Frühling auf Huntington Castle. Imelda Arran

Frühling auf Huntington Castle - Imelda Arran


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mich nützlich machen, denn mein Vater hat mir viel beigebracht, was Verwaltung angeht.“

      „Ja, einen tüchtigen Verwalter könnten wir in der Tat gebrauchen. Ich schlage vor, Sie erholen sich heute noch von den Strapazen Ihrer Reise, und ich werde morgen mit Ihnen über unsere Besitzungen reiten, um Ihnen alles zu zeigen. Sind Sie einverstanden ... Jean Pierre?“

      „Sehr gerne, Mylord.“

      Xavier war fest entschlossen, seine Rolle als Jean Pierre vollendet zu spielen. Er musste das Vertrauen der beiden Herrschaften gewinnen; also gab er sich ihnen gegenüber eher bescheiden. Wenn er sich als Verwalter bewährte, vielleicht sogar unentbehrlich machte, dann würde der Earl aufhören, ihn so streng zu mustern. Gleichzeitig war ihm klar, dass er nichts übertreiben durfte. Er musste nach wie vor genau beobachten, imitieren, dabei auf keinen Fall als ein Beobachtender erkennbar sein, sondern mit dem Selbstbewusstsein der herrschenden Klasse auftreten.

      Am nächsten Morgen stand er mit blanken Reitstiefeln, einem eleganten Rock, zu dem der Zylinder hervorragend passte und einem dezenten Halstuch, das ihm Lady Dorothy zugesteckt hatte, vor den Stallungen und wartete auf den Earl. Der Stallmeister wollte ein Gespräch mit ihm beginnen, doch er wandte sich mit emporgezogenen Augenbrauen ab.

      Dies bemerkte der Earl, der soeben mit federnden Schritten ankam.

      „Michael, ich hoffe, Sie haben uns zwei Pferde gesattelt, wie ich Sie gebeten hatte?“

      „Sicher, Mylord. Für Euch wie immer Belle, und für Euren Neffen habe ich Thunder gesattelt, wie befohlen.“

      „Ich danke Ihnen, Michael.“ Ein Stallbursche führte zwei prächtige Pferde in den Hof. Xavier schluckte beim Anblick des Pferdes, das er nun reiten sollte.Thunder war ein riesiger Schimmel, eines Earls würdig. Der Earl saß trotz seines Alters mit Schwung auf; Xavier folgte seinem Beispiel.

      „Geht es Ihrer Frau denn besser, Michael?“ erkundigte sich der Earl, während er sich im Sattel zurechtrückte.

      Michaels Augen leuchteten, als er zu seinem Herrn aufschaute. „Ja, Mylord. Der Arzt, den Ihr geschickt habt, hat ihr eine gute Medizin gegeben. Schon am Tag danach ging es ihr besser und heute früh konnte sie schon wieder aufstehen. Ich danke Euch vielmals, Mylord, und soll Euch natürlich auch besten Dank und herzlichste Grüße von meiner Frau ausrichten.“

      „Das freut mich sehr Michael. Grüßen Sie Ihre Frau und die Kinder.“

      Auch Xavier wollte dem Stallmeister nun freundlich zunicken, aber nun war es an diesem, eine Augenbraue zu heben, wenn auch nur kurz. Xavier richtete sich im Sattel auf und folgte dem Earl hinaus in die Allee, durch die er am Abend zuvor geritten war. Der Stallbursche mochte ihn nicht, das spürte er - aber wer war schon dieser Stallbursche. Mit ihm würde er nichts zu schaffen haben, und wenn, würde er ihm lediglich Befehle erteilen.

      Xavier fühlte sich ganz und gar als Jean Pierre. Seine Brust weitete sich bei dem Gedanken, dass alles, was er hier sah - dieses Land so weit das Auge reichte, der Wald, der See, das Schloss - einfach alles, eines Tages ihm gehören würde. Eine Landschaft in Frankreich konnte kaum lieblicher sein als dieses Stück Erde, mit seinen sanften Hügeln, vorzüglichem Weideland, Wäldern voller Hirsche, die nur darauf warteten, geschossen zu werden. In den kleinen Flüssen tummelten sich sicher unzählige Fische. Es kostete Xavier einige Mühe, nicht danach zu fragen, wie viel Korn man in diesem Jahr auf den Feldern geerntet hatte. Dieses Land warf sicher mehr als zehntausend Pfund jährlich ab, so schätzte er.

      In den folgenden Tagen nahm er am Leben des Earls teil - als dessen Neffe und Nachfolger, wie er sich selbst schon sah. Gemeinsam ritten sie durch die Huntington’schen Besitzungen - was ganze Tage in Anspruch nahm - um sich von den Verwaltern Bericht erstatten zu lassen. Alles war in bester Ordnung. Das Wetter war warm und sonnig, wie geschaffen für eine üppige Apfelernte, überall waren die Bauern mit ihren Wagen unterwegs und grüßten die beiden hohen Herren ehrerbietig.

