LebensAder. Bernd Steckmeier

LebensAder - Bernd Steckmeier


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welches die Aufnahme von Nahrungsfett vom Darm ins Blut um 25 % blockiert. Außerdem konnte gezeigt werden, dass Orlistat den Blutdruck senkt. Die Einnahme sollte nur unter ärztlicher Kontrolle erfolgen.39

      Beobachtungen liegen kaum vor. Orlistat kann zu Fettstühlen, Unterbauchbeschwerden, Blähungen und Diarrhoen führen. Deshalb sind diese Pillen wenig attraktiv.

      Neue Hoffnung keimt auf. Forscher aus Singapur verabreichten Mäusen ein Pflaster mit einem Wirkstoff, der diese trotz reichhaltiger Nahrung in Form hielt. Die Tiere fraßen Kalorienbomben und wurden nicht dick. Im Gegenteil schrumpfte die Fettmasse sogar. Der Wirkstoff im Pflaster verwandelte weißes in braunes Fett. Letzteres fungiert wie ein Heizgewebe und verbrennt Kalorien. Fettzellen werden schon länger als Ansatzpunkt zur Entwicklung eines Medikaments zum Abnehmen erforscht. Wie Prof. Dr. Tobias Fromme vom Leerstuhl für Molekulare Ernährungsmedizin an der TU in München berichtet, klappt der Prozess der Umwandlung des inaktiven Fetts in braune Zellen bei kleinen Säugetieren schon ganz gut. Der Forscher fand auch heraus, dass die Menge an brauner Fettsubstanz beim Menschen dreimal so groß ist wie bisher angenommen. Diese Erkenntnis entfacht das Interesse der Pharmaindustrie zur Entwicklung von „Fettverbrennern“.

      Prof. Dr. Marcel Scheideler vom Helmholtz Zentrum München konnte im Experiment zeigen, wie sich menschliche weiße Fettzellen in die begehrte braune Substanz umwandeln lassen. Der Prozess wird begünstigt durch Adrenalin, Noradrenalin, Östrogene, Testosteron und Wachstumsfaktoren.

      Vielleicht gelingt es – so Scheideler weiter, Fettvorläuferzellen umzupolen und eine schonende Erzeugung brauner Fettzellen zu erzielen. Es gibt bereits eine körpereigene Wirksubstanz, die MicroRNA-26, für die in Europa und den USA ein Patent erteilt wurde. Pflaster mit diesem Wirkstoff könnten direkt auf die Problemzonen aufgeklebt werden, um das darunter liegende Fett zur Schmelze zu bringen. Doch ist es noch nicht so weit. Wir dürfen gespannt sein.40

      Über Jahre hielt sich die Mär, dass dickleibige Menschen im Vergleich zu Normalgewichtigen einen Überlebensvorteil hätten. Dies wurde auch noch durch wissenschaftliche Studien untermauert. Ein internationales Komitee von Forschern aus Asien, Australien, Neuseeland, Europa und Nordamerika wertete 240 Studien aus und kam zu einem völlig anderen Ergebnis. Der Haken in den bisherigen Veröffentlichungen war, dass auch dünne Raucher in die Vergleichsstudien einbezogen wurden. Raucher sind überwiegend dünner als Nichtraucher und erleiden meist schwere Erkrankungen mit starkem Gewichtsverlust am Lebensende. Werden solche Personen in Sterblichkeitsberechnungen eingeschlossen, werden diese zugunsten der Übergewichtigen verfälscht. Die „Schlanken“ kommen zu schlecht und die „Dicken“ zu gut weg. In den neuen Analysen wurden vier Millionen Probanden, die zeitlebens nie geraucht hatten und fünf Jahre nach Studienbeginn noch am Leben waren berücksichtigt. Im Verlauf von 14 Jahren waren etwa 10 % der Versuchsteilnehmer verstorben. Anders als in bisherigen Studien wiesen die korpulenten Probanden dabei die höchste und Normalgewichtige die geringste Sterblichkeit auf. Ausnahmen bestätigen die Regel.41

