Feuerkuss und Flammenseele. Eileen Raven Scott

Feuerkuss und Flammenseele - Eileen Raven Scott


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9

      Ilvio hämmerte gegen die Tür, doch der Türknauf ließ sich nicht bewegen, und die Tür gab keinen Millimeter nach. Jemand rief: „Ruhe!“

      Ilvio überlegte fieberhaft. Die Tür fiel aus. Was blieb ihm dann? Richtig, die Fenster. Schnell rannte er zu einem Fenster und riss die Gardinen auf. Der Mond versteckte sich hinter den Wolken. Nur eine flackernde Straßenlaterne erhellte die Straße. Regentropfen prasselten an die Scheibe und rannen am Glas hinunter. Ilvio rüttelte am Fenstergriff. Er war scheinbar etwas verrostet, gab aber nach einigen endlos scheinenden Sekunden doch endlich nach.

      Ilvio riss das Fenster auf. Sofort blies ein kalter Wind herein. Der Regen durchnässte in Sekundenschnelle sein Hemd und seine Haare. Er beugte sich hinaus. Der Boden sah verdammt weit weg aus. Es gab nichts da unten, was seinen Fall bremsen würde. Die Regenrinne war viel zu weit weg, die konnte er nicht erreichen, und selbst wenn, hätte sie sein Gewicht vermutlich nicht tragen können. Wut über Arunis Halbbruder brannte in seinem Inneren. Seine Haut leuchtete verräterisch durch den nassen Stoff seines Hemdes. Aber es war niemand auf der Straße, der sich daran stören konnte. Und leider auch niemand, der ihm helfen konnte oder eine Leiter hatte. Vielleicht hing Arunis Leben davon ab, wie schnell er hier weg kam und sie fand. Würde ihr Bruder sie töten? Verdammt, er wusste es nicht. Er wusste nichts über Dämonen. Und selbst, wenn der Bruder es nicht tat, wer wusste, was die Regeln der Dämonen ansonsten vorsahen für solche wie Aruni. Wäre sie eine Verräterin? Ilvio fluchte.

      Erneut sah er sich im Zimmer um. Eine Strickleiter aus Bettlaken? Eins lag auf dem Bett. Ilvio rannte zu einem Schrank und suchte nach weiteren Bettlaken. Er fand genau ein Weiteres. Zwei waren etwas zu wenig für eine Leiter. Er fluchte. „Verdammt, verdammt, verdammt.“

      „Davon wird es auch nicht besser, Herr der Meere“, tadelte eine eindeutig weibliche Stimme hinter ihm.

      Ilvio wirbelte herum.

      An der Wand stand eine schlanke, dunkelhäutige Frau. Sie trug einen langen, schwarzen Mantel und war barfuß.

      „Wer bist du?“, fragte Ilvio, als er sich von seinem ersten Schreck erholt hatte.

      „Wir kennen uns bereits, Ilvio. Ich bin Ash.“ Die Frau kam ein paar Schritte auf ihn zu und trat in das diffuse Licht der Straßenlampen, das durchs Fenster hereinfiel. Ihr Gang war merkwürdig tänzelnd und lautlos.

      „Ash?“, fragte er verblüfft und sah sie sich genauer an. An ihren Augen blieb sein Blick hängen. Ihre Pupillen waren schmal und die Iris goldgelb. „Moment, heißt nicht Arunis Katze so?“

      Die Frau lachte leise. Es klang fast wie ein Schnurren. „Ihre Katze, ja. Miau.“

      Das Miauen klang verdammt echt.

      „Jetzt begreif' ich gar nichts mehr. Du bist Ihre Katze?“ Ilvio ließ sich gegen das Fensterbrett sinken und starrte sie an.

      „Katze oder Frau. Aber nein, es muss nicht immer ein ‚oder‘ sein. Ich bin beides. Katze und Frau.“ Sie stand nun ganz dicht vor ihm und starrte ihm in die Augen.

      Ilvio blinzelte zuerst. „Wahnsinn“, sagte er.

      Ash schnurrte leise. „Aber jetzt sollten wir vielleicht etwas tun, oder nicht?“

      Ilvio nickte, drehte sich um und sah erneut aus dem Fenster. Die Straße lag ziemlich tief unten. „Meinst du, ich könnte...“, begann er. Im gleichen Moment sprang ein schwarzer Schatten an ihm vorbei aufs Fensterbrett, um dann geschmeidig auf der Straße zu landen.

      „Hast du dich verletzt?“, rief Ilvio zu ihr runter. Die Katzenfrau, die jetzt wieder aussah wie eine gewöhnliche Katze, machte eine Bewegung mit dem Kopf, die aussah wie ein Kopfschütteln. Dann lief sie dicht an der Hauswand entlang und verschwand hinter der Ecke. Ilvio sah ihr nach und kletterte nun selbst auf das Fensterbrett. Ob er das auch schaffen würde? Unverletzt unten ankommen? Er atmete tief durch und versuchte die Entfernung zum Boden zu schätzen. Es war ja nur ein Stockwerk, so schlimm konnte es wohl nicht sein. Da hörte er ein Kratzen an der Tür. Ilvio horchte. Das Geräusch wiederholte sich. Ja, eindeutig ein Kratzen.

