LebensAder. Bernd Steckmeier
Lebensjahr schon erreicht haben, sind Sie schon 65 Jahre lang dem Tod von der Schippe gesprungen. Sie haben dann als Mann im Durchschnitt noch 18,2 Jahre und als Frau sage und schreibe noch 21,4 Jahre vor sich, bis Sie endgültig das Zeitliche segnen.
Prof. Dr. James Vaupel, US-amerikanischer Bevölkerungswissenschaftler und jetziger Direktor des Max-Planck-Instituts für demographische Forschung in Rostock berichtet, dass sich die Zahl der Menschen, die 100 oder 110 Jahre alt werden, weltweit alle sieben Jahre verdoppelt.
JAMES WALTEN VAUPEL, geb. 1945 in New York, Professor für Demographie, Epidemiologie und Gerontologie Arbeitsbereich Altern und Langlebigkeit, Universität Rostock; leitet seit 2013 das Max-Planck Odense Center zur Biodemographie des Alterns.
Eine absolute Obergrenze ist hier nicht in Sicht. Warum aber bleiben wir nicht ewig jung ? Ist das Alter therapierbar ? Eine Antwort darauf finden Sie später. Mit unserer jetzigen Lebenserwartung könnten Jung und Alt doch eigentlich zufrieden sein – oder etwa nicht ? Fragen Sie mal die 50-jährigen, auch „Best-“ oder „Silver-Ager“ genannt, wie alt sie werden möchten. Sie können sich die Antwort denken: Fast alle wollen dem Leben so viel gesunde Jahre abringen wie möglich. Einige schauen auch mit Sehnsucht in andere Länder und beneiden deren Bevölkerung wegen ihrer eisernen Gesundheit.
Im Alter von 187 Jahren zeugte Methusalem (hebräisch „Speerwerfer“; Altes Testament; Genesis 5,21–27) noch einen Sohn. Danach lebte er noch 782 Jahre.
Das in der Bibel berichtete Alter des Urvaters und Stammvaters der Menschheit erreicht natürlich keiner.
Schauen wir einmal auf die „blauen Zonen“, jene Regionen in der Welt, in denen besonders viele 100-Jährige leben („blau“ deshalb, weil die ersten Altersforscher diese Orte auf der Landkarte blau markiert haben). Der Ort Ogimi im Norden der japanischen Inselgruppe Okinawa gehört dazu. Er wird auch „das Dorf der Hundertjährigen“ genannt. Dort haben von 3.200 Einwohnern derzeit zwölf Menschen ein Alter von 100 Jahren oder mehr erreicht. In einer Stadt mit 1,5 Millionen Einwohnern wäre das in unseren Breiten eine Anzahl von 5.625 Hundertjährigen (aktuell bei uns „nur“ etwa 350). Da sind die jungen 90-Jährigen noch gar nicht dabei. Keine Angst. Es handelt sich in Okinawa nicht um Einwohner von Seniorenheimen. Diese „Alten“ stehen noch mitten im Leben.
Was trägt bei zum Älterwerden ? Sind es vor allem die Gene ? Gibt es so etwas wie ein einzelnes Methusalem-Gen ? Oder sind es eher der Lebensstil und die Umweltbedingungen, die uns alt oder jung aussehen lassen ? Gibt es vielleicht sogar einen Masterplan, um ein „biblisches Alter“ zu erreichen ? Wie heißt sie, die Methusalem-Formel ? Haben wir unser Schicksal selber in der Hand durch Optimierung unserer Lebensweise ? Oder ist es vergebliche Mühe, den Kampf aufzunehmen gegen frühe Gebrechlichkeit ? Fragen, die uns alle angehen.
Die Verpflanzung eines gesunden Kopfes von einem schwerkranken (unheilbarer Muskelschwund, Skelettverformung, Lähmung) Körper auf den gesunden Körper eines Hirntoten, der nur mit Maschinen am Leben erhalten wird, wie es der italienische Neurochirurg Sergio Canavero und sein chinesischer Kollege Ren Xiaoping von der medizinischen Universität der chinesischen Stadt Harbin vorhaben, wird in naher Zukunft sicher nicht die Lösung sein, Krankheit und Alter zu besiegen. Was ist das Leben überhaupt ? Ist die Persönlichkeit eines Menschen ausschließlich im Gehirn verankert ? Die Kopftransplantation beim Menschen – ein Vorhaben, welches sich ethisch nicht rechtfertigen ließe.
Im Tierversuch ist diese Operation bereits gelungen. Aufsehen erregte der russische Chirurg Wladimir Petrowitsch Demichow in den 1950er Jahren, der einen Hund mit zwei Köpfen erschuf, die sich beide bewegten, bellten und fraßen. Doch nach wenigen Tagen starb der Hund. Auch die Verpflanzung eines Affenkopfes auf den Körper eines anderen Affen durch den berühmten amerikanischen Neurochirurgen und Gründer des Komitees für Bioethik, Robert J. White (war streng katholisch, betete vor jedem Eingriff) in Cleveland, USA, misslang, da das Rückenmark nicht verbunden werden konnte. Der Affe konnte zwar immer noch sehen, hören, schmecken und essen. Das Tier starb aber nach neun Tagen an einer Immunreaktion. Der Kopf wurde abgestoßen. Zur Kopftransplantation am Menschen kam es nicht, obwohl man hoffte, dem Astrophysiker Stephen Hawking oder dem Schauspieler Christopher Reeve mit einer Kopftransplantation helfen zu können. Ein Horrorkabinett des chirurgisch Machbaren ?
