LebensAder. Bernd Steckmeier

LebensAder - Bernd Steckmeier


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die Kraft verleiht, jeden Tag morgens aufzustehen, einen neuen Tag zu beginnen und das Leben fortzusetzen. Auch wir können herausfinden, was uns wirklich wichtig ist und was uns mit Sinn erfüllt. Was soll von uns übrigbleiben, wenn wir nicht mehr da sind ? Darüber einmal nachzudenken, würde sich lohnen.

      Das Gute liegt manchmal doch so nah. Kennen Sie vielleicht das italienische Dörfchen Campodimele, 120 Kilometer südwestlich von Rom ? Dort ticken die Uhren anders. Nämlich viel langsamer. Die Menschen in Campodimele werden um 30 Jahre älter als der Durchschnitt in Italien. Die Alten im Dorf der Langlebigkeit ernähren sich von dem, was auf ihren Feldern wächst: Biokost in Reinform. Dabei dürfen frisches Gemüse und eine besondere Zwiebelart („Scalongo“, Schalotten), Olivenöl und selbstgebackenes Brot nicht fehlen.

      Lasst uns auch nach Limone fahren, in das nahe Dorf der Hundertjährigen am Gardasee ! Sie haben ein Eiweiß im Blut, welches die Adern wie eine Wunderwaffe von Fett und Kalk befreit.

      Oder vielleicht nach Ogliastra, in der italienischen Provinz Salerno, nach Acciaroli in Süditalien und nach Ollolai, einem kleinen Ort in Sizilien, um das Geheimrezept eines langen Lebens zu erforschen. Oder machen wir eine Reise auf die griechische Insel Icaria, zur Halbinsel Nicoya in Costa Rica oder nach Loma Linda in Kalifornien. Ihre Bewohner haben alle Eines gemeinsam: Viele werden 100 Jahre alt und älter. Sie ernähren sich einfach von den Produkten aus eigenem Anbau und bewegen sich viel. Manchmal ist auch ein Gläschen Rotwein dabei, Olivenöl und nicht immer Fisch.

      Auch die Bewohner der Insel Kitava, nördlich von Australien, machen sich nicht wirklich Gedanken über die richtige Diät. Sie ernähren sich traditionell von Süßkartoffeln, Yamswurzeln, Melonen, Kürbissen, Kokosnüssen, Ananas, Papayas oder Fisch. Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Herzinfarkt oder Schlaganfall sind auf der Insel unbekannt. Verarbeitete westliche Lebensmittel werden kaum konsumiert. Fertiggerichte sind verpönt. Das Essen ist ein Ritual. Man nimmt sich Zeit. Eine Eigenschaft und Kunst, die uns mehr und mehr abhandengekommen ist. Leider werden von uns vielfach der schnelle, fette Snack um die Ecke, salzhaltige Fertiggerichte oder zuckersüße Getränke, kalorienreich, aber nährstoffarm bevorzugt. Langsames und gründliches Kauen ist für viele Zeitverschwendung. Die Nahrung wird oftmals in großen Bissen heruntergeschlungen. Langsames Kauen (Mahl-Zeit) regt den Speichelfluss an, hastiges Verschlingen, Schlucken und Hinunterwürgen von Speisen dagegen nicht. Genüssliches Auskosten, Schmecken und „auf der Zunge zergehen lassen“ haben wir vielfach verlernt. Dabei sollten die Zeiten von „all you can eat“ doch eigentlich vorbei sein. Das „große Fressen“ wird aber immer noch praktiziert. Die Auswahl an Lebensmitteln in unseren Breiten ist so groß wie nie. Allzu häufig geben wir den Verlockungen des Überangebots nach. Nahrung ist überall und jederzeit erhältlich.

      Trotz mancher Fehler in unserer Lebensführung werden wir dennoch viel älter als unsere Vorfahren, könnten aber gesund noch viel älter werden.

      Mit 70 Jahren haben wir eine bis zu 50%ige Chance, 90 Jahre alt zu werden. Um diese Möglichkeit zu nutzen, müssen wir allerdings ab sofort dem Alterungssextett Rauchen, übermäßigem Alkoholgenuss, Bluthochdruck, Übergewicht, Stress und Bewegungsmangel den Kampf ansagen.

      Und diese Empfehlungen gelten auch für die Jungen. Sie wissen ja: die Verkalkung ist ein schleichender Prozess, der früh beginnt. „Wehret den Anfängen !“ (Der Spruch geht auf Ovid, 43 v. Chr.–17 n. Chr., zurück, antiker römischer Dichter: „Principiis obsta“, d. h.: „Tritt den Anfängen gegenüber.“)

      Gene sind nicht allmächtig und unser Erbgut ist nicht unser alleiniges Schicksal. Lange hat man geglaubt, dass alles durch Gene bestimmt wird, Krankheit, langes Leben oder früher Tod. Nihilismus („Sinnlosigkeit“) machte sich breit. Alles ist vorbestimmt. Daran ändern kann ich ja doch nichts.

