Fränkisches Pesto. Susanne Reiche

Fränkisches Pesto - Susanne Reiche


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Renommee versprechende Familienarbeit, um ihm seine Berufstätigkeit zu ermöglichen. Damit ihr Engagement nicht umsonst blieb, wechselte er das Thema.

      »Ich bin noch immer geschockt von den gestrigen Ereignissen im Wengleinpark«, behauptete er. »Für Sie muss es noch viel schlimmer sein – Sie hatten gesagt, der Tote war ein Kurskollege von Ihnen?«

      Der Rentner biss sofort an. »Das ist richtig«, nickte er. »Es war wirklich furchtbar.« Er referierte einmal mehr über den schönen Tag inmitten der blühenden Natur und über Blut und Knochensplitter.

      »Kannten Sie den Mann näher?«

      »Näher? Nein. Der Kurs hat ja am Karfreitag erst begonnen, und mehr als ein paar Worte Small Talk habe ich mit Julius nicht gewechselt. Aber glauben Sie mir: Es war auch so schlimm genug! Es hat mich einige Überwindung gekostet, mich über ihn zu beugen und seinen Puls zu fühlen …«

      »Ich habe gehört, der Tote war Politiker und aktiver Agrarlobbyist«, unterbrach Kastner. »Er soll sich politisch nicht unbedingt als Naturschützer hervorgetan haben.«

      Dennerlein legte den Kopf schief. »Ach, das haben Sie gehört?«

      Kastner nickte. »Und nun frage ich mich – ich hoffe, Sie entschuldigen meine Neugier –, warum ein so vielbeschäftigter Freund der Wirtschaft eine ganze Woche Urlaub nimmt, um sich mit heimischen Kräutern zu beschäftigen?«

      »Eine gute Frage, die ich leider nicht beantworten kann«, sagte Dennerlein bedauernd. »Ich habe erst nach Julius’ Tod erfahren, dass er Politiker war. Wenn ich mich recht entsinne, hat er gesagt, er arbeitet in der Veldener Stadtverwaltung – ich habe ihn für einen Angestellten oder Sekretär gehalten. Er sah nicht aus wie ein Gemeinderat.«

      »Nein?«

      »Nein. Unter uns gesagt: Julius sah schon beim Frühstück aus wie ein BWL-Student im vierten Semester, der es sich abends vor dem Fernseher gemütlich gemacht hat – lässig gekleidet und mit einer Tüte Erdnussflips und einem Schoppen Frankenwein bewaffnet. Apropos – ich darf Sie doch auf ein Gläschen einladen?« Es war eine rhetorische Frage, denn er schnippte bereits mit den Fingern nach dem Wirt. »Weiß oder rot?«

      »Diese Entscheidung überlasse ich gerne Ihnen«, erklärte Kastner. Er war Biertrinker aus Überzeugung, obwohl Mirjam die Auswirkungen des Gerstensaftes auf seine Figur eher kritisch bewertete. Vergorene Trauben jedweder Farbe und Provenienz lösten Sodbrennen bei ihm aus; und er hatte die Erfahrung gemacht, dass der in einem Gläschen Wein verborgene Alkohol sein Gehirn weit heimtückischer und plötzlicher k. o. schlug als zwei, drei Halbe eines fränkischen Landbieres.

      Aber so viel hatte er inzwischen begriffen: Wer verdeckt ermitteln wollte, musste Opfer bringen.

      *

      Der Biergarten versank im Schatten des späten Nachmittags, die Wolken verdichteten sich und entließen einen kräftigen Schauer. Kastner war dem ebenso großzügig plaudernden wie nachbestellenden Dennerlein in die warme Wirtsstube gefolgt und hatte, um dem steigenden Frankenweinpegel etwas entgegenzusetzen, ein Schnitzel mit Kartoffelsalat geordert. Er bemühte sich redlich, das Gespräch wieder auf den Todesfall im Wengleinpark zu bringen, erfuhr aber mehr über Dennerleins entbehrungsreiche Nachkriegskindheit, die Tablettensucht seiner Tochter Erika und den Werdegang seines einzigen Enkels Lothar – ein so intelligenter Junge, aber leider schwul und in der Gastronomie hängen geblieben – als über den letzten Tag in Imthals Leben.

      »So, so«, sagte er, und: »Das ist ja interessant.«

      Einige Tische weiter fand sich eine Gruppe unterschiedlichen Alters und Geschlechts zum Abendessen ein – Speisekarten wurden herumgereicht, Getränke bestellt. Dennerlein grüßte hinüber.