Zurück zur Realität: Die Zahlen, wie starkes Rauchen, Stress, Übergewicht, ungesunde Ernährung, Bewegungsmangel und übermäßiger Alkoholgenuss unser Leben verkürzen, liegen auf dem Tisch. Wir müssen dazu nicht ein kümmerliches Dasein führen und einen ausgemergelten Körper in ein Sportstudio zwingen, der morgens nur Müsli kaut und abends auf dem Stepper oder Laufband Möhren und Nüsse knabbert.
Wie wir ein gesundes und dennoch erfülltes Leben führen können, erfahren Sie in vielen Kapiteln dieses Buches. Wege zum „modernen Methusalem“. Voraussetzung ist das Zusammenspiel von Herz, Hirn, Darm und Gefäßen. Kein Blut in alten Schläuchen ! Unsere Gefäße müssen möglichst lange jung und elastisch gehalten werden. Wenn die Schläuche (Gefäße) brüchig sind, zerreißen sie und der neue, sprudelnde Wein wird verschüttet. („Neuer Wein in alten Schläuchen“; Gleichnis im Evangelium nach Matthäus 9, 14–17 oder Lukas 5, 33–39)
Übrigens: Das schauderhafte Canavero-Kopfmonster, welches an Frankenstein erinnert, wäre vom fünften Halswirbel abwärts gelähmt, wenn es überhaupt aus der Narkose erwachte. Da kann man nur noch mit dem Kopf schütteln. Gibt es nicht vielleicht weniger grausame Methoden, die Architektur unseres Gehirnes und Beschaffenheit unseres Körpers lang und länger fit zu halten ?
Wir können aber die medizinische Entwicklung nicht aufhalten. In einer Hommage von Min Lang aus dem Jahre 2018, einem Neurochirurgen aus Cleveland, an Dr. Robert J. White, wird dessen Pionierleistung – der erste Kopfaustausch beim Affen – gewürdigt. Neueste Ergebnisse zur erfolgreichen Überbrückung des durchtrennten Rückenmarks mit Polyethylenglykol (PEG) sind vielversprechend. PEG bildet ein elektrisch aktives Netzwerk und stimuliert das Wachstum von Nervenzellen. Es wird in der Medizin vielfach eingesetzt.
Wird der Traum vom Homunkulus („künstlich erzeugter Mensch“) durch die Zuteilung von Gehirnregionen zu jungen Körpern („Kopfaustausch“) nicht doch irgendwann wahr ? Ein Methusalem der Superlative ? Wer weiß das schon …
Wer will es nicht besitzen – das Methusalem-Gen. Wissenschaftler haben das Gen der Hundertjährigen geknackt. Eigentlich handelt es sich um 150 Genvarianten, die ein hohes Alter versprechen. Gene für Fitness im Alter. Wer hat sie ? Wie können wir sie erwerben ? Nur durch Vererbung oder können wir selbst etwas dafür tun ? Und wenn ja, dann was ? Aber der Reihe nach:
Bei Langlebigen hat man genetische Varianten (mutierte, also veränderte Gene) im Cholesterinstoffwechsel gefunden, welche die Chancen erhöhen, hundert Jahre alt zu werden. Nicht nur das Ansammeln von möglichst vielen Lebensjahren, sondern auch geistige Frische bis ins hohe Alter. Schachweltmeister mit 110 Jahren. Das wäre doch ein Ziel. Keine Spur von Gebrechlichkeit oder Demenz. Ein selbstbestimmtes Leben zu führen bis zuletzt. Wer dieses besondere polygenetisches Muster (mehrere mutierte Gene) in sich trägt, darf hoffen, körperlich und geistig rege zu bleiben, weit über die durchschnittliche Lebenserwartung hinaus. Bei Hundertjährigen wird das Cholesterin in ungewöhnlich großen Transportfahrzeugen im Blut verteilt. Sie verfügen über eine große Menge an HDL-C. Darin ist mehr Cholesterin in großen Partikeln gebunden. Der Druck des strömenden Blutes wirkt wie ein Dehnungsreiz auf die Arterien und reißt Minispalten in deren Wand. Die großen HDL-Partikel haben größere „Reifen“ und rollen darüber hinweg. Im Gegensatz zu den kleinen LDL-Partikeln kann sich HDL nicht an der Wand der Gefäße ablagern und wirkt sogar der Verkalkung entgegen, indem sie die kleinen LDL-Teilchen von der Gefäßwand aufpicken und sie zur Weiterverarbeitung in der Leberfabrik abliefern (s. Kapitel 5: Schlechtes und gutes Cholesterin).
Was bewirkt nun das Gesamtpaket der Methusalem-Gene, welches