Frühling auf Huntington Castle. Imelda Arran

Frühling auf Huntington Castle - Imelda Arran


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was mit Mädchen passiert, die ohne Aufsicht und ohne Schutz auf der Landstraße unterwegs sind. Wenn Ihr Euch rührt, wenn Ihr auch nur einen einzigen Ton von Euch gebt, werde ich Euch alleine lassen. Denkt daran: Ich habe das Geld, die Briefe als Beweis für meine Identität. Ihr habt nichts und Ihr seid nichts ohne mich! Wenn ich Euch verlasse, wird Euch eher früher als später genau das Gleiche passieren.“ Dann ging er zurück zu dem Mädchen, das vor seinem Bett stand. Madeleine sah, dass sie ihn mit einem erwartungsvollen Lächeln anschaute. Offenbar war sie glücklich, dass ein so feiner Herr sich um sie kümmerte. Doch Xavier schlug ihr ohne Vorwarnung so hart ins Gesicht, dass sie rückwärts aufs Bett fiel. Madeleine erstickte ihren Schrei mit beiden Händen. Und was sie dann im Schein der Lampe sah und hörte, war so grauenhaft, so erniedrigend, dass sie wünschte, nie wieder Frauenkleider tragen zu müssen.

      In den nächsten Tagen war Madeleine starr vor Schreck und konnte Xavier nicht anschauen, ohne wieder daran zu denken, wie er das Mädchen gequält hatte. Bleiernes Schweigen herrschte zwischen ihnen. Madeleine hatte nicht mehr das Bedürfnis auch nur ein einziges Wort mit Xavier zu sprechen. Waren alle Männer so? Taten alle Männer mit Frauen so fürchterliche Dinge, wenn sie ihnen ausgeliefert waren? Der einzige Schutz, den sie gegen Xavier besaß, war ihre Herkunft und die Tatsache, dass es auch hier in England Gesetze gab, die Adlige schützten. - Aber wer sollte ihr glauben, dass sie eine Adlige war? Willig ließ sie sich von Xavier erneut das Haar scheren, um als Bursche so glaubhaft wie möglich zu sein. Sie betete, dass sie bald in Huntington wären, damit dieser Albtraum bald ein Ende fand.

      Als sie nur noch zwei Tagesreisen von Huntington entfernt waren, geschah etwas, das sie beide in hellen Aufruhr versetzte: Ein Fahrgast stieg zu und fuhr Madeleine an: „He, du Mädchen! Rück gefälligst zur Seite!“

      Zitternd vor Angst machte Madeleine eilig Platz für den groben Kerl, indem sie sich ganz in die Ecke der Kutsche drückte. Sie hatte keineswegs das Bedürfnis, diesen Menschen auch nur mit der Fingerspitze zu berühren. Auf die Idee, der Mann könnte das Wort Mädchen als Schimpfwort benutzt haben, kam sie nicht. Als sie bei der nächsten Rast die Kutsche verließen, nahm Xavier sie beiseite.

      „Der Mann hat erkannt, dass du ein Mädchen bist.“

      Madeleine nickte stumm und schluckte tapfer ihre Tränen hinunter.

      „Wir werden nicht in der Kutsche weiterfahren, sondern ich werde uns ein Pferd besorgen.“ Madeleine war einverstanden. Ihr war alles recht, wenn sie nur bald zu ihrem Onkel kam.

      Die Nacht verbrachten sie wieder in einem Zimmer, das zwei Betten hatte. Madeleine fürchtete schon, Xavier würde wieder ein Mädchen mitbringen, aber offensichtlich war er überzeugt, dass es keiner weiteren Lektion bedurfte.Trotzdem tat sie kaum ein Auge zu.

      Xavier war wirklich über alle Maßen freundlich. Ein Herr, wie ihn sich ein Bursche nur wünschen konnte, dachte sie. Er ließ Frühstück aufs Zimmer bringen, und gemeinsam taten sie sich gütlich an so teuren Köstlichkeiten wie Kuchen und Tee.

      „Lasst uns den Tag noch hier verbringen, Mademoiselle. Ihr könnt Euch heute noch etwas ausruhen, während ich ein Pferd auftreibe. Für zwei Pferde wird das Geld nicht mehr reichen, also sollten wir am Abend aufbrechen.“

      „Aber wieso wollen Sie denn nachts reisen? Ist das nicht zu gefährlich? Nachts ist sicher lichtscheues Gesindel unterwegs“, gab Madeleine ängstlich zu bedenken.

      „Da habt Ihr natürlich recht, Mademoiselle, dennoch seid unbesorgt. Ich habe bereits eine Pistole besorgt, schaut hier!“ Er schob seinen Rock ein wenig zur Seite - und tatsächlich trug er eine Pistole in seinem Gürtel.

