Jürgen Klinsmann - Fußball ohne Grenzen. Erik Kirschbaum
gab, die Sprache zu lernen. Danach studierte ich meine Englischbücher und alles, was ich in die Hände bekam.“
1982, kurz nachdem Klinsmann im Alter von 18 Jahren seine Bäckerlehre beendet hatte, zog er aus dem Haus seiner Eltern über der Bäckerei aus in eine eigene Wohnung, zurück in das ruhige, ländliche Geislingen.
Der Gesellenbrief war für Klinsmann ein wichtiger Meilenstein, eine Art Initiationsritus. Der Bäckermeister Siegfried Klinsmann war bei seinem Sohn Jürgen zu Recht stolz darauf, als dieser seinen Gesellenbrief in den Händen hielt, genauso wie Jürgen selbst. „Ich habe gelernt, wie man backt, und mein Diplom hängt in der Bäckerei“, erzählt er.
Teil II
Deutschland, Italien, Monaco und England
Der Durchbruch in der Bundesliega
Klinsmann gelang 1984 ein weiterer großer Schritt nach oben auf der Fußballpyramide, indem er nach sechs Jahren bei den Kickers die Mannschaft wechselte und zum innerstädtischen Rivalen VfB Stuttgart ging. Damit war er endlich in der Bundesliga angekommen. Die 1. Bundesliga zählte bereits in den 80er-Jahren zu den vier besten Ligen der Welt, wenngleich die Qualität und Gehaltsunterschiede zwischen der Bundesliga und den überlegenen Ligen in Italien, England und Spanien immer noch groß waren.
Die Bundesliga wurde als Profiliga erst 1963 gegründet, 89 Jahre nach Gründung des ersten Fußballvereins im Jahre 1874 in Dresden, den einige englische Arbeiter ins Leben gerufen hatten und der den einfachen Namen „Dresden English Football Club“ trug. Die Bundesliga wurde 1963 inmitten einer Krise gegründet, der jahrelange Diskussionen und Widerstand von Seiten der Regionalligen vorausgegangen waren. Die Regionalligen wehrten sich dagegen, ihre Macht und ihren Status von einer einzigen zentralisierten Profiliga geschmälert zu sehen.
Vor 1963 wurde Fußball in Deutschland auf semiprofessionellem Niveau und im Amateurbereich gespielt, mit einer Reihe von regionalen Ligen. Die Meisterschaft wurde über ein K.-o.- System bestimmt. Der DFB war auch lange gegen eine einzelne zentral gesteuerte Profiliga, da man befürchtete, dass der Einfluss von Geld und Kommerzialisierung dem Spiel die Unschuld nehmen würde. Das Fehlen einer professionellen Liga hatte die Entwicklung des Fußballs in der Bundesrepublik im Vergleich zu anderen Ländern eindeutig ins Hintertreffen gebracht. Auch die Nationalmannschaft litt zusehends darunter, und sie konnte bei den Weltmeisterschaften 1958 und 1962 nicht im Ansatz an den Erfolg von 1954 anknüpfen. Der internationale Fußball hatte sich seit 1954 weiterentwickelt, aber in der Bundesrepublik schien er stehen geblieben zu sein.
Erst eine Krise führte aus der Sackgasse heraus. Das Problem wurde nämlich unübersehbar, als die deutsche Nationalmannschaft bei der WM 1962 in Chile durch ein demütigendes 0:1 beim Viertelfinale gegen Jugoslawien aus dem Turnier ausschied. Aus deutscher Sicht war dieses Ergebnis völlig inakzeptabel, nachdem die Erwartungen nach dem Triumph von 1954 enorm gestiegen waren. Mit typisch deutschem Pragmatismus nutzten einige die Niederlage als Chance, um die längst überfälligen Reformen durchzusetzen, wie zum Beispiel die Gründung der Bundesliga. Der DFB und Sepp Herberger, der damalige Nationaltrainer, waren zuvor gegen eine deutsche Profiliga. Nach der enttäuschenden Niederlage bei der WM 1962 erkannten sie, dass die Ehre der Nation auf dem Spiel stand und dass eine Profiliga notwendig war, um auf internationaler Ebene wettbewerbsfähig zu bleiben. Vier Jahre später, 1966, nachdem die Bundesliga etabliert worden war, schlug sich die deutsche Mannschaft bei der WM in London wieder deutlich besser: Sie erreichten das Finale, verloren allerdings mit dem umstrittenen 4:2 in der Nachspielzeit gegen Gastgeber England. Dies geschah an Klinsmanns zweitem Geburtstag.