      „Ash?“, fragte er halblaut.

      Ein Miauen antwortete ihm. Dann hörte er ein Knirschen und Klicken und sah, wie sich der Türknauf drehte. Und dann stand Ash in der Tür, schwarz wie der Ruß in Arunis Kamin. Ein geheimnisvolles Lächeln lag auf ihren Lippen, als sie ihn zu sich winkte.

      Ilvio hob im Vorbeigehen seine Jacke auf und war im Nu bei der Katzenfrau. „Weißt du denn, wo wir Aruni finden können?“, fragte er.

      „Miau, ich denke schon“, antwortete Ash.

      Ilvio folgte ihr auf die Straße. Hektische Regentropfen glommen gelb und weiß im Licht der Straßenlaternen, bevor sie auf den Asphalt klatschten. „Komm, ich bin kein großer Freund von Regen“, sagte Ash, setzte sich eine große, bauschige Kapuze auf und zog Ilvio an seinem Ärmel die Straße hinunter in Richtung U-Bahn. Regentropfen glitzerten blau, rot und weiß in ihrem Gesicht, als sie sich dem Underground-Zeichen von Camden Town näherten. Eine steile Rolltreppe führte in den Untergrund. An den weiß gekachelten Wänden hingen in kurzen Abständen mehrere A3-große Rahmen mit Werbeplakaten. Große Fotos von funkelnden Diamantencolliers, Schwarz-Weiß-Aufnahmen von der Tower Bridge, Zigarettenwerbung und Ankündigungen von Musicals. Das Bild vom Cats-Musical verfolgte ihn eine Weile, intensiv starrende gelbe Katzenaugen auf einem schwarzen Plakat. Sie sahen fast genauso aus wie die Augen von Ash.

      Ash glitt von der Rolltreppe und folgte dem niedrigen, röhrenartigen Gang nach links. Ilvio erfasste ein Gefühl von Beklemmung, das nicht einmal das helle Licht und die weißen Wände ändern konnten. Er war die Weite des Meeres gewohnt. Aber ihm blieb keine Zeit, lange darüber nachzudenken. Er musste sich beeilen, um Ash nicht aus den Augen zu verlieren.

      Auf dem Bahnsteig standen einige Menschen, ein paar unterhielten sich. Niemand beachtete Ilvio und Ash. An der Wand saß ein alter Mann zusammengesunken auf einem der Metallstühle. Er hatte die Füße hochgelegt und schnarchte lautstark. Ein scharfer Dunst aus Alkohol und Urin umgab ihn. In dem Moment, als Ilvio vorbei ging, riss er die Augen auf und starrte ihn an. Doch im nächsten Moment schlief er schon wieder.

      Ash überquerte die dicke gelbe Linie auf dem Boden und ignorierte die Warnung „Mind the Gap“. Sie sprang behände über den Rand der Plattform und lief ein paar Schritte auf den dunklen Tunnel zu. Zögernd folgte ihr Ilvio. Er drehte sich erneut um nach den anderen Leuten, aber immer noch beobachtete sie niemand. Unter der überhängenden Plattform duckte sich Ash und wurde wieder zur Katze. „Hey“, flüsterte er, als die Katze in einem niedrigen Loch verschwand. Da passte er nicht durch. Er kniete sich auf den kalt-feuchten Boden und sah ihr hinterher. Es roch ein bisschen nach Algen, aber nach solchen, die schon eine Weile am Strand herumlagen. Und was nun?

      Kapitel 10

      Aruni bedauerte zutiefst, dass sie nicht, wie ihre Mutter, schwarze harte Fußsohlen wie ein Höllenhund hatte. Sie zupfte ihren Kimono zurecht und stellte genervt fest, dass die Feuchtigkeit ihn an einigen Stellen durchsichtig gemacht hatte. Sie wusste selbst nicht genau, warum sie einfach nicht wollte, dass Lierd sah, wie viel Menschenhaut sie besaß. Es ging ihn schlichtweg nichts an. Sie dachte an Ilvio. Auch er ging Lierd überhaupt nichts an. Lierd ging mittlerweile vor ihr. Arunis Magen fühlte sich an wie eine kleine harte Kugel. Wut und Enttäuschung würgten sie. Sie blieb stehen. Lierd ging sicheren Schrittes weiter. Seine schweren Bikerstiefel ließen das flache Wasser zu beiden Seiten aufspritzen und verscheuchten hier und da eine Ratte oder eine Maus, die laut piepsend floh.

      Am Ende des Ganges vor ihnen schimmerte es rot und dünne Rauchschwaden umspielten Arunis Sinne. Sie sehnte sich nach der Wärme. Ihre Füße waren ganz taub vor Kälte. Schon jetzt konnte sie die dumpfen Töne der Band hören. In den Katakomben spielte immer irgendeine Band. Aruni konnte die tanzenden Leiber schon beinahe vor sich sehen. Völlig entrückt von der Musik. Sie seufzte. Das Tanzen war eigentlich fast das einzige gewesen, was ihr hier unten gefallen hatte.

      Lierd blieb stehen und drehte sich


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