      „Ihr seid sehr gütig zu Euren Untergebenen“, sagte Xavier, als sie ein Stück weit geritten waren.

      „Ja, das bin ich. Das ist so Tradition in unserer Familie. Hat meine Schwester Ihnen das nicht beigebracht, Jean Pierre?“

      Xavier schluckte ein bitteres Lachen hinunter. „Natürlich. Mein Vater hat mir auch immer eingeschärft, die Untergebenen gut zu behandeln. Schließlich kann man ruhiger schlafen, wenn man loyale Diener um sich hat.Aber wie Ihr seht, hat es uns nichts genützt. Unsere eigene Dienerschaft hat sich gegen uns erhoben. Niemals hätte ich das für möglich gehalten. Ich hoffe nur, dass dies in England nicht passieren wird.“

      „Das hoffe ich auch. Seien Sie versichert, dass wir unsere Privilegien mit Argusaugen bewachen und nicht dulden, dass sich ein Unwürdiger einschleicht.“

      Xavier schwieg und blickte geradeaus, wo die Brücke in Sicht kam, von der er Madeleine in den Tod gestoßen hatte. Auf der Brücke hielten sie an. Flussabwärts war in Sichtweite eine Furt, wo gerade ein Schäfer seine Schafe tränkte und hindurchführte.

      „Ein schöner Anblick, nicht wahr?“ sagte der Earl. Das Blöken der Schafe schallte durch den klaren Morgen, das Wasser spritzte hoch auf, als die Hunde die Herde weitertrieben. Wie eine Welle aus wolligen Leibern wogte die Herde durch den Fluss und setzte ihren Weg am anderen Ufer fort. Das Wasser, das sich die Tiere aus dem Fell schüttelten, funkelte in der Sonne. Nun kam der dazugehörige Schäfer über die Brücke, wobei er die beiden Herren mit einer tiefen Verbeugung grüßte.

      „Guten Morgen, Giles! Wie viele Lämmer hat die Herde?“

      „Guten Morgen, Mylord. Drei Dutzend Lämmer haben wir in diesem Jahr. Alle sind durchgekommen. Hab nicht ein einziges verloren.“ Der Schäfer lachte stolz. „Einen schönen Tag wünsche ich den Herren! Mylord!“ Mit einer weiteren Verbeugung verabschiedete er sich.

      „Dieser Fluss hat besonders gute Forellen. Die Fischer bringen sie frisch geräuchert zu mir. Sie verstehen ihr Handwerk; die Fische sind köstlich. - Jean Pierre, ist Ihnen nicht wohl?“

      „Doch, doch, Mylord“, stammelte Xavier, den beim Anblick der Furt eisige Angst gepackt hatte. „Ich wunderte mich nur gerade, wieso in der Nähe dieser Furt eine Brücke gebaut wurde.“

      „Damit meine Schäfer keine nassen Füße kriegen, wenn die Herde durch die Furt muss. - Nein, ohne Scherz! Die Furt ist im späten Herbst und Winter nicht gangbar. Wenn es stark regnet, wird dieser kleine Fluss zu einem reißenden Ungetüm. Deshalb habe ich hier die Brücke bauen lassen.“

      „Eure Umsicht ist beeindruckend, Mylord. Ich sehe, ich muss mein Allerbestes geben, wenn ich Euch noch unterstützen will, da alles schon so wohl durchdacht und geordnet ist.“

      „Ach, Jean Pierre, zu tun gibt es immer viel. Für heute soll es genug sein; lassen Sie uns nach Hause reiten.“

      Xavier blickte noch einmal zum Fluss zurück, wo eben noch die Schafe durch die Furt gegangen waren. Das Wasser hatte ihnen kaum bis zu den Bäuchen gereicht. Seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen, als er angestrengt die Landschaft absuchte, als könne Madeleine hinter jedem Busch hervortreten. In der Nacht, als er Madeleine getötet hatte, war von der Furt nichts zu sehen gewesen. Hatte sich ihre Leiche dort irgendwo im Geäst verfangen?Was, wenn sein Schuss Madeleine verfehlt hatte?Wenn die Kugel sie nur gestreift hatte, könnte die Furt sie gerettet haben. Aber er hatte sie doch untergehen sehen! Dennoch musste er sichergehen, dass sie tot war.

      Jenseits des Flusses, ein Stück die Straße hinunter, sah Xavier eine Ansammlung von Häusern und Gehöften; sogar ein trutziger Kirchturm, wie sie für England typisch sind, ragte zwischen den meist strohgedeckten Häusern auf.

      „Wie heißt der kleine Ort dort drüben? Er sieht sehr idyllisch aus.“

      „Das ist Clifford. Ein hübscher Ort, da haben Sie recht. Wenn Sie wollen, können wir einen kleinen Umweg machen.“

      Etwas zu schnell erwiderte Xavier: „Nicht nötig. Ich habe ihn auf meinem Weg zu Euch bereits durchquert. Wir kommen sicher noch öfter hier her und werden dann mehr Zeit haben,


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