      Wir brauchen die tägliche Bewusstlosigkeit für unser Gehirn. Wir sollten lieber nicht drehen an der inneren Uhr. Das könnte schlimme Folgen haben. Der zirkadiane Rhythmus sollte nicht zu oft unterbrochen werden. Was spielt sich aber nachts in unserem Gehirn ab ? In der Dunkelheit, wenn wir träumen oder nicht, reinigt sich unser Gehirn von dem täglich anfallenden biochemischen Müll. Hätten wir diese Ruhephase nicht, in der wir wie bewusstlos daliegen, würde sich unser Gehirn vergiften. Entsorgt werden müssen Eiweißstoffe, die sich am Tag aus dem Gehirnstoffwechsel in unserem Oberstübchen angesammelt haben. Dazu gehört auch der Proteinbestandteil Beta-Amyloid, ein „Eiweißklumpen“, der zur Alzheimer-Erkrankung führt. Bei zu viel zellulärem Unrat wird die Kommunikation zwischen den Nervenzellen gestört. Die Schalter können nicht mehr umgelegt werde. Die Informationen können nicht mehr von einer Nervenzelle auf die andere übertragen werden. Das zerebrale Netzwerk bricht zusammen. Wir vergessen scheinbar Selbstverständliches und verlieren die Orientierung. Also, wie macht das Gehirn das ? Wie befreit es sich von dem Eiweißmüll ? Dazu muss man wissen, dass der Denkapparat über ein eigenes Müllentsorgungssystem verfügt, anders als der übrige Körper, der Giftstoffe über das Lymphsystem bis zur Leber, Niere und dem Darm leitet, wo sie umgebaut oder ausgeschieden werden. Das Gehirn entsorgt bis zu sieben Gramm biologischen Müll, der tagsüber anfällt. Dazu dient das sog. „glymphatische System“.

      Das glymphatische System ist eine Wortneubildung zusammengesetzt aus „Glia“, dem Hirngerüst, und dem lymphatischen System.

      Die Arterien ziehen in engen Kanälen („Virchow-Robin-Raum“) durch unser Gehirn. In diesem dreidimensionalen Raum, der die Gefäße umgibt, bewegt sich ständig ein Flüssigkeitsstrom. Dieser besteht aus Gehirnwasser („Liquor“), welches durch die Pulsationen der Arterien fortbewegt wird. Unser Gehirn muss schließlich vor Stößen geschützt werden. Schließlich brauchen wir diese Stoßdämpfer auch aus Schutz beim Boxen oder bei einem Kopfballtor. Dieser geheimnisvolle Raum um unsere Hirngefäße hat aber eine noch ganz andere wesentliche Funktion. Im Schlaf schrumpft unser Gehirn (schließlich müssen wir in dieser Zeit keine Mathematikaufgaben lösen) und der enge Raum um unsere Gefäße dehnt sich aus, damit mehr Flüssigkeit strömt und mehr Unrat abtransportiert werden kann. Der „Hohlkopf“ ist im Schlaf unverzichtbar. Geregelt wird die Größe dieses Raums von einem Hormon, dem Noradrenalin. Der Anteil des Raums um die Gefäße beträgt am Gesamtvolumen des Gehirns nachts 24 % und schrumpft auf 14 % im Wachzustand. So gelingt es, senile Plaques, die Beta-Amyloide (schädliche Eiweißstoffe), die sich bei Alzheimer in diese Zwischenräume drängen und dort ablagern, immer wieder zu entsorgen, bevor sie sich in der grauen Substanz dauerhaft ablagern. Dieser Entgiftungsprozess geschieht während des Schlafs doppelt so schnell als in Wachphasen. Leider schwindet die Transportkapazität dieses Abwasser-Kanalsystems im Alter. Eiweißschadstoffe bleiben zurück und nisten sich ein in unser Gehirn mit all den Folgen für unser Gedächtnis.42, 43, 44

      Ohne Schlaf würde unser Gehirn in kurzer Zeit vermüllen und überschwemmt werden mit krankhaften Stoffwechselprodukten. Denken gibt es eben nicht umsonst. Jeder Denkprozess benötigt Energie. Abfall sammelt sich an wie im Auspuff eines Verbrennungsmotors. Der Liquor („Gehirnflüssigkeit“) steht übrigens mit dem Lymphsystem („Körperwasser“) in Kontakt. Der Liquor fließt in die Lymphbahnen. Diese münden in die Venen. Die Venen leiten das Blut zum rechten Herz, von wo es über die Lunge mit Sauerstoff angereichert ins linke Herz gelangt. Von dort aus wird es als arterielles Blut – unsichtbar beladen mit dem Hirnmüll – in den Körper gepumpt wird und schließlich zu den Ausscheidungsorganen transportiert. Jeder Gang zur Toilette befreit uns also auch vom täglichen Restmüll, der unser Gehirn sonst vergiften würde. Man könnte auch sagen, jeder Toilettengang macht uns etwas klüger bzw. bewahrt uns vor dem Verblöden.

      Viele Menschen klagen über Probleme bei der Umstellung der Uhr um eine Stunde vor und zurück. Die Zeitumstellung wirkt sich bei manchen Erdenbürgern aus wie ein Mini-Jetlag. Der individuelle Biorhythmus des Menschen kann von der Gesellschaft nicht vorgegeben werden. Auch innerhalb Europas gehen die Uhren anders. Wenn die Sonne eine Stunde später oder früher aufgeht, verändert sich auch der Weckruf des Organismus. Unsere Netzhaut reagiert besonders empfindlich auf die Blautöne des Morgenlichtes. Diese Reaktion lässt sich nicht anpassen an die Sommer- oder Winterzeit. Hinzu kommt, dass nicht nur der Einfall und die Farbe des Lichtes, sondern ebenso Essgewohnheiten


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