Glück3. Elisabeth Martschini

Glück3 - Elisabeth Martschini


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ging es nicht um einen Mann. Und wenn doch, dann nur um den Herrn Landesschulrat, dessen Geschlecht nur zufällig beziehungsweise qualifikationsbedingt männlich war und hinter dem Amt zurückstand. Es war daher weder sexuell begründete Eifersucht noch Penisneid, was Waltraud Kranzlbauer an-, um- und in letzter Konsequenz unter Tische trieb, sondern höchstens Titelneid. Und dieser bezog sich nicht auf den Herrn Landesschulrat, sondern auf jüngere, besser qualifizierte Kollegen, gleich welchen Geschlechts.

      Bevor Maria Liliencron sich ein drittes Stück Kirschkuchen auf den Teller laden konnte, fasste sich Traude Kranzlbauer ein Herz. „Die dumme Sache, die ich gestern angedeutet habe, liebe Maria, ist die, dass mir ein Titel fehlt“, begann sie endlich das Gespräch oder jedenfalls dessen ernsten Teil, der über oberflächliches, gleichwohl freundschaftliches Geplänkel hinausging.

      Maria Liliencron verschluckte um ein Haar einen Kern. Sie hustete und Freundin Traude musste ihr auf den Rücken klopfen, damit sie den Fremdkörper wieder aus der falschen Kehle bekam.

      „Bitte was?“, keuchte Maria Liliencron und rang noch ein bisschen nach Luft. „Wie kann das denn sein? Du hast doch studiert.“

      „Natürlich habe ich studiert ...“, erwiderte Traude Kranzlbauer.

      „Und du hast dein Studium abgeschlossen?“

      „Ja, sicher, nur ...“

      „Sag mir jetzt nicht, dass sie dich beim Plagiat erwischt haben“, rief Maria Liliencron ungläubig aus.

      „Spinnst?!“, fragte Kollegin Kranzlbauer verärgert. „Das mit anständig und zurückhaltend nehme ich zurück.“

      „Entschuldige bitte“, murmelte Freundin Maria plötzlich ganz kleinlaut. „Ich hätte wissen müssen, dass du nicht abgeschrieben hast. Es ist nur, man hört das in letzter Zeit so oft ... bei wichtigen Politikern und so ...“

      „Schau ich aus wie ein Spitzenpolitiker?“, fragte Traude Kranzlbauer unwirsch und deutete auf ihre Blümchenbluse über dem ausladenden Busen.

      Die jüngere Frau schüttelte erschrocken den Kopf. „Aber was ist dann passiert?“, wollte sie wissen.

      „Ich habe meinen Abschluss in Französisch und Ernährungswissenschaft gemacht, die damals noch Ernährungskunde geheißen hat“, sagte sie zögernd.

      „Aber du unterrichtest doch hauptsächlich Geschichte“, fiel die andere ihr verwundert ins Wort. „Und nur ein paar Stunden Französisch.“

      „Eben“, meinte Traude Kranzlbauer in einem Tonfall, als wäre damit alles gesagt.

      Die Freundin/Kollegin begriff jedoch gar nichts, hatte Kuchen, Kirschen und Co komplett vergessen und starrte die Ältere verständnislos an. Diese musste sich näher erklären, musste vor allem erläutern, dass sie damals, vor mehr als dreißig Jahren, die falsche Studienwahl getroffen hatte. Nur hatte sie nach drei Semestern nicht mehr wechseln können, weil es für sie dann keine finanzielle Unterstützung mehr gegeben hätte.

      „Und Geschichte?“, fragte Maria Liliencron verwirrt.

      „Da habe ich eigentlich nur hineinschnuppern wollen ... Ich habe dann zwar eine gute Nase davon genommen, aber für noch ein Studium hätten Zeit und Geld nicht gereicht“, antwortete Traude Kranzlbauer.

      „Und deine Abschlussarbeit?“

      „Habe ich in Französisch geschrieben. Über Kochbücher“, fügte Frau Kranzlbauer hinzu.

      „Naheliegend“, meinte Kollegin Liliencron. „Aber wieso hast du dann nicht Ernährungskunde unterrichtet – an einer anderen Schule?“

      „Weil ich schon während des Studiums gemerkt habe, dass mir das auf den Magen schlägt. Oder aufs Gemüt, wie du willst. Dass ich dabei jedenfalls die Lust am Backen verliere“, gestand Traude Kranzlbauer. „Da musste ich Prioritäten setzen.“

      „Versteht sich“, pflichtete Maria Liliencron ihr bei und langte nun doch nach einem dritten Stück Kirschstreuselkuchen. „Aber wie konntest du dann bei uns am Gymnasium Geschichte unterrichten?“, fragte sie interessiert.

