Glück3. Elisabeth Martschini

Glück3 - Elisabeth Martschini


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dieser Glaunigg-Althoff, Freds Vorgängerin, zugegeben wenig zu tun gehabt hatte, weil sie den größten Teil von deren Amtszeit im Krankenstand verbracht hatte.

      Auf dem Gang begegnete sie Ernst Braunsfelder, der zielstrebig auf den Kaffeeautomaten zusteuerte.

      „Grüß dich, Ernstl“, rief Maria Liliencron und winkte, obwohl der Kollege keine fünf Schritte mehr von ihr entfernt war. Aber aus irgendeinem Grund freute sie sich heute besonders, ihn zu sehen.

      „Servus, Maria“, erwiderte dieser den Gruß, setzte seinen Weg zum Kaffeeautomaten aber fort.

      Die Kollegin schloss sich ihm an. Bis zum Beginn der nächsten Stunde hatten sie noch ein paar Minuten Zeit.

      „Was treibt dich denn ins Büro unseres Herrn Direktor Fred?“, fragte Ernst Braunsfelder, während er die verschiedenen Knöpfe des Kaffeeautomaten drückte.

      „Ich wollte etwas –“, sie überlegte, ob sie Privates sagen sollte, entschied sich dann aber anders, „etwas Wichtiges mit ihm besprechen.“ Immerhin war Freds und Claudias seelisches Gleichgewicht nicht weniger wichtig, als es privat war.

      „So“, meinte Ernst Braunsfelder und drückte immer unkoordinierter auf den Knöpfen über den Aufschriften Zucker, Kaffee mild, Kaffee stark, Milch, Ohne herum. Entweder litt er an akuter Entscheidungsschwäche oder der Automat verweigerte die Kooperation.

      „Ja“, fuhr Maria Liliencron, von den Kaffeeproblemen des Kollegen vorerst unbeeindruckt, fort, „es war oder vielmehr: Es ist wichtig. Aber der liebe Fred hat keinen Kopf mehr für solche Lappalien.“

      „Ja, ja“, entgegnete Ernst Braunsfelder und schien nicht ganz bei der Sache zu sein, jedenfalls nicht bei der liliencronschen, „Macht korrumpiert.“

      Damit mochte er recht haben, aber Maria Liliencron brachte diese Aussage doch nicht ganz mit ihrem gescheiterten Gespräch mit Alfred Kuntz in Zusammenhang. Eher noch mit dem Kaffeeautomaten, der eine große Macht auf Ernst Braunsfelder auszuüben schien. Zumindest eine große Anziehungskraft, die aber jeden Augenblick in ebenso große Abneigung umzuschlagen drohte.

      „Was hast denn, Ernstl?“, erkundigte sich Maria Liliencron deshalb besorgt.

      „Der Automat will nicht, wie ich will“, schnaubte der Kollege. Nachdem er fünfzig Cent in die Maschine gesteckt und abermals wie wild auf deren Knöpfen herumgedrückt hatte, sagte er: „Jetzt bin ich neugierig, ob der Kaffee mit oder ohne Milch kommt.“

      Gespannt starrten beide Lehrer auf die kleine Ausbuchtung des Automaten, aus der jeden Moment das gewünschte oder eben ein anderes Heißgetränk fließen musste.

      „Vor allem kommt er ohne Becher“, sagte Maria Liliencron, indem sie auf den im Abtropfsieb versickernden hellbraunen Kaffeestrahl blickte.

      „Manche Dinge ändern sich nie“, sagte nun auch Ernst Braunsfelder. Er schüttelte den Kopf und lachte plötzlich. „Ist eh besser fürs Herz“, verkündete er und machte sich auf den Weg in die 4b, die er jetzt in ihrer Muttersprache oder in der Muttersprache von zumindest drei Vierteln der Klasse unterrichten sollte.

      Maria Liliencron sah ihm besorgt nach. Eigentlich hätte der Kollege froh sein müssen, sich überhaupt noch mit dem Kaffeeautomaten des Bad Auer Gymnasiums herumschlagen zu dürfen. Sein Posten war Ende des Wintersemesters nämlich auf der Kippe gestanden. Genau genommen war die Versetzung des Herrn Braunsfelder schon festgestanden. Zwangsversetzung, weil er der neuen Direktorin zu nahe getreten sein sollte. Was er nicht hätte tun sollen, nach eigenen Aussagen auch nicht getan hatte, aber da stand eben Aussage gegen Aussage, Mann gegen Frau, bis Frau die Handtasche warf, den Hut nahm und verschwand. Warum, weshalb, wieso wusste niemand. Na ja, fast niemand. Ernst Braunsfelder und Maria Liliencron wussten es auf jeden Fall definitiv nicht. Letztere hatte lediglich eine Vermutung. Nein, nicht in Bezug auf den Verschwindegrund der vorübergehenden, eigentlich vorüberlaufenden oder, um ganz genau zu sein, vorübergelaufenen Direktorin, sondern in Bezug auf ihren Kollegen Braunsfelder.

      „Dem täte ein Besuch bei Frieda vielleicht auch nicht schlecht“, dachte Maria Liliencron nämlich, als sie sich ins Lehrerzimmer begab, um dort ihre Freistunde umzubringen, das heißt: herumzubringen, wenn sie sie schon nicht zu einem Gespräch mit Alfred Kuntz nützen konnte.

