Butler Parker Jubiläumsbox 4 – Kriminalroman. Günter Dönges
»Na schön, von mir aus. Also hinein in die Höhle des Löwen! Ich sage Ihnen aber schon jetzt, daß es Schwierigkeiten geben wird. Ich wittere sie förmlich.«
»Ich gestehe, Sir, ich ebenfalls!«
»Und Sie wollen trotzdem …?«
»Nur aus Gründen der Information, Sir … Weit ist es zudem nicht mehr. Dieser Bachlauf führt, wenn ich mich recht erinnere, dicht am Haus des früheren Heilpraktikers vorbei!«
Rander und Parker stiefelten am Ufer des Bachlaufes entlang, bis tatsächlich einige der zahlreichen Türmchen und Giebel der Alptraumvilla zu sehen waren.
Das Haus machte auch jetzt einen total verlassenen Eindruck. Ja, es wirkte gerade jetzt abstoßend und gefährlich. Mike Rander blieb unwillkürlich stehen, als Parker wie selbstverständlich weitergehen wollte.
»Haben Sie sich auch genau überlegt, auf was wir uns unter Umständen einlassen?« fragte der Anwalt.
»Selbstverständlich, Sir! Wenn Sie darauf bestehen, gehe ich allein.«
»Lassen Sie doch diese Mätzchen«, meinte Rander verdrossen. »Mit Psychologie brauchen Sie mir nicht zu kommen. Ich komme mit. Ich hatte es ohnehin vor!«
»Ich bitte um Entschuldigung, falls ich Sie verletzt haben sollte, Sir.« Parker deutete eine seiner knappen Verbeugungen an, legte den Bambusgriff des Universal-Regenschirms über den linken Unterarm, kontrollierte den Sitz seiner schwarzen, steifen Melone und ging auf das Haus zu.
Knapp zehn Minuten später wußten sie mehr.
Sie wußten vor allen Dingen, daß ein gewisser Mr. John Digetti nicht mehr im Haus war.
Deutliche Anzeichen sprachen dafür, daß er es Hals über Kopf verlassen haben mußte.
*
»Ich glaube, Sir, wir bekommen Besuch, falls, er nicht Mr. Digetti gilt«, sagte Parker, als Rander und er das scheußliche Haus verlassen wollten.
Parker deutete auf den eleganten Stationswagen, der durch die Einfahrt rollte und kurz darauf vor dem Eingang anhielt. Rander und Parker – sie standen am Fenster neben dem Eingang – beobachteten die Gestalt, die schnell und geschmeidig aus dem Wagen stieg.
»Donnerwetter«, murmelte Mike Rander anerkennend. »Solch einen Besuch möchte ich auch einmal haben!«
»Ich kann Ihre Gefühlsaufwallung durchaus verstehen«, erwiderte der Butler und hatte in diesem Fall nichts dagegen, daß ein andeutungsweises Schmunzeln über sein Gesicht glitt.
Seinen interessierten Augen bot sich ein wahrhaft schönes Bild. Es handelte sich um eine junge Dame, die höchstens fünfundzwanzig Jahre alt sein mochte. Sie war mittelgroß, schlank und hatte nußbraunes Haar. Ihr Gesicht war nicht im landläufigen Sinne schön zu nennen. Es war allein durch den Schnitt und die hohen, hervorstehenden Backenknochen apart und interessant. Eines war ganz sicher, diese Frau hatte Format.
Sie trug lange Hosen, die an den Knöcheln weit fielen. Dazu einen saloppen, weiten Pullover, der die Linien ihres Körpers unterstrich.
Mit schnellen Schritten kam sie über die Treppe hinauf zur Tür, stutzte, als sie sie nur angelehnt fand und trat dann zögernd ein. Sie konnte Rander und Parker nicht erkennen. Sie standen in einer Art Nische und machten sich noch nicht bemerkbar.
»John …? John …? Wo stecken Sie?« Ihre Stimme klang angenehm dunkel. Mike Rander fühlte sich sympathisch berührt. Josuah Parker, der seinen jungen Herrn kurz beobachtete, erlaubte sich ein zweites Schmunzeln.
Die junge Dame trat tiefer in die düstere Halle hinein, blieb irgendwie scheu stehen und rief ein zweites Mal.
»Erschrecken Sie bitte nicht, Madam«, machte Parker sich bemerkbar. »Ich fürchte, Sie werden noch einige Zeit auf Mr. Digetti warten müssen.«
Die junge Dame war gut trainiert, und ihre Nerven befanden sich in bester Verfassung. Obwohl sie doch überraschend angeredet worden war, erschrak sie nicht. Sie drehte sich langsam, fast zu langsam zu Parker um, stutzte, als sie seine rabenschwarze Kleidung und Erscheinung sah und lächelte dann irgendwie amüsiert.
»Parker mein Name, Josuah Parker«, stellte der Butler sich vor. »Ich habe die Ehre und tatsächlich auch das Vergnügen, der Butler von Mr. Mike Rander zu sein, den Sie hier sehen!«
»Hallo?« Mike Rander gab sich leger, als er aus der Nische hervortrat. Er nickte der jungen Dame kameradschaftlich zu. »Waren Sie mit Mr. Digetti verabredet?«
»Ginge Sie das etwas an?« fragte die junge Dame zurück. »Eine Gegenfrage! Was tun Sie eigentlich hier? Ich habe Sie hier noch nie gesehen.«
»Durchaus verständlich wenn man bedenkt, daß mein Herr und ich heute auch zum ersten Mal hier sind!«
»Dann … dann komme ich später noch einmal wieder«, sagte sie. Sie wandte sich ab und wollte gehen.
»Können Sie sich vorstellen, daß Mr. Digetti gegen seinen erklärten Willen das Haus verlassen hat?« fragte Parker.
»Worauf wollen Sie hinaus?« Die junge Dame funkelte den Butler an.
»Ich hege die Befürchtung, Madam, daß Mr. Digetti entführt worden ist. Wenn er es nicht vorgezogen hat, auf eigenen Wunsch zu gehen.«
»Ausgeschlossen. Wer sollte ihn entführen? »
»Er könnte Feinde haben.«
»Aber nicht John! Ich sehe, Sie wissen mit mir nichts anzufangen. Ich heiße Jill Harpers und bin so eine Art Sekretärin von Mr. Digetti.«
»Sie wohnen hier in der Nähe?« fragte Parker erstaunlich knapp weiter.
»Auf der nächsten Farm«, gab sie zur Antwort. »Ich habe sie mir als Atelier umgebaut. Ich schreibe und zeichne … Kinderbücher!«
»Ein Beruf, von dem ich immer geträumt habe«, behauptete der Butler ungeniert. »Wie schön, für die lieben Kleinen zu arbeiten, welch eine innere Befriedigung muß Ihnen dieser Beruf verschaffen!«
»Es geht«, sagte sie kurz angebunden. »Werden Sie hier auf Mr. Digetti warten?«
»Lohnt sich das?« schaltete Mike Rander sich ein. »Könnte er nicht zu Ihnen gefahren sein?«
»Er verläßt niemals das Haus«, erwiderte sie. »Er hat dafür seine Gründe, die ich kenne und achte …!«
»Ich weiß, seit seiner Haftentlassung ist er sehr menschenscheu geworden. Ich habe ihn damals als Anwalt vertreten.«
»Ach, Sie?« Sie sah Rander bedeutend freundlicher an. »Er hat mir von Ihnen erzählt. Er sagt immer, ohne Ihre Verteidigung hätte er wenigstens zehn Jahre bekommen.«
»Wenn er also niemals das Haus verläßt, so müßte er noch hier sein. Da er es aber nicht ist, muß er das Haus verlassen haben, Madam. Entschuldigen Sie diese Art der Beweisführung. Können Sie sich wirklich nicht vorstellen, wo Mr. Digetti sich im Augenblick aufhalten könnte?«
»Höchstens unten am Bootssteg!«
»Würden Sie uns freundlicherweise dorthin begleiten?« fragte Mike Rander.
»Warum nicht? Kommen Sie! Der Weg durch den Garten ist ohnehin schwierig. Ein Dschungel ist noch aufgeräumt dagegen!«
Rander und Parker folgten der jungen Dame, die sich auf diesem Grundstück recht gut auskannte. Sie folgten ihr bis an den Bootssteg, doch dann wurde der kleine Ausflug jäh beendet.
Dieses jähe Ende, diese Unterbrechung hing mit einigen Männern zusammen, die Maschinenpistolen trugen, deren Mündungen auf Rander und Parker gerichtet waren.
Der Anwalt und sein Butler fühlten sich ohne jede zusätzliche Aufforderung veranlaßt, schleunigst die Arme in die Luft zu strecken. Ihnen fiel nämlich auf, daß die Waffenträger wiederum jene seltsame, heitere Fröhlichkeit an den Tag legten, die sie schon draußen an der verkommenen Farm hatten beobachten können …