      Dabei geben die Gene letztlich „nur“ den Bauplan vor für Eiweißstoffe (Proteine), aus denen unsere Körperstoffe und -strukturen, z. B. Hormone, entstehen. Wie diese Strukturen und ob sie überhaupt gebaut werden, entscheiden wir zum großen Teil selbst. Gene sind steuerbar. Klappe ich den Bauplan auf und setze ich ihn um oder nicht, aktiviere und optimiere ich die Erbanlagen oder nicht, das ist hier die Frage.

      Der Schalter für das Anknipsen der Gene ist unser LebensStil, unsere Ernährung, Schlafqualität, Bewegung, Stressvermeidung, soziale Aktivitäten, Arbeitsbedingungen, Einkommen und Erziehung. Man nennt den umweltbedingten Einfluss auf unsere Gene „Epigenetik“ („epi“, griechisch, „dazu“ zur Genetik). Unsere Gene können wir also durch unser Verhalten biochemisch verändern und somit steuern.

      EPIGENETIK: Unser Erbgut, die DNA kann durch Umwelteinflüsse verändert werden; dabei lagern sich Methylgruppen – CH3- an die DNA an.

      Wir selbst sind also zum großen Teil der Herr über unserer Gene und können sie verändern durch unsere Art zu leben und sogar Teile von ihnen ein- und ausknipsen wie einen Lichtschalter. Beim Ausdauersport zum Beispiel verändern zwanzig Prozent unserer Gene ihre Aktivität. Der Kohlenhydratstoffwechsel wird optimiert, Muskelfasern werden aufgebaut und der Kalorienverbrauch angeheizt. Dazu später mehr.

      Aber wir können die maximale Anzahl an Lebensjahren nur erreichen und möglichst lange gesund erleben, wenn wir versuchen die Risikofaktoren, die uns frühzeitig krank und invalide werden lassen, vermeiden oder wenigstens minimieren. Es kommt also darauf an, die gesunde Lebensspanne innerhalb unserer gegebenen Lebenszeit bei guter Lebensqualität im Alter zu verlängern.

      Manche unter uns können sich trotz Aufklärung und Warnung über die Risiken nicht von lieb gewonnenen, aber ungesunden Gewohnheiten trennen. Sie vertrauen auf die Fortschritte der Medizin und sind enttäuscht und verzweifelt, wenn es nicht klappt, und sie trotz aller Medikamente leiden müssen. Einige sind verwundert, dass bei ihnen schon in jungen Jahren Gefäßablagerungen gefunden werden. Nicht wenige hadern mit ihrem Schicksal, wenn sie schon der Schlag getroffen hat. Wenn sie herausgerissen wurden aus dem Leben. Wenn sie erkennen, dass nichts mehr so ist und sein wird, wie es war. Aber auch dann sollte es auch noch nicht zu spät sein für ein lebenswertes Leben. Programme zur angepassten Bewegung, Umstellung der Ernährung, Hilfe aus der Natur oder Medikamente sind optimale Begleiter zur Überwindung der Behinderung. Natürlich ist nicht jeder Schuld an seiner Krankheit. Der Schlaganfall durch ein geplatztes Aneurysma im Gehirn, ein plötzlicher Herztod oder Krebs schon in jungen Jahren sind Beispiele für ein trauriges, unbeeinflussbares Schicksal.

      Viele von uns rennen aber blindlings in ihr Unglück. Rennen ist vielleicht der falsche Ausdruck, denn ein Großteil leidet unter Bewegungsmangel, der „sitzenden Krankheit“. „Sitting disease“ ist das neue Rauchen. Wer viel sitzt, stirbt früher. Der Körper muss bewegt werden wie ein Auto. Wenn er stillsteht, dann verrostet er. Der schlimmste Gau ist der Motorschaden in unserer Brust und die Verkalkung unserer Gefäße. Leiden, die frühzeitig ihren Anfang nehmen und die wir nicht immer vermeiden, aber immer hinausschieben können.

      Kann man Weisheit mit dem Löffel essen ? „Brainfood“ aus der Dose, eingehüllt in einer Kapsel, zum Schlucken bereit ? Fast jeder weiß, dass man Weisheit nicht konsumieren kann, obwohl es mancher nötig hätte. Dennoch kann man ohne ausgeglichene Ernährung nicht weise werden. Mangelerscheinungen und Nahrungsdefizite führen nicht zur Erleuchtung. Allein unser Gehirn benötigt fast ein Fünftel des täglichen Energiebedarfs. Ohne Hirn gibt es keine vernünftige Erkenntnis. Wir können uns aber mit den besten Nahrungsergänzungsmitteln (und Diäten) nicht schlauer essen. Es gehört offensichtlich mehr dazu, als nur unser Gehirn anzutreiben. Was also, bitteschön, ist er, der Schlüssel zur Weisheit ? Ist es nur das Alter, die Erfahrung, strategisches Denken, Gelassenheit in prekären Situationen, Überwindung persönlichen Versagens oder die Bewältigung von Schicksalsschlägen ? Wahrscheinlich ist es ein komplexes System von Eigenschaften. Strategie und Schielen auf den kurzfristigen Vorteil kann geschult werden, Weisheit aber kann man nicht lernen.


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