      „Ich will nachts mit Euch reisen, denn als mein Bursche müsstet Ihr neben mir herlaufen. Heute Nacht lauft Ihr nur eine Weile neben mir her, bis wir auf der einsamen Landstraße sind, dann nehme ich Euch vor mich in den Sattel. Dann dürften wir am kommenden Morgen bei Eurem Onkel sein. Was meint Ihr?“

      „Das klingt gut, Xavier. Ich werde ganz sicher vergessen, dass Sie mich in den vergangenen Nächten auf dem Boden haben schlafen lassen. Davon werde ich meinem Onkel und meiner Tante nichts erzählen.“ Sie sah das leise Zucken seiner Augenbrauen; er glaubte ihr nicht. Aber was hatte er vor? Wie wollte er ihrem Onkel und ihrer Tante gegenübertreten, nachdem er sie so schändlich behandelt hatte? Doch Madeleine schob diesen Gedanken beiseite. Sie konnte es kaum erwarten, wieder in ihren alten Status zurückzukehren, endlich wieder durch ihren Stand geschützt zu sein. „Ich danke Euch, Mademoiselle“, erwiderte Xavier aalglatt und hob seinen Kelch.

      Die Landstraße war menschenleer, die letzte Ortschaft hatten sie schon eine ganze Weile verlassen, und nun brach mit Macht die Dunkelheit herein. Madeleine musste Xavier erst an sein Versprechen erinnern, sie vor sich aufs Pferd zu nehmen.

      „Das ist sehr freundlich von Ihnen, Xavier!“ sagte sie schnippisch, nachdem er sie mit einem Ruck in den Sattel gehoben hatte. „Stellen Sie sich doch nur vor, was mein Onkel gesagt hätte, wenn Sie - mein Diener - auf einem Pferd gekommen wären, und ich hinter Ihnen hergelaufen wäre wie Ihr Laufbursche. Dann hätte ich schon sehr viel Überredungskunst aufwenden müssen, damit Sie eine Stellung bei ihm bekommen. Mein Onkel wäre darüber nicht erfreut.“ Die nahe Aussicht auf ein Leben, wie sie es gewohnt war, ließ Madeleines Lebensgeister wieder aufflammen. Nicht mehr lange und sie würde wieder seidene Kleider tragen, in einem weichen Bett schlafen und köstlich speisen. Natürlich war sie Xavier dankbar, dass er sie so weit gebracht hatte, aber mit seinen groben Anmaßungen würde schon am nächsten Tag Schluss sein. Während Madeleine sich vorstellte, wie sie mit ihrer Tante einkaufen ging und bei der ersten Schneiderin am Ort eine komplette Garderobe nach der neusten Mode bestellte, war auch Xavier still geworden. So ritten sie einige Meilen miteinander durch die Nacht. Wälder, Felder und Ortschaften wechselten einander ab, während die beiden Reisenden ihren eigenen Gedanken nachhingen. Xavier hatte die ganze Zeit über geschwiegen, doch nun, als sie auf einer Brücke standen, hielt er das Pferd an und begann sehr freundlich: „Wisst Ihr, Mademoiselle, es ist mir vollkommen gleichgültig, ob Euer Onkel erfreut oder verärgert darüber ist, wie ich mit Euch umgegangen bin.“

      „Xavier!“ empörte sich Madeleine. „Sie impertinenter Mensch! Ich werde keineswegs ein gutes Wort bei meinem Onkel einlegen, wenn Sie nicht...“

      „Wenn ich was nicht? - Schon mein Großvater diente Eurem Großvater, mein Vater diente Eurem Vater und ich habe diese schöne alte Familientradition übernommen. Aber wieso sollte ich sie fortführen? Ihr könnt Euch kaum vorstellen, wie satt ich diese gute alte Tradition habe.“

      „Xavier, wovon reden Sie? Sind Sie denn verrückt geworden? Und reiten Sie weiter. Ich will nicht auf der Brücke übernachten!“ Sie machte ein paar Bewegungen, um das Pferd anzutreiben und schnalzte dabei mit der Zunge. Das Pferd ging tatsächlich einen Schritt, doch dann packte Xavier die Zügel und riss derart brutal daran, dass das Pferd aufwieherte und sofort still stand.

      „Wie wäre es, wenn wir tauschen? Ich muss nicht mehr Xavier sein. Niemand weiß, wie Jean Pierre aussieht.Wieso könnte er nicht so aussehen wie ich?“

      „Xavier? Wovon reden Sie?“ flüsterte Madeleine nun doch etwas ängstlich.

      „Ich rede von der Revolution - meiner ganz eigenen, persönlichen Revolution. Habt Ihr Euch niemals Gedanken darüber gemacht, wieso Ihr selbst ein süßes Leben ohne Sorgen lebt, während andere Menschen Euch dienen?“

      „Jeder ist in seinen Stand geboren. Diener leben nur dazu, um zu dienen. Wenn sie nicht mehr dienen könnten, wäre ihr Lebenszweck erloschen“, sagte Madeleine, doch es klang längst nicht so überzeugend wie aus dem Mund ihres Vaters, der ihr das einmal erklärt hatte. „Es gibt nun mal uns - die Adligen - und die Anderen. So ist das, Xavier. Und jetzt bringen Sie mich gefälligst zu meinem Onkel.“

      „Es geht nicht nur um Diener. Ich hatte als Diener ein recht annehmbares Leben. Ich konnte mir genug Geld zur Seite schaffen.“

      „Haben Sie etwa gestohlen?“ fuhr Madeleine auf.

      Er lachte verächtlich.

      „Natürlich habe ich das. Aber ich würde es nicht als


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