Die Chroniken der Wandler. Laura Schmolke

Die Chroniken der Wandler - Laura Schmolke


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sagt Ihr mir nicht einfach, wer sie ist? Es ist doch auch in Eurem Sinne, wenn sie sich uns anschließt“, drängte Muraco.

      Der Drache antwortete nicht sofort. Er sah Muraco nur an, aus seinen tiefen, traurigen Augen. „Wir wurden gejagt“, sagte er schließlich leise, „und dennoch haben wir die Menschen nicht aufgegeben. Wir haben gekämpft. Für eine Zukunft. Aber wir wurden vertrieben. Es liegt nicht mehr an uns, das Schicksal der Menschen zu verändern, sondern an euch. Denn ihr seid Blut von ihrem Blut und Fleisch von ihrem Fleisch. Nur ihr könnt ihnen noch die Augen öffnen.

      Ihr seid Wandler.“

      *

      Der Traum

      Die Dunkelheit ist undurchdringlich. Das macht mir Angst. Normalerweise steht der Mond am Himmel und verströmt sein silbriges Licht. Oder es leuchten die Sterne. Sie sind zwar nicht so hell, aber sie sind da, weit entfernt, unerreichbar. Einst habe ich gedacht, ich könnte nach ihnen greifen. Doch inzwischen weiß ich, dass es unmöglich ist.

      Sie rannte. Immer schneller und schneller, doch die Schatten verfolgten sie. Die Bäume um sie herum standen so dicht, dass kaum Licht auf den Waldboden fiel. Überall Dunkelheit. Überall Angst.

      Sie rannte schneller. Etwas Großes, Schwarzes war hinter ihr her. Es verschmolz mit den Schatten und jagte sie unbarmherzig weiter. Auf einmal begann der Boden unter ihren Füßen zu beben und sie strauchelte.

      „Weiter!“ Nur das eine Wort pulsierte in ihrem Kopf. „Weiter! Weiter!“ Sie wusste nicht, was sie verfolgte. Sie wusste auch nicht, wohin sie lief. Sie wusste nur, dass sie nicht hier bleiben konnte. Ihr ganzer Körper zitterte, als sie sich wieder auf die Füße kämpfte und weiterrannte.

      Plötzlich lichteten sich die Bäume um sie herum und sie stand am Rand einer großen Lichtung. Vor ihr, auf dem Boden, lag der Himmel.

      Nein, es war gar nicht der Himmel. Erst jetzt fiel ihr auf, dass es sich um einen kleinen See handelte, dessen Oberfläche so glatt war, dass sich die weißen Wölkchen darin spiegelten.

      Langsam, wie in einer Art Trance, schritt sie vorwärts, auf den See zu. Auf einmal war die Angst vergessen und alle Erschöpfung aus ihrem Körper gewichen. Wie von selbst gaben ihre Beine unter ihr nach, sodass sie am Ufer zusammensank.

      Sie berührte die spiegelglatte Wasseroberfläche mit einem Finger und verursachte kleine Wellen, die immer größer wurden und die Sonnenstrahlen in alle Richtungen zurückwarfen.

      Dies war ein magischer Ort. Sie spürte es an allem, was sie umgab. Das helle Licht, der klare See, sogar die Luft wirkte hier frisch und unverbraucht.

      „Wo bin ich?“ Erst jetzt wunderte sie sich darüber.

      „Du bist im Land der Träume.“ Die tiefe Stimme hallte plötzlich durch ihren Kopf. Sie zuckte zusammen und sah sich ängstlich um, konnte jedoch niemanden entdecken.

      „Schau nach oben.“ Wieder die Stimme.

      Sie legte den Kopf in den Nacken und schützte ihre Augen mit den Händen vor dem grellen Licht. Da sah sie ihn: einen Drachen, dessen Schuppen im Sonnenlicht in allen Regenbogenfarben leuchteten. Er war groß – nein, gigantisch. Doch obwohl er direkt auf sie zuflog, hatte sie keine Angst. Da war nur eine tiefe Ehrfurcht, gemischt mit Faszination, die sie vollkommen ausfüllte.

      Magie. Ein anderes Wort, das diese Szene besser hätte beschreiben können, fiel ihr nicht ein.

      „Wir haben lange auf dich gewartet, Felicitas.“ Der Drache landete ein paar Meter von ihr entfernt im Gras. Jetzt, als er direkt vor ihr stand, wurde Felicitas auf einmal doch ein wenig mulmig zumute. „Wir haben aufgehört, die Jahrhunderte zu zählen, seitdem wir in dieser Welt gefangen sind und auf dich warten.“

      „Wir?“ Felicitas wich ein paar Schritte zurück und sah sich unsicher um. Doch sie konnte nirgendwo einen weiteren Drachen entdecken. „Wer bist du?“, wagte sie schließlich zu fragen. „Und wieso kennst du meinen Namen?“ Der Drache lachte, doch seine Augen blickten sie weiterhin so unendlich traurig an.

