Wenn der Partner geht. Doris Wolf
einen Verlust hinwegkommen. Es gibt Menschen, die 20 Jahre nach dem Tod des Partners noch genauso viel Schmerz verspüren wie an dessen Todestag. Es gibt aber auch Menschen, die schon nach vier Wochen ihren Schmerz so weit überwunden haben, dass sie sich gelegentlich wieder freuen können. Die Erklärung hierfür liegt nicht darin, dass der Partner verstorben ist. Sie liegt darin, wie stark der Zurückgebliebene ihn gebraucht hat und von ihm abhängig war. Nur, wenn dieser viele Erwartungen und die Einstellung hatte, ihn zu seinem Glück zu brauchen, kommt es zu einer sehr heftigen langandauernden Trauerreaktion oder einem Trennungsschock.
Unsere Gefühle entstehen immer als Folge unserer Gedanken, Wünsche oder Erwartungen. Dass wir überhaupt fühlen, ist unvermeidbar, solange wir leben. Menschen ohne Gefühle sind tot. Über die Art und das Ausmaß unserer Gefühle können wir jedoch bestimmen – und zwar bestimmt jeder einzelne von uns selbst über die Art und die Intensität seiner Gefühle. Ihr Partner kann Ihnen „keine Gefühle machen“, die Sie nicht wollen. Er kann in Ihnen nur die Gefühle auslösen, die Sie zulassen. Einzige Ausnahme davon sind körperliche Gefühle wie Schmerzen durch Schläge.
Ich weiß, dass Sie beim Lesen dieser Zeilen voller Unglauben oder gar Abwehr sind. Die Entscheidung darüber zu haben, wie man sich fühlt, – diese Aussage klingt zunächst vollkommen falsch und absurd. Sie glauben, gerade jetzt durch die Trennung am eigenen Körper erfahren zu haben, dass der andere Ihnen Schmerz zufügen kann. Sie erleben ja jetzt im Augenblick gerade, wie eine simple Entscheidung des Partners, sich von Ihnen zu trennen, Ihr gesamtes Seelenleben aus dem Gleichgewicht bringt. Aber es ist eine unerschütterliche Tatsache: Sie haben die Entscheidung darüber, wie Sie sich in Zukunft – ich betone: in Zukunft – fühlen wollen, auch wenn Ihr Partner niemals mehr zu Ihnen zurückkehrt.
Kehren wir nochmals zu dem Verlust eines geliebten Menschen durch den Tod zurück. Der verstorbene Mensch wird immer verstorben bleiben, aber das Ausmaß des Schmerzes kann sich verändern. Unmittelbar nach dem Verlust ist meist nicht vorstellbar, ohne den geliebten Menschen weiterzuleben. Aber mit der Zeit kann man sich mit dem Verlust abfinden, oder wie man sagt, „man kommt darüber hinweg“.
Das Darüber-Hinwegkommen ist nur möglich durch eine Veränderung der Gedanken. Die Zurückgebliebenen gewöhnen sich an den Gedanken, dass dieser Mensch tot ist. Sie beginnen, ihr Leben ohne ihn zu gestalten. Die Lücke, die dieser Mensch hinterlässt, wird immer bleiben, aber wie sie die Lücke bewerten, wird sich verändern. Die Zurückgebliebenen können bestimmen, ob sie in Zukunft immer auf die Lücke schauen wollen oder darauf, was es sonst noch an Möglichkeiten in ihrem Leben gibt.
Wir können das Abfinden mit einem Verlust bewusst beeinflussen und beschleunigen. Ihnen dabei zu helfen, sehe ich als meine Aufgabe in diesem Buch.
Warum Sie sich jetzt so fühlen müssen, wie Sie sich fühlen
Sie haben Ihre Partnerschaft wahrscheinlich begonnen mit dem Wunsch nach immerwährender Liebe, Wärme, Geborgenheit und Verständnis. Zu Beginn und während Ihrer Partnerschaft wurden Ihnen diese Wünsche mehr oder weniger erfüllt. Ihr Partner schenkte Ihnen seine Zuwendung und sein Interesse. Sie entwickelten Gewohnheiten, gemeinsam zu essen, zu diskutieren, fernzusehen, zu kuscheln, zu streiten, ins Kino zu gehen, zu verreisen usw. Daneben hatten Sie Pläne, was sie in der Zukunft alles zusammen unternehmen wollten. Sie wollten von Ihrer Seite aus die Partnerschaft beibehalten, weil Ihr Partner Ihre Bedürfnisse in ausreichendem Maße befriedigte. Vielleicht hofften Sie auch nur, er werde sich ändern und sie irgendwann befriedigen. Vielleicht erschien Ihnen die Situation in der Partnerschaft zwar nicht optimal, aber immerhin noch besser, als allein zu sein. Alles in allem gaben Sie dem Partner die Macht, Sie glücklich zu machen. Jetzt hat Ihr Partner beschlossen, sich zu trennen. Ihr Partner erfüllt Ihnen Ihre Bedürfnisse nicht mehr. Der Abschied von Ihren Zukunftsplänen und Hoffnungen kommt auf Sie zu. In all Ihren Vorstellungen vom Alltag und von der Zukunft klafft eine Lücke, die Sie so schnell nicht füllen können. Es gibt hunderte von Gewohnheiten, die Sie verändern müssen – angefangen davon, alleine ins Bett zu gehen, bis dazu, sich handwerklich im Haushalt zu betätigen. Im Augenblick wird Ihnen in den Situationen, die Sie mit dem Partner teilten, als erstes einfallen, dass der Partner das … und das … nie mehr mit Ihnen zusammen tun wird, und Sie werden sich traurig fühlen.