      Nach insgesamt fünf Stunden Unterricht, unterbrochen von besagter Freistunde, war Maria Liliencrons Arbeitstag zu Ende. Wenigstens der offizielle Teil, sprich: der geistig wie auch körperlich anstrengende Deutsch- beziehungsweise Geografieunterricht in fünf verschiedenen Klassen. Jetzt ging es nach Hause, wo die Korrektur mehr oder weniger erbaulicher Schüleraufsätze und die Vorbereitung kommender Unterrichtsstunden auf dem Programm standen. Denn die Behauptung, dass der Lehrberuf ein geruhsamer wäre, traf nur auf altersfaule oder grundsätzlich unengagierte Lehrer zu.

      Maria Liliencron gehört entschieden nicht zu diesen. Sie war auch nach einigen Jahren am Bad Auer Gymnasium selbstredend, nein, redlich darum bemüht, etwaigen Verhaltenskreativitäten ihrer Schüler mit ihrerseits kreativen Unterrichtsstunden entgegenzuwirken und die Aufmerksamkeit der Jugendlichen gerade dadurch zu erhalten, dass sie selbst von ihnen lernte. Ja, richtig: Maria Liliencron lernte von ihren Schülern, was so viele Vorteile hatte, dass sie gar nicht alle hätte aufzählen können. Die beiden wichtigsten waren vielleicht, dass Frau Liliencron sogar mit Anfang dreißig noch up to date war und dass ihre Schüler darum wetteiferten, ihr Wissen preisgeben zu dürfen. Dieser Umstand machte mündliche Prüfungen zwar beinahe obsolet, ließ schriftliche Texte allerdings mitunter in die Länge schießen. Und erhöhte damit die Korrektur- und Heimarbeit, zumal das Schülerwissen eher inhaltlicher Natur war und sich nur in ganz wenigen Fällen auf die Bereiche Orthografie und Grammatik erstreckte. Hier ließen die Jugendlichen ihrer Kreativität sogar für Maria Liliencrons Geschmack zu freien Lauf.

      Deren Unterrichtstag war also zu Ende. Und weil die Anwesenheitspflicht für Lehrer über den eigentlichen Unterricht hinaus am Gymnasium in Bad Au mangels geeigneter wie auch ungeeigneter Räumlichkeiten zur sicheren Aufbewahrung von Lehrpersonen außerhalb der Klassenzimmer nicht umgesetzt werden konnte, packte Maria Liliencron einen Stapel Hefte in eine Leinentasche und verließ das Konferenzzimmer. Das heißt, sie wollte das Konferenzzimmer verlassen, stolperte dabei aber im wahrsten Sinn des Wortes über ihre Kollegin Waltraud Kranzlbauer, genauer: über deren Hinterteil, das unter dem Tisch hervorragte. Die Kollegin selbst kniete auf dem Boden und war eifrig darum bemüht, einen Haufen auseinandergerutschter Blätter zu einem Stapel zusammenzuschieben, was aufgrund der Sessel- und Tischbeine, die sich ihr beziehungsweise dem Papier in den Weg stellten, ein ziemlich schwieriges Unterfangen war.

      „Huch“, machte Maria Liliencron, als ihr Bein das Gesäß der Kollegin streifte, und ruderte mit den Armen. Als sie wieder sicher stand, beugte sie sich hinunter, beäugte die Kollegin, die halb unter dem Tisch hockte, und lachte dann über das ganze Gesicht. Nicht etwa, weil Waltraud Kranzlbauer solch einen lustigen Anblick bot, obwohl das auf den ersten Blick durchaus auch der Fall war. Auf den zweiten Blick war hingegen deutlich zu erkennen, dass Frau Kranzlbauer sich nicht freiwillig ins Untergeschoss verkrochen hatte, sondern eifrig darum bemüht war, die dort verstreut liegenden Zettel zusammenzusammeln. Deshalb also nicht Erheiterung und noch weniger Schadenfreude aufseiten Maria Liliencrons. Die junge Lehrerin freute sich ganz einfach, die Kollegin zu sehen. Im vergangenen Herbst waren die beiden Frauen einander nämlich nähergekommen. Nicht nähergekommen in einem irgendwie anrüchigen Sinn, obwohl inzwischen selbst eine sexuelle Annäherung zwischen zwei Personen des gleichen Geschlechts nichts Anrüchiges mehr war. Zumindest nicht in den Augen halbwegs vernünftiger und aufgeklärter Menschen, von denen es in Bad Au zum Glück doch ein Paar gab.

      Aber deswegen musste es nicht zwangsweise auf alle Kollegen und Kolleginnen gleichen Geschlechts zutreffen. Zwischen Maria Liliencron und Traude Kranzlbauer beschränkte sich die gegenseitige Zuneigung auf eine ganz normale, geradezu ordinäre Freundschaft. Zumindest seit besagtem Herbst. Seither war Maria Liliencron ein fröhlicher Mensch, ein richtig fröhlicher. Ob dank Frieda oder Traude sei dahingestellt. Im Grunde war es ohnehin egal, warum einer gute Laune hatte, solange es nicht auf Kosten eines anderen ging.

      Auf Kosten von Traude Kranzlbauer


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