Räucherstoffe und Räucherrituale. Thomas Kinkele

Räucherstoffe und Räucherrituale - Thomas Kinkele


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dermaßen mit Angstgefühlen und Enge verkettet, dass er im späteren Leben eine so heftige instinktive Abwehrreaktion auslösen kann. Das gilt für viele emotionale Reaktionsmuster, die durch einen Dufteindruck angesprochen werden können. Die Konditionierungen durch schmerzhafte Erfahrung werden in diesen Reaktionen offenbar. Der Duft steht für eine Bedrohung oder Belastung. Er repräsentiert Inhalte, die mit unangenehmen, schmerzverbundenen Erfahrungen korrespondieren. Die gute Nachricht ist, dass wir diese Muster auflösen können.

      Es ist interessant, wie absolut das Urteil über eine bestimmte Wahrnehmung in aller Regel ausfällt. „Das riecht nicht gut“, sagt der Mensch und meint, damit eine objektive Aussage gemacht zu haben, wobei es aber sehr auffällig ist, wenn der nächste bei dem gleichen Duft dann Laute der Begeisterung ausstößt und damit das erste Urteil ad absurdum zu führen scheint. Die uneingeschränkte Polarität von gut und schlecht ist übrigens auch das Territorium, in dem die exoterischen Religionen angesiedelt sind. Sie geben dem Menschen Richtlinien vor, was gut oder böse bzw. schlecht zu nennen ist. Wohlgerüche entsprechen dem Göttlichen und der Gestank dem Teuflischen. Das lässt die absolute Bewertung der persönlichen Empfindung in einem besonderen Licht erscheinen – vor allem dann, wenn es sich, wie im Falle von Weihrauch, in das Gegenteil verkehrt.

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       Das Feuer

      Feuer ist eine elementare Kraft, die Anfang und Ende in sich vereint. Sie ist die Kraft der Veränderung. In der Natur zerstört sie das Alte und schafft Nährboden für die Neugeburt. Die Begegnung des Menschen mit dem Feuer ist auch eine Konfrontation mit seiner Angst. Die Überwindung der Angst ist das große Thema des Menschen angesichts dieser Kraft der Erneuerung. Die Domestizierung dieser Kraft brachte für den Urmenschen Schutz vor wilden Tieren und Wärme. In den vergangenen 20 Jahren haben schamanische Heilungsrituale wie der Feuerlauf und die Schwitzhüttenzeremonie eine gewisse Aktualität bei uns erlangt. Diese scheinen die Empfindung von archaischen Bezügen zu wecken und ein neues Lebensgefühl hervorzurufen. Auf einer tiefen Ebene zu sich selbst zu stehen und die Läuterung wahrzunehmen, die im Kontakt mit dem Feuerelement entsteht, wird wie eine Wiedergeburt empfunden. Mut und Tatkraft werden im Inneren des Menschen erzeugt, wenn er seinem ureigenen Feuer begegnet.

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      Wenn Sie heute Gelegenheit haben, an einem offenen Feuer zu sitzen, können Sie da nicht die Magie spüren, die Faszination, die von diesem mächtigen Element ausgeht? Immer wieder fühlen wir uns doch von der verzehrenden Dynamik eines Feuers in den Bann gezogen, wenn es krachend und prasselnd alles verschlingt, was die gierigen Flammen an brennbarer Materie erreichen können. Diesem Element können wir auch im übertragenen Sinne wirklich alles Alte und Verbrauchte zumuten, von dem wir uns trennen wollen. Es ermöglicht uns immer einen neuen Anfang. Die großen traditionellen Feuerzeremonien, wie man sie in unseren Breitengraden kennt, finden zur Sonnenwende statt. Die großen Lichtzyklen weisen uns auf den Rhythmus der Natur hin, dem alles Leben auf unserer Erde unterworfen ist.