Die Bundesliga gilt inzwischen als eine der drei Top-Ligen der Welt neben Englands Premier League und Spaniens Primera División. Amerikas Major League Soccer wird im Allgemeinen nicht einmal unter den 15 weltbesten Teams eingeordnet. Die Bundesligamannschaften hatten in der Saison 2014/15 Zuschauerzahlen von durchschnittlich 43.500 und damit mehr als alle anderen Fußball-Ligen der Welt, vor der an zweiter Stelle stehenden Premier League mit 36.695 Zuschauern pro Spiel. Die einzige andere Profiliga, die mehr Zuschauer aufweisen kann als die Bundesliga, ist die NFL in den USA mit einer durchschnittlichen Zuschauerzahl von 68.776 in der Saison 2014/15
Der Wechsel in die Bundesliga war für Klinsmann ein Riesensprung. Aus persönlicher Sicht war es jedoch auch etwas unangenehm für ihn, da er zuvor geschworen hatte, niemals für die reichen Lokalrivalen zu spielen. Im westlichen Teil von Stuttgart, aus dem Klinsmanns kam, betrachtete man den VfB mit an Verachtung grenzender kritischer Distanz. Schließlich hatte er die vergangenen sechs Jahre bei den Kickers verbracht und fühlte sich den „Blauen“ und ihren Fans tief verbunden. Der Transfer von den „Blauen“, der Mannschaft, die er liebte zu den „Roten“, die er so lange abgelehnt hatte, war für Klinsmann dadurch sehr emotional und nicht leicht. Diese intensiven „Lokalderbys“ spielen eine wichtige Rolle, auch wenn es für Außenstehende manchmal schwer nachvollziehbar ist, auf welche Weise sich zwei konkurrierende Mannschaften aus derselben Stadt oder Region wie Erzfeinde gegenübertreten.
Der Präsident der Kickers, der großzügige und großherzige Industrielle Axel Dünnwald-Metzler, der die Mannschaft ein Jahr zuvor nach Florida eingeladen hatte, musste Klinsmann geradezu überreden, das Angebot vom VfB Stuttgart anzunehmen. Der VfB Stuttgart war gerade deutscher Meister geworden und war bereit, die damals stolze Transfersumme von 700.000 DM für den talentierten jungen Stürmer zu zahlen. Dünnwald-Metzler musste Klinsmann von seinem früheren Versprechen „niemals“ zum VfB zu wechseln befreien. Für Dünnwald-Metzler ging es dabei in seinen Überlegungen in erster Linie nicht um die Transfersumme. Es war offensichtlich, dass Klinsmann für den Sprung in die Bundesliga mehr als bereit war. Er hatte erkannt, dass Klinsmann einfach zu gut geworden war, um in der 2. Bundesliga zu bleiben. Dünnwald-Metzler wollte auch, dass dieser energiegeladene Spieler, der dabei war, sich rasch zu einem der besten jungen Stürmer des Landes zu entwickeln, wenigstens weiter in Stuttgart spielen würde, wo er dank seiner vielen Tore, seines Kampfgeistes und seiner Arbeitseinstellung bereits eine Fangemeinde hatte. Klinsmann empfand für Dünnwald-Metzler nach sechs Jahren bei den Kickers ebenfalls großen Respekt. „Er war immer auch an deiner Entwicklung als Mensch