen.
Flame hat Hörner wie eine Ziege, dachte Aruni und schämte sich sofort für diesen Gedanken. Flame hatte ihr schließlich nichts getan. Zumindest nicht heute.
Jemand in der Dreiergruppe schrie lustvoll auf. Aruni wollte nicht wissen, wer es war, und kniff die Augen fester zusammen. Die Schreie und das Stöhnen wurden leiser. Nur noch Lierds Schritte hallten laut in ihren Ohren. Aruni schnupperte. Es roch schon weniger nach Rauch. Ihr wurde bereits wieder kalt. Sie gingen durch eine Tür.
„Du stinkst“, bemerkte Lierd, als er sie auf ein hartes Polster fallen ließ. „Vielleicht solltest du dich erst säubern, bevor dich jemand so sieht.“
Tränen brannten in Arunis Augen. „Wie kannst du nur?“
Sie klammerte sich an Lierds Arm, aber er schüttelte sie ab und ging hinaus. Die schwere Eisentür fiel hinter ihm ins Schloss. Jetzt war es dunkel. Richtig dunkel. Aruni konzentrierte sich und ließ ihre Hörner sanft leuchten. Sie war in ihrem Kinderzimmer, aus dem sie erst vor zwei Jahren ausgezogen war. Gegen den Willen ihrer Dämonenfamilie. Vor allem gegen den Willen ihrer Mutter. Die dann plötzlich ihre Meinung geändert hatte. Bitter dachte Aruni an die Worte ihrer Mutter. „Dann geh. Aber ich warne dich, wenn du da oben einen Mann kennenlernst, kommst du sofort zurück. Wenn nicht, holen wir dich! Du wirst nicht den gleichen Fehler machen wie ich. Du wirst dich nur mit Dämonen paaren.“
An einer Wand saß sogar noch der Teddybär, den ihr Vater ihr geschenkt hatte. Auf dem kleinen Felsen neben ihrem Schlafplatz lag unter einer Staubschicht ein Stapel Bücher. Menschenbücher. Ebenfalls Geschenke ihres Vaters. Niemand hatte es gewagt, sie ihr wegzunehmen. Das hätte ihre Mutter nicht zugelassen. Warum hatte Aruni sie damals nicht mitgenommen? Nein, sie hatte alles so lassen wollen, wie es war. Wollte nichts in das neue Leben mitnehmen. Nur ein einziges Buch hatte sie nicht hier lassen können. Ein Notizbuch ihres Vaters, in welches er Gedichte für sie geschrieben hatte. Das Buch lag jetzt einige Kilometer über ihrem Kopf in ihrer Londoner Wohnung. Aruni seufzte.
Sie sollte sich wirklich waschen. Nicht für die anderen, sondern für sich. An der einen Wand waren vier Türen, die zu einer Art Kleiderschrank gehörten. Im zweiten Segment war der Zugang zu ihrer Badehöhle. Aruni stand auf, löste den Gürtel ihres Kimonos und ging zum Schrank. Auch hinter dieser Tür hatte sich nichts verändert. Nichts hatte sich verändert. Doch auch hier lag eine dünne Staubschicht auf der Duschwanne, dem Steinregal mit den Handtüchern und dem Fußboden. Aruni musste niesen.
Sie ließ dampfendes Wasser ins Waschbecken laufen und warf ihren Kimono hinein. Er stank erbärmlich nach Abwasser, sie musste viel Seife und viel Wasser nehmen, bis sie den Geruch einigermaßen ausgewaschen hatte. Dann hängte sie ihn über die heißen Rohre, die an der Wand entlang liefen. Sie selbst stieg in die Dusche und schloss die Kristalltür hinter sich. Das heiße Wasser spülte den Dreck weg, aber den Kummer nicht. Irgendwo über ihr, an der Oberfläche, war Ilvio. Hoffentlich war er nicht schwer verletzt. Und hoffentlich würde er ihr nicht folgen. Die Dämonen würden ihn in Stücke reißen. Was, wenn sie ihn nie wiedersehen würde? Arunis Augen brannten. Ihre Tränen mischten sich mit dem Wasser, das aus der Brause über ihren Körper rann. Sie schlang die Arme um ihre Brust und ließ sich an der glatten Wand nach unten sinken. Das Wasser prasselte hart auf ihren Kopf. Aruni legte die Stirn auf ihre Knie und weinte still in sich hinein. Dämonen weinten nicht, dachte sie bitter. Aber ich bin kein Dämon.
Kapitel 11
Unmittelbar neben sich hörte Ilvio plötzlich eine Stimme. Er fuhr herum. „Suchst du mich?“, fragte Ash.
Er konnte ihr Gesicht nicht erkennen. „Ja, verdammt. Kannst du vorher auch mal was sagen? Du bist wohl nicht sehr gesprächig, wie?“
Ash brachte es irgendwie fertig, gleichzeitig zu schnurren und zu reden: „Komm, da vorne ist ein Eingang, durch den auch du passen wirst.“
Ilvio folgte Ashs Stimme. Der Boden war feucht unter Ilvios Fußsohlen. Ash glitt neben ihm durch die beinahe vollständige Dunkelheit, fast geräuschlos und ohne je irgendwo anzustoßen. Nur Ilvio unterdrückte alle paar Schritte ein Fluchen, weil er gegen etwas gestoßen war.
„Woher kennst du den Weg? Warst du schon mal hier unten?“, fragte er flüsternd.
„Ja, natürlich. Ich habe bei Aruni gelebt, ihr Vater hat mich ihr zu ihrem fünfzehnten Geburtstag geschenkt.“
„Und woher kamst du?“, fragte Ilvio weiter.
Ash schwieg eine Weile. „Weißt du, Katzen wie ich, oder besser gesagt, wir Wandler, bleiben meistens gerne alleine. Aber ich mag die Menschen und noch mehr mag ich Wesen der Unterwelt. Als Arunis Mutter in der Stadt auftauchte, hat sie mich unbeabsichtigt zu Jack geführt. Sie war nicht lange dort, ein Wochenende, danach bin ich ihm zugelaufen, wenn du so willst. Ich liebe es, gebrochene Herzen zu flicken.“
„Wo ist Arunis Vater jetzt? Weiß er von den Dämonen?“
„Na, das wird ihm wohl kaum entgangen sein. Malenka hat Hörner und eine Dämonenhaut. Mehr noch als Aruni.“
„Wer ist Malenka?“
„Arunis Mutter. Malenka, die Dunkle. Du kannst dich übrigens schon mal drauf gefasst machen, dass wir gleich in der Hölle landen. Ich bin gespannt, ob du sie dir so vorgestellt hast.“ Ash lachte leise und blieb stehen.
„Wir