      „Wir sind Etu, viele Drachen, eingesperrt in einem einzigen Körper. Als die Menschen aufhörten, an Magie zu glauben, jagten und vertrieben sie uns. Wir haben gekämpft, mussten am Ende jedoch zusehen, wie die Menschen die Erde für sich beanspruchten und nach und nach alle magischen Geschöpfe ausrotteten. Da haben wir uns zusammengeschlossen, vereint in einem einzigen Körper, um unsere Magie zu bündeln. Wir erschufen eine neue Welt, eine andere Welt. Das Land der Träume. Doch noch immer haben wir die Hoffnung nicht aufgegeben, den Menschen die Augen öffnen und auf die Erde zurückkehren zu können.“

      Felicitas sah den Drachen verwirrt an und versuchte, den Sinn seiner Worte zu begreifen. „Aber ... was hat das Ganze mit mir zu tun?“, brachte sie schließlich mühsam hervor.

      „Du bist einer der wenigen Menschen, die noch an Magie glauben. Und du hast die seltene Gabe, die Drei Ebenen sowohl zu verstehen als auch zu beherrschen. Felicitas, du bist eine Wandlerin.“

      „Eine Wandlerin? Was ist das? Und was sind die Drei Ebenen?“ Jetzt wurde sie doch neugierig.

      „Es würde zu lange dauern, dir das alles zu erklären. Aber sei dir bewusst, dass deine Zukunft weit weg von den anderen Menschen, weit weg von einem normalen Leben liegt. In Kürze wirst du deine Kräfte freisetzen und unglaubliche Dinge vollbringen können. Wenn es so weit ist, wird Enapay dich in seine Schule aufnehmen und dir alles Notwendige beibringen.“

      Für einen kurzen Augenblick herrschte unangenehmes Schweigen. Ungläubig starrte Felicitas den Drachen an.

      Magie. Wandler.

      „Knie nieder, Felicitas Wilara.“

      In diesem Moment wunderte Felicitas sich über gar nichts mehr. Der Drache hatte schließlich ihren Vornamen gekannt, also wieso nicht auch ihren Nachnamen? Dennoch zögerte sie kurz, bevor sie sich an das Ufer des Sees kniete.

      „Hier und heute, im Land der Träume, wo dich kein menschliches Auge erblicken kann, verleihe ich dir vor dem See der Wahrheit deine Kräfte. Nutze sie stets zum Guten und kämpfe für die Träume und für eine bessere Welt. Denn das ist deine Aufgabe.“

      Plötzlich bekam Felicitas einen heftigen Stoß in den Rücken. Sie schrie erschrocken auf und versuchte noch, ihr Gleichgewicht zu halten, da umfing sie auch schon das kalte, klare Wasser des Sees.

      ***

      Mit einem Ruck fuhr Felicitas hoch. Draußen war es noch dunkel und die Lichter der Straßenlaternen ließen unheimliche Schatten an den Wänden tanzen. Mit einem erleichterten Seufzer ließ sie sich zurück in die Kissen sinken. Sie hatte nur geträumt.

      Schnell warf sie einen Blick auf die Leuchtziffern ihres Weckers. Es war zehn vor vier in der Nacht.

      Langsam stand Felicitas auf und schritt auf das Fenster zu. Dann stützte sie sich auf das Fensterbrett und starrte nach draußen auf die dunkle, menschenleere Straße. Ein lauer Wind blies ihr ins Gesicht und sie fröstelte. Nicht wegen des Windes, eher wegen der Einsamkeit und der Stille, die nachts über ihrer Straße lagen. Es war unheimlich und faszinierend zugleich, dass es eine Tageszeit gab, in der die Schatten und nicht mehr die Menschen ihre Stadt beherrschten. Seit jeher hatte die Dunkelheit einen gewissen Sog auf Felicitas ausgeübt. Sie offenbarte eine neue Welt, eine finstere Welt, wie sie kaum jemand kannte.

      Dünne Wolkenschleier zogen schnell vor dem blassen Mond vorbei und offenbarten hin und wieder kleine, leuchtende Sterne. So unendlich weit entfernt ...

      Felicitas spürte, wie ihre Augenlider schwer wurden und ihr Kopf auf ihre Hände sank. Als ihre Beine begannen, unter ihrem Gewicht nachzugeben, schreckte sie hoch. Etwas verwirrt zog sie sich einen Stuhl heran und setzte sich, den Blick noch immer auf die leere Straße gerichtet. Plötzlich bemerkte sie eine Bewegung im Schatten des Hauses. Sie zuckte zusammen, erkannte dann jedoch, dass es sich nur um Shadow, den Nachbarskater,


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