      »Ach«, sagte Kastner. »Sind das Ihre Kurskollegen?«

      Dennerlein nickte. »Die meisten jedenfalls. Mein Bruder Konrad und meine Schwägerin Johanna sind wohl noch unterwegs. Sie wollten am Nachmittag mit dem Zug nach Neuhaus an der Pegnitz fahren – dort soll es ein gutes, kommunal gebrautes Bier geben, sagt Johanna. Mein Bruder und ich sind ja eher Weintrinker …«

      Kastner erinnerte sich an eigene, inzwischen mehrere Jahre zurückliegende Ausflüge nach Neuhaus an der Pegnitz, die stets mit erheblichen Promillewerten und dem festen Glauben daran geendet hatten, dass alle Menschen Brüder und Schwestern waren. Das im sechzehnten Jahrhundert an die Neuhauser Bürger verliehene kommunale Brau- und Schankrecht wurde mittlerweile nur noch von wenigen Familien ausgeübt, was dem würzigen Geschmack des ausgeschenkten Bieres, der Heimeligkeit der winzigen Schankräume und der regen Kommunikation zwischen den wild zusammengewürfelten und eng zusammengepferchten Einheimischen und Auswärtigen aber keinen Abbruch tat. Dass man von Bier betrunken werden konnte, war Kastner bekannt gewesen; dass es einen auch glücklich machen konnte, hatte ihn erst das Neuhauser Kommunbräu gelehrt.

      »Es wundert mich, dass Sie und Ihre Kurskollegen noch hier sind«, sagte er. »Will man nach einem so schrecklichen Erlebnis nicht möglichst schnell die Heimreise antreten?«

      Dennerlein zuckte die Achseln. »Die Polizei hat uns gebeten, uns in den nächsten Tagen zur Verfügung zu halten«, erklärte er. »Wir haben das in der Gruppe besprochen und beschlossen, den Kräuterkurs ab morgen weiterlaufen zu lassen. Die Zimmer und der Tagungsraum sind gebucht, die Kursgebühren sind bezahlt – und es ist allemal besser, sich sinnvoll zu beschäftigen, als nur grübelnd herumzusitzen.«

      »Sie sollen sich zur Verfügung halten? Heißt das, Sie und Ihre Kurskollegen stehen unter Verdacht?«

      Dennerlein winkte ab. »Bei Mord und Totschlag geht es meist um etwas Persönliches – Geld, Rache, Eifersucht … So nahe standen wir Julius nicht, wir kannten ihn ja erst seit drei Tagen. Vermutlich will die Polizei nur allgemeine Fragen klären: die Zeitabläufe am Tattag, verdächtige Beobachtungen …«

      »Sie sehen das bemerkenswert sachlich«, stellte Kastner fest.

      Der Walrossbart zuckte die Achseln und schenkte Wein nach – er hatte sich für einen Weißen Silvaner entschieden. »Warum auch nicht?«

      »Weil ein Mörder frei herumläuft?«, schlug Kastner vor.

      Dennerlein schmunzelte. »Sie denken an einen Irren, der mit Schaum vor dem Mund durch den Wald läuft und wahllos Naturfreunde ermordet? Nein, für solche Szenarien fehlt es mir entschieden an Fantasie. Wer immer den armen Julius erschlagen hat, hatte sicher einen Grund dafür – zumindest in seinen eigenen Augen. Inzwischen weiß ich, dass Julius als Politiker sehr dezidierte Ansichten vertreten hat. Damit macht man sich notgedrungen Feinde.«

      Der Kernkraftbefürworter Dennerlein schien zu wissen, wovon er sprach.

      Kastner nippte an seinem Wein. Er schmeckte muffig, mit Randaromen von Schwefelwasserstoff und getragenen Socken; im Abgang erschloss er dem Gaumen ein Potpourri schwebender Nuancen, die Kastner an seine letzte Beziehungskrise erinnerten: Kurz vor der Abfahrt in die Oster­ferien hatte Mirjam ihn gebeten, den verstopften Siphon der Küchenspüle zu reinigen. Er war diesem Ansinnen ebenso klaglos wie willig nachgekommen, hatte aber vergessen, einen Eimer unter den Abfluss zu stellen, ehe er die verschlungenen Plastikrohre mit roher Gewalt voneinander getrennt hatte …

      »Ein guter Tropfen, nicht wahr?«, lächelte Dennerlein. »Hervorragender Jahrgang, in einem Eichenfass gereift, und alles bio. Den fränkischen Weinbauern kommt der Klimawandel entgegen, das muss man auch mal sagen dürfen. Volle Sonne und steiniger Boden – das ist dem Wein gerade recht. Man muss natürlich die richtigen Rebsorten anbauen …«

      »Um noch einmal auf Julius Imthal zu kommen«, unterbrach Kastner den vinophilen Redeschwall des Seniors. »Wenn der Mörder kein persönliches, sondern ein politisches Motiv gehabt hat, dann sind Ihre Kurskollegen als Verdächtige doch wieder im Rennen!«

      Dennerlein schüttelte den Kopf. »Das scheint mir weit hergeholt – meine Kurskollegen sind allesamt ganz harmlose junge Leute. Wollen Sie sie kennenlernen? Wir können uns zu ihnen hinübersetzen.«

      *

      Mirjam und die Kinder kamen gegen achtzehn Uhr


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