Gefahr für Burg Bentheim. Mathias Meyer-Langenhoff

Gefahr für Burg Bentheim - Mathias Meyer-Langenhoff


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zischte Doro, und weil sie dachte, die anderen hätten vielleicht auch bemerkt, dass sie Tom die ganze Zeit angestarrt hatte, wäre sie am liebsten im Erdboden versunken. Das ging aber leider nicht, deshalb nestelte sie an ihrer Umhängetasche, um irgendetwas herauszuholen, egal was. Nur bekam sie den blöden Verschluss nicht auf, immer wütender zerrte sie daran herum, bis sie Lottes Hand auf ihrer spürte.

      „Reg dich ab“, flüsterte sie, „hat niemand was gemerkt.“

      Erleichtert seufzte Doro auf. Lotte hatte recht, keiner machte sich über sie lustig, auch Tom nicht.

      „Seht euch hier mal um, Kinder! Da hinten ist die Kronenburg, das große Marstallgebäude, ein altes Wort für Pferdestall, und dies hier“, der Burgführer zeigte auf den Turm zu seiner Rechten, „ist der Bergfried, der Pulverturm. Wir gehen jetzt zuerst nach oben auf den Wehrgang der Mauer, die Gebäude hier unten sehen wir uns später an.“

      Hintereinander trotteten sie die Steintreppe hinauf. Während Herr Somberg immer zwei Stufen auf einmal nahm, versuchte der kleine Doktor mit seinen kurzen Beinen den Anschluss zu halten, wie ein rasender Zwerg hüpfte er von Stufe zu Stufe. Lotte war immer noch sauer, fast so wie beim Fußball, wenn sie mit ihrer Mannschaft zurücklag.

      „Wetten, dass er uns gleich wieder einen Vortrag hält?“, knurrte sie. Und tatsächlich, kaum standen alle auf dem Wehrgang, sprang Teichmann auf einen kleinen Mauervorsprung.

      „Ich erinnere euch noch mal daran, das eine oder andere von dem, was Herr Somberg uns erzählen wird, mitzuschreiben!“

      „Wenn ich gleichzeitig schreiben und zuhören soll, verstehe ich gar nichts!“, rief Tom. Die anderen nickten zustimmend.

      Dr. Teichmann zog wie immer die linke Augenbraue hoch, aber noch bevor er antworten konnte, ergriff Franz Somberg das Wort. „Ach wissen Sie, Herr Doktor Teichmann, ich habe die Erfahrung gemacht, dass es besser ist, die Schüler erst mal zuhören zu lassen. Ich habe noch eine kleine Broschüre, da steht sowieso alles Wichtige drin.“

      „Mal gespannt, was Teichmann jetzt macht“, flüsterte Doro Lotte zu.

      Der zögerte einen Augenblick mit der Antwort, schließlich sagte er etwas zu laut: „Na gut, die Broschüre ist natürlich eine Hilfe, dann hat sie aber jeder von euch bei der Anfertigung der Hausaufgabe zu benutzen.“ Die Klasse atmete auf.

      „Warum heißt das hier eigentlich Wehrgang?“, fragte Herr Somberg. Niemand hatte Lust zu antworten, obwohl Teichmann seine Schüler auffordernd ansah. Es ging ihm wohl wie allen Lehrern, er wollte sich nicht blamieren. Wie immer meldete sich Kalle.

      „Ein Wehrgang ist für die Verteidiger der Burg, man sieht ja die Schießscharten und die kleinen Wachtürme. Von hier aus konnten sie schießen oder Steine werfen und so.“

      Dr. Teichmann nickte zufrieden.

      „Richtig, Junge“, bestätigte Franz Somberg, „wir gehen mal rüber zum Bergfried. Der Turm ist, so wie er heute aussieht, zu Beginn des sechzehnten Jahrhunderts gebaut worden, aber einige Teile sind schon im zwölften Jahrhundert entstanden. Weiß jemand von euch, wie dick die Mauern sind?“

      Kalle holte schon Luft, Lotte kam ihm jedoch zuvor. „Ganz unten fünf Meter fünfzig“, antwortete sie.

      „Sehr gut“, lobte Herr Somberg.

      Doro war so erstaunt, dass sie vergaß, ihren Mund zu schließen. Wer wollte, konnte endlich in aller Ruhe ihre Zahnspange bewundern.

      „Kannst die Klappe ruhig wieder zumachen“, grinste Lotte, „sonst klaut dir noch jemand die Klammer.“

      „Woher wusstest du das mit den Mauern?“, wollte Doro wissen.