      „Hat sich so ergeben“, meinte Frau Kranzlbauer, „einer ist unter dem Semester verunglückt und auf die Schnelle haben sie keinen Ersatz gefunden. Und ich war froh über die Mehrstunden. Du weißt ja, wie das ist.“

      Maria Liliencron wiegte den Kopf hin und her.

      „Dabei ist es geblieben“, fuhr Traude Kranzlbauer fort. „Niemand hat nachgefragt und irgendwann war’s dann fast schon Gewohnheitsrecht. Das Französische ist immer weniger geworden, aber die Geschichte wird immer mehr, je länger es die Menschheit gibt.“ Sie lachte, doch es klang gezwungen. „Nur kommen jetzt die ganzen Junglehrer, frisch von der Uni, supermotiviert und mit allen notwendigen und noch ein paar mehr Titeln. Da hat mir die Glaunigg-Althoff die Hölle heißgemacht.“

      „Aber die ist doch jetzt eh weg“, warf Maria Liliencron ein.

      „Schon“, meinte Traude Kranzlbauer, „aber den Landesschulrat hat sie trotzdem noch auf meinen Fall hingewiesen. Und wenn der Stein einmal ins Rollen gekommen ist, kannst ihn nicht mehr aufhalten.“

      „Und was machst du jetzt?“, fragte Maria Liliencron besorgt.

      „Geschichte studieren“, seufzte Traude Kranzlbauer.

      „Was, in deinem Alter?“, platzte die Jüngere heraus.

      „Danke, liebe Maria, das wäre nicht unbedingt notwendig gewesen. Du hast heute offenbar deinen charmanten Tag.“ Frau Kranzlbauer lächelte nachsichtig und fuhr dann wieder ernst fort: „Ja, in meinem Alter. Dabei bin ich gar nicht die Älteste. Du glaubst nicht, wie viele Alte Geschichte studieren. Nur sind die meisten Pensionisten, die jetzt endlich die Zeit dafür haben, sich mit dem zu beschäftigen, was sie interessiert. Ich brauche es, damit ich meinen Beruf weiter ausüben darf. Aber“, lenkte sie ein, „ich kann mir fast alles anrechnen lassen. Nur so eine Masterarbeit muss ich noch schreiben.“

      Maria Liliencron ging ein Licht auf. „Deshalb die alten Zeitungen“, rief sie aus.

      „Ja“, gab Traude Kranzlbauer zu, „das heißt ... eigentlich ist da noch etwas anderes.“

      Maria Liliencron hielt in der Bewegung inne, die Kuchengabel stoppte auf ihrem Weg zum Mund und der Blick war erwartungsvoll auf Freundin Traude gerichtet, die wieder einmal nach dem richtigen Anfang der Fortsetzung suchte, den Absprung aber noch nicht schaffte und irgendwo an der Klippe hängen geblieben zu sein schien.

      „Also“, sagte sie nach diesem Moment gespannter Erwartung aufseiten ihrer Zuhörerin und begann erst einmal mit dem Einfachen, den Fakten. „Für meine Masterarbeit habe ich mir etwas Naheliegendes gesucht, nämlich örtlich nahe, weil ich nach dem Unterricht nicht auch noch weiß Gott wohin fahren will, um irgendein verstaubtes Archiv zu durchforsten. Deshalb bin ich auf das Stadtarchiv von Bad Au gekommen. Obwohl, wenn ich es mir recht überlege, ist das auch ganz schön verstaubt.“

      Sie verzog das Gesicht, was Maria Liliencron darauf schließen ließ, dass sie verstaubt nicht nur im übertragenen Sinne meinte.

      „Jedenfalls bin ich dort auf eine einzelne Ausgabe der Pförringer Wochenpost gestoßen. Die hat jemand mit einem handschriftlichen Vermerk zwischen die Ausgaben unserer Lokalzeitung gesteckt.“ Traude Kranzlbauer griff nach ihrer Kaffeetasse, die bisher unberührt neben ihrem Kuchenteller gestanden war. Beide waren leer.

      „Entschuldige bitte, wie unhöflich von mir“, sagte Maria Liliencron betreten, legte ihre mit einem Stückchen Kirschkuchen gespickte Gabel zurück auf ihren Teller und beeilte sich, Freundin Traude ein besonders großes Stück von deren eigenem Kuchen zu kredenzen.

      „Lass nur, ich bin ja die Gastgeberin“, wandte diese ein. „Und eine ziemlich schlechte, wie ich sehe, wenn sich der Gast selbst bedienen muss.“

      „Selbst bedient hat“, präzisierte Maria Liliencron, als sie das Kuchenstück auf Traude Kranzlbauers Teller


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