Akzeptieren Sie Ihre schmerzhaften Gefühle für den Augenblick, denn sie sind das Ergebnis all Ihrer Erwartungen, Wünsche und gemeinsamen Erfahrungen aus der Vergangenheit. Sie können sie jetzt nicht einfach abstellen oder vermeiden. Im Augenblick sind sie da. Für die Zukunft können Sie Ihre Gedanken und Gefühle verändern. Sie brauchen und werden sich nicht für alle Ewigkeit so mies fühlen wie jetzt. Ihre Gefühle zeigen Ihnen, dass Ihr Leben im Augenblick nicht so verläuft, wie Sie es möchten. Sie sind Ihr Helfer darin, die Zukunft, das Morgen anders zu gestalten.
Nachdem Sie in einem ersten Schritt lernen müssen, Ihre Gefühle zu akzeptieren, müssen Sie in einem zweiten Schritt Ihre Gedanken und Vorstellungen durch neue ersetzen. Dabei ist es wichtig zu wissen, was in unserem Innern abläuft, wenn wir alte eingefahrene Gedanken durch neue ersetzen.
Der Prozess des Umlernens
Wann immer Sie in Ihrem Leben bewusst eine Gewohnheit verändern, werden Sie die fünf Stufen des Umlernens durchlaufen müssen. Diese Stufen des Umlernens sind gewissermaßen Stolpersteine, denen Sie auf dem Weg zum Gipfel begegnen werden. Wenn Sie wissen, an welcher Stelle Sie liegen, werden Sie nicht davon überrascht sein und dadurch nicht zu Fall kommen. Die langsame Loslösung vom Partner geschieht, wie wir oben gesehen haben, über ein geistiges Abschiednehmen vom Partner. Die alten Gedanken laufen darauf hinaus, Ihren Alltag mit dem Partner zu planen. Da der Partner sich getrennt hat, müssen Sie diese Gedanken korrigieren und sich in Erinnerung rufen, dass er gegangen ist. Sie verändern Ihre Gedanken, indem Sie sich beispielsweise sagen, dass Sie bereit sind, zu akzeptieren, dass die Partnerschaft zu Ende ist. Dennoch werden Sie sich aber genauso verzweifelt fühlen wie zuvor. Gefühlsmäßig können Sie Ihre neuen Gedanken noch nicht akzeptieren. Sie haben den Eindruck: „Ich belüge mich.“, „Ich mache mir etwas vor.“, „Das ist künstlich.“, „Das ist unecht.“ Ihr Gefühl steht im Widerspruch zu Ihren Gedanken. Sie fühlen sich so, als ob es nicht stimmt, was Sie sich sagen. Sie können sich nicht „glauben“. Sie befinden sich im Prozess des Umlernens. Um den Widerspruch zwischen Ihrem Denken und Fühlen besser zu verstehen, möchte ich im Folgenden anhand eines Beispiels den Prozess des Umlernens erklären.
Ein Beispiel aus dem Alltag
Angenommen, Sie haben Ihren Kaffee bisher immer mit Zucker getrunken und wollen ihn ab heute schwarz trinken. Was wird wohl passieren, wenn Sie sich die erste Tasse Kaffee nach diesem Entschluss einschenken? Fast automatisch greifen Sie zum Zucker, und Sie müssen sich bewusst dazu entscheiden, keinen zu nehmen. Wenn Sie den ersten Schluck Kaffee trinken, wird Ihr Körper Ihnen sagen: „Mit dem Kaffee stimmt etwas nicht. Der schmeckt nicht ohne Zucker.“ Obwohl viele Menschen Kaffee lieber ohne als mit Zucker trinken, gibt Ihnen Ihr Körper das Signal, dass der Kaffee nur mit schmeckt. Ihr Körper wurde nicht mit der Eigenschaft geboren, nur Kaffee mit Zucker zu mögen, sondern Sie haben es ihm angewöhnt. Sie können es ihm auch wieder abgewöhnen, aber Sie brauchen dazu den festen Willen und Zeit. Sie müssen ihm jedes Mal, wenn Sie Kaffee trinken, zu verstehen geben, dass er den Kaffee nicht mit bekommt, indem Sie keinen Zucker nehmen. Sie müssen also gegen Ihr Gefühl handeln. Sie haben dabei den Eindruck, Ihren Körper zu betrügen, ihm etwas, was ihm zusteht und was er wirklich braucht, vorzuenthalten. Und Sie müssen ertragen, dass der Kaffee zunächst nicht besonders gut schmeckt. Mit zunehmender Übung wird ein Wunder geschehen. Ihr Körper wird Kaffee ohne mögen und den mit für zu süß halten.
Zugegeben, zwischen der Trauer, Kaffee ohne Zucker trinken zu müssen, und der Verzweiflung, ohne Partner leben zu müssen, ist ein himmelweiter Unterschied. Doch wir haben nur ein Gehirn und einen Körper, die bei jeglicher Veränderung gleichermaßen reagieren.
Jede Veränderung einer Gewohnheit, das heißt jedes Umlernen verläuft