      „Von Papa, er hat auch schon mal `ne Führung mitgemacht.“ „Unten befindet sich übrigens das Burgverlies“, erklärte Herr Somberg weiter, „es geht zwölf Meter tief nach unten und war damals Vorratslager und Kerker zugleich.“

      Die Jungs hörten nicht zu, sie standen an einer Kanone direkt vor dem Eingang des Turms und fachsimpelten, wie weit man damit schießen konnte.

      „Ich schätze so hundert Meter“, meinte Tom.

      „Falsch“, widersprach Kalle, „fast achthundert, das ist nämlich ‘ne Feldschlange.“

      „Woher willst du das wissen?“, wunderte sich Tom etwas verärgert, schließlich hatten die anderen ihm schon anerkennend zugenickt.

      „Hab ich gelesen“, antwortete Kalle.

      „Natürlich“, murmelte Tom genervt, „was hast du eigentlich nicht gelesen.“ Die Klasse folgte dem Burgführer in den Turm. Sie gingen über eine steile, schmale Holztreppe nach oben. Als Doro und Lotte das Dach betraten, spürten sie den frischen Wind in ihren Haaren.

      „Mensch, hier kann man echt weit gucken!“ Doro stand an der Umgrenzungsmauer und sah in Richtung Nordhorn.

      „Da hinten ist das AKW von Lingen“, meinte Kalle, der plötzlich wieder neben ihr stand. Sie folgte seinem ausgestreckten Zeigefinger in die Ferne und sah die grauen Türme und die riesige Wasserdampfwolke.

      „Cool“, murmelte Doro, „dann müsste ja irgendwo auch der Turm der Marktkirche von Nordhorn sein.“

      „Genau“, Kalle zeigte weiter nach links, „ich glaube, da ist er.“

      Herr Somberg nickte und beschrieb laut, was es sonst noch zu sehen gab. Weil die Sicht heute sehr gut war, hatte er eine Menge zu erzählen.

      Dann sprach er über die Steinnasen an den Seiten des Turms. „Durch diese Ausgüsse wurde früher Pech, heißes Öl oder Jauche geschüttet, damit die Angreifer die Burg nicht so leicht stürmen konnten. Wer das abbekam, hatte eben Pech.“

      „Feine Sache“, spottete Lotte, „super für Geschichtslehrer, ein bisschen Jauche kann schließlich niemandem schaden.“ Ihr Vorsatz, Dr. Teichmann nicht weiter zu reizen, hatte nicht lange gehalten. Was sie gesagt hatte, war frech, ein kurzer Seitenblick auf ihren Lehrer zeigte es. Auch Doro sah sie missbilligend an.

      „Es reicht, du hast dein Konto überzogen, bis morgen wirst du einen Aufsatz über die Geschichte des Bergfried schreiben, vor allem erwarte ich eine sachliche Auseinandersetzung mit den Pechnasen.“

      Die anderen in der Klasse grinsten, so etwas ließ der kleine Doktor eben nicht ungestraft durchgehen.

      „Wir gehen wieder in den Burghof“, sagte Herr Somberg. Alle stiegen die Treppe im Turm nach unten und sammelten sich an einer Bank.

      Doro und Lotte setzten sich seufzend hin und streckten ihre Beine aus.

      „Ich habe dich gewarnt“, flüsterte Doro.

      Lotte zuckte mit den Schultern. „Musste sein“, murmelte sie, „ich bereue nichts, der geht mir einfach nur auf den Geist.“

      „Was ihr hier seht, Kinder, stammt aus unterschiedlichen Zeitaltern“, erklärte Franz Somberg, „früher waren hier die Pferdeställe, der Heuboden, die Rüstkammer und die sogenannten Gesindekammern, das jetzige Gebäude ist erst viel später im achtzehnten Jahrhundert entstanden.“

      „Was für Gesindel wohnte hier denn früher?“, fragte Lotte, um zu zeigen, dass sie aufgepasst hatte. Der Burgführer lächelte, aber Dr. Teichmann antwortete mit Hohn in der Stimme: „Ich glaube, da bringst du was durcheinander, nicht jede Frage ist eine kluge Frage.“

      „Diese schon“, entgegnete Herr Somberg und sah Dr. Teichmann in die Augen. Seinem Blick schien der Lehrer nichts entgegensetzen zu können, er entschied sich erneut dafür nachzugeben.

      Lotte reichte es.

      Die Auseinandersetzung zwischen den Männern nutzte sie, um unbemerkt zu verschwinden. Sollte Teichmann doch meckern, auf die Führung hatte sie keine Lust mehr. Sie schlich an der Eingangskasse vorbei, verließ den Burghof und betrat die außerhalb liegende,


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