      Wenn wir für das Feuer Verantwortung tragen, dann sind wir zu Achtsamkeit und Vorsicht verpflichtet. Immer wieder wird es uns an die Vergänglichkeit des irdischen Lebens erinnern und uns unserer Erfahrungsreise durch das Territorium der Wahrnehmung, wo wir auf wunderbare Weise in den Kreis des Lebens eingebunden sind, bewusst werden lassen. Freier Wille und Verantwortlichkeit sind dabei untrennbar miteinander verbunden. Die Lektion des Feuers ist sehr direkt. Seine sprichwörtliche Unberechenbarkeit hat schon so manche Katastrophe ausgelöst. Aber es steht immer für die Wahrheit der Vergänglichkeit des physischen Lebens und erinnert an den Moment der Transformation.

      Respektvoller Umgang mit dem Element des Feuers muss als oberstes Prinzip gelten, um wirkliche Freundschaft mit ihm schließen zu können. Aber Freundschaft mit dem Feuer ist wiederum so segensreich, dass sich jede Mühe lohnt, um ihm den notwendigen Respekt zu zollen.

       Die Feuerquelle für das Räuchern

      Wenn wir Pflanzenstoffe verräuchern, dann brauchen wir das Feuer. Wir brauchen die Flamme oder die Glut für die Verwandlung des Pflanzenkörpers in duftenden Rauch. Ob wir das Feuer in Form von glühender Kohle oder einer Kerzenflamme einsetzen, hängt davon ab, welchen Zweck wir mit dem Räuchern verfolgen. Darüber erfahren Sie Genaueres, wenn es um Anwendung und Utensilien geht.

      An dieser Stelle möchte ich den alchemistischen Aspekt näher beschreiben, der im Zusammenhang mit dem Räuchern eine wichtige Rolle spielt.

      Nach allem, was wir über die Herkunft des Räucherns erfahren, ist der Duft eine feinstoffliche Kraft, die Einfluss auf alle Wahrnehmungszentren (Bauch/Instinkt/Körper, Herz/Gefühl/Seele und Kopf/Gedanke/Geist) nehmen kann. Das Feuer ist diejenige Energie, durch die der Vorgang der Verfeinerung ausgelöst wird. Der beim Verglimmen entstehende Duft wird als Seele der Pflanze gesehen, die in diesem Prozess freigesetzt wird.

      Dabei steigt das Wasser aus der irdischen Substanz als sichtbare Rauchfahne nach oben und trägt diese Pflanzenseele als Dufteindruck mit sich. Das ist ein alchemistischer Verwandlungsprozess. Eine Verfeinerung findet statt, bei der die Essenz der Pflanze vom grobstofflichen Körper herausgetrennt und als ätherische Substanz unserer sinnlichen Erfahrung auf chemische Art zugänglich wird.

      Die psychisch-seelischen Bereiche werden über den Geruchssinn berührt. Das kann sich als ein wahrer Segen herausstellen. Ein respektvoller Umgang mit diesem Prozess ist Voraussetzung für eine angenehme und wirkungsstarke Erfahrung.

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       Die Wirkung des Räucherns

      Wenn die Duftmoleküle an den Nervenenden der Riechnerven (der einzige direkte Kontakt, den Neuronen mit der Außenwelt eingehen) andocken und vom Bulbus olfactorius als elektronische Nervenimpulse unmittelbar an das Limbische System weitergeleitet werden, dann erfolgt eine emotionale Reaktion, die wir in Form von Mögen oder Nicht-Mögen feststellen können. Manchmal sind wir auch nicht in der Lage, ein eindeutiges Urteil zu fällen. Wir schwanken in unserer Empfindung und entdecken einen langsam auftauchenden Reiz in einem Dufteindruck, den wir im ersten Moment eher abgelehnt haben. Es ist wie im wirklichen Leben.

      Das limbische System ist die Zentrale unserer Gefühlswelt. Dort werden alle Informationen gespeichert, welche die emotionale Konditionierung im Laufe unseres Lebens angesammelt hat. Zwischen Lust und Schmerz, Freude und Angst, Wut und Furcht, Unsicherheit und Vertrauen scheinen dort Licht und Dunkelheit zu herrschen, die uns mit Annahme oder Abwehr reagieren lassen. Es sind reflexhafte Strukturen entstanden,


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