Wenn der Partner geht. Doris Wolf
den Nächten, den Wochenenden und dem Alleinsein in der Wohnung. Die Veränderung der Finanzen, der Wohnung, möglicherweise die alleinige Erziehung der Kinder, die bürokratische Abwicklung der Scheidung erscheinen Ihnen als unüberwindbare Hürden. Verzweiflung und Ängste wechseln sich ab mit Wut- und Hassgefühlen. Wenn Ihr Partner in den Augenblicken, in denen Sie auf ihn zugehen und sich um ihn bemühen, nicht auf Sie eingeht, sind Sie wütend auf sich. „Wie kann ich nur so blöd sein, mich so zu erniedrigen!“ oder „Ich sollte es nicht nötig haben, ihn so zu brauchen!“, sind Ihre Gedanken. Sie verlieren in diesen Augenblicken die Achtung vor sich selbst. Aber gleichzeitig haben Sie auch Wut auf den Partner: „Der sollte mich nicht so abfahren lassen!“ oder „Was bildet der sich ein, mich so zu behandeln! Dem werde ich es zeigen. Ich kann genauso hart sein wie er!“, sind häufige Gedanken. Sie sinnen nach Möglichkeiten, sich zu rächen und es ihm heimzuzahlen. Gegen Ende dieser Phase beginnen Sie langsam, wieder Land zu sehen. Es folgt schließlich Phase III.
Phase III: Neuorientierung
Von gelegentlichen kurzen Rückschlägen abgesehen, beginnen Sie nun, Ihr Leben wieder aktiv in die Hand zu nehmen. Sie sehen, dass Ihr Leben weitergehen kann und Ihnen noch mehr Möglichkeiten als diese eine Partnerschaft offen stehen, um glücklich zu sein. Sie haben den Gedanken an eine Wiedervereinigung aufgegeben. Die Abneigung und Verbitterung gegenüber Ihrem Partner nehmen ab.
Sie beginnen, Kontakte zu anderen Menschen aufzunehmen. Zusammenhänge zwischen Ihrer Persönlichkeit und dem Scheitern der Partnerschaft werden Ihnen deutlich. Sie entwickeln ein neues Selbstwertgefühl und lernen, sich selbst Zuwendung und Anerkennung zu geben.
Phase IV: Neues Lebenskonzept
In dieser Phase Ihrer Entwicklung spüren Sie deutlich, die Trennung ist keine Strafe dafür, dass Sie versagt haben. Sie erkennen, dass sie die einzig mögliche Lösung für eine selbstzerstörerische Partnerschaft war. Durch Ihre Trennung haben Sie gelernt, mehr zu Ihren eigenen Stärken zu finden. Sie können sich jetzt frei entscheiden, ob Sie eine neue Partnerschaft eingehen wollen oder nicht. Ihnen ist bewusster, was Sie sich in einer neuen Partnerschaft wünschen. Sie entwickeln ein neues Konzept von Liebe und Partnerschaft. Sie haben noch eine andere Freiheit gewonnen: die Freiheit, Sie selbst zu sein. Aus Ihrer Vergangenheit haben Sie wichtige Schlussfolgerungen gezogen. Sie haben sich selbst besser kennengelernt und neue Fähigkeiten in sich entdeckt und entwickelt.
Sie werden sich bewusst darüber, welchen Einfluss Ihre vergangene Partnerschaft auf eine zukünftige haben kann. Sie lernen, wieder Vertrauen anderen Menschen gegenüber zuzulassen.
Muss jeder Mensch alle vier Phasen durchlaufen?
Die vier Phasen Ihrer Entwicklung sind vergleichbar mit einer Bergbesteigung. Sie beginnen im tiefsten dunklen Tal und steigen langsam zum hellen Gipfel auf. Sie können bis zum Gipfel gelangen, wenn Sie es nur möchten. Auf dem Weg zum Gipfel werden Sie ein manches Mal am liebsten umkehren oder dort verharren wollen.
Einige Menschen werden nicht die Stärke haben, diese vier Phasen zu durchlaufen. Einige kommen doch noch zu einer Aussöhnung mit dem Partner – nicht aus Liebe, sondern weil für beide Partner das Alleinsein zu schmerzhaft und angstauslösend war. Einige werden in Hass oder Depression steckenbleiben. Sie werden ihren Blick nur in die Vergangenheit lenken, den Verlust betrauern oder ihr Leben damit verbringen, dem Partner Rache zu schwören und ihn mit „Giftigkeiten“ zu bombardieren. Einige werden sich vor Erreichen der Phase IV in eine neue Partnerschaft flüchten. Einige werden sich zuvor das Leben nehmen.
All diese Menschen verpassen das wunderbare Gefühl, die Vergangenheit als wichtige Erfahrung abgeschlossen zu haben und sich frei entscheiden zu können.
Lassen Sie mich Ihnen versichern, es ist die Anstrengung wert, sich bis zum Gipfel hochzuarbeiten. Sie können an den Gipfel gelangen, es werden keine übermenschlichen Kräfte verlangt. Es ist kein Gipfel, der nur von Reinhold Messner erreichbar wäre.
Wie lange dauert der Weg bis zum Gipfel?
Im Durchschnitt dauert es ein Jahr, bis man zu Phase III kommt. 2–4 Jahre benötigen die meisten, bis sie ein neues Lebenskonzept entwickelt haben (Phase IV). Einige werden jedoch schneller, andere langsamer sein. Jeder Mensch hat sein eigenes individuelles Tempo, sich auf die neue Situation einzustellen und sich weiterzuentwickeln. Wie schnell Sie an den Gipfel gelangen, ist abhängig von Ihrer Lebensgeschichte und Ihren Einstellungen zu sich und dem Leben. Lassen Sie sich nicht von der Zeitangabe anderer erschüttern. Sie werden aus der Krise kommen und können bis Phase IV gelangen. Einige Menschen benötigen auch eine zweite gescheiterte Beziehung oder mehrmaliges Wiederversöhnen und Trennen vom Partner.
Versprechen Sie mir, sich nicht zu verurteilen, wenn Sie sich zunächst noch ein paar Mal im Tal verirrt haben. Ich weiß, dass es einfacher wäre, sich mit dem Partner wieder zu versöhnen oder gleich einen neuen Partner zu finden, bei dem Sie sicher wären, dass es Ihnen ewig gutgehen wird und Sie ihn nie verlieren werden. Aber das Leben funktioniert nicht so. Wenn Sie sich nicht bis Phase IV durcharbeiten, werden Sie immer wieder dieselben tragischen Erfahrungen machen wie bei dieser Trennung.
Noch ein Wort zur Abrundung Ihres Bildes: Auch Ihrem Partner sind die vier Phasen der Trennungserfahrung nicht erspart geblieben. Der Unterschied ist: Er hat während ihrer noch bestehenden Partnerschaft die einzelnen Phasen durchlaufen und ist nun bereits an dem Punkt, sich lösen zu können. Er hat einen zeitlichen Vorsprung.
Warum kommen manche Menschen gut über eine Trennung hinweg und andere zerbrechen fast daran?
Zunächst einmal müssen wir uns vor Augen führen, dass das äußere Auftreten und Verhalten eines Menschen täuschen kann. Viele Menschen, insbesondere Männer, halten es für eine Schwäche, verzweifelt zu sein und zu trauern. Sie bauen nach außen eine Fassade auf, betäuben sich mit Beruhigungstabletten oder Alkohol und brechen, wenn überhaupt, dann nur in aller Stille zuhause zusammen. Es gibt dennoch Unterschiede darin, wie stark Menschen unter einer Trennung leiden. Verschiedene Faktoren spielen dabei eine Rolle:
1. Die Beziehung zu dem Partner, der sich trennt
Welche Bedeutung hatte der Partner im Leben des Verlassenen? Gab es viele gemeinsame Aktivitäten? War er die einzige wichtige Bezugsperson? Bestand seitens des Verlassenen noch Vertrauen und Achtung dem Partner gegenüber?
2. Die Persönlichkeit des Verlassenen
Hatte er sein Leben rund um den Partner aufgebaut, sich nur durch die Partnerschaft und seine Zuneigung liebenswert und wichtig gefühlt? Hat er bisher nie alleine gelebt und sein Leben alleine in die Hand genommen gehabt? Hat er in seinem Lebensplan eine Trennung einkalkuliert und sich schon einmal innerlich damit befasst? Hat er schon einmal eine Trennung erlebt? Hat er das Vertrauen, den Verlust überwinden und sein Leben alleine leben zu können? Sieht er sich attraktiv genug, wieder einen Partner finden zu können?
3. Das Alter des Verlassenen
Vor allem für ältere Menschen, die nach langer Ehezeit verlassen werden, ist die Trennung schwer zu verkraften.
4. Das Geschlecht des Verlassenen
In vielen Untersuchungen wird deutlich, dass sich Männer sehr viel schwerer damit tun, ihr Leben ohne Partner zu arrangieren. Sie werden häufiger krank und lassen im Beruf stark in den Leistungen nach. Von der Gesellschaft wird immer noch erwartet, dass sie in der Öffentlichkeit nicht weinen und Gefühle zeigen. Männer reden mit anderen Männern selten über ihre Gefühle. Von der Umwelt bekommen sie nach einer Trennung meist